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„Lernen im Kampf“ 22.12.2015

„…aufrecht gehen und Mensch sein, auch in der Fabrik“

„Die Buchmacherei“ hat eine umfangreiche „Dokumentation eines außergewöhnlichen Kampfes“ veröffentlicht. In einer Fülle von Zeitdokumenten aus den ‘80er Jahren wird lebendig, wie die Geschäftsleitung des West-Berliner BMW-Motorradwerks versuchte, widerständige Betriebsräte kaltzustellen – und nach jahrelangem Kampf scheiterte. Das Buch „Macht und Recht im Betrieb“ sei allen betrieblich-gewerkschaftlichen Aktiven ans Herz gelegt; insbesondere denen, die von der „neuen Qualität antigewerkschaftlichen und mitbestimmungsfeindlichen Vorgehens“ in deutschen Unternehmen betroffen sind.

von Christoph Wälz

Ich entschloss mich das Buch „Macht und Recht im Betrieb“ zu lesen, nachdem ich Rainer Knirsch und Hans Köbrich, zwei der damaligen Protagonisten, bei verschiedenen politischen Veranstaltungen kennengelernt hatte. Aus den Diskussionen mit Rainer ist der Artikel „Der Lehrkräftestreik als soziale Bewegung“ hervorgegangen, den wir auf diesem Blog veröffentlicht haben.

Das Sachbuch erzählt nicht stringent. Vielmehr handelt es sich um einen Neuabdruck von Broschüren des „Solidaritätskomitees für die entlassenen BMW-Gewerkschafter“ aus dem Mai 1985 und dem Oktober 1986, ergänzt um Reflexionen einiger Akteur*innen aus den ’90er Jahren. Das ist vielleicht nicht die Sache aller Leser*innen, zumal auch inhaltliche Wiederholungen auftreten; andererseits lädt diese Form zum Schmökern und Blättern ein. An vielen Stellen lässt sich Unerwartetes entdecken – sei es ein Soli-Flugblatt eines Motorradclubs, Schilderungen zu den Aktivitäten der BMW-Vertrauensleute in der Friedensbewegung, überraschende Passagen aus einem Gerichtsurteil oder wütende Tiraden in einer Erklärung der Geschäftsleitung.

Im Zentrum der Auseinandersetzung stehen drei „Arbeiterintellektuelle im besten Sinne des Wortes, geschult nicht nur in Gewerkschaftskursen, sondern auch in politischen Gruppen der siebziger Jahre, vor allem aber in Auseinandersetzungen um die Rechte der Beschäftigten“. Groß war meine Freude, als ich beim Lesen feststellte, dass mir neben Rainer und Hans auch der Dritte im Bunde bekannt ist; hatte ich doch Peter Vollmers autobiografisches Buch „Zwei Jahre im Kabelwerk Winckler“ nach dessen Erscheinen 2003 in einer einzigen Nacht verschlungen.

Dass wir es hier mit Menschen – und nicht mit irgendwelchen abstrakten Klassenkämpfern – zu tun haben, wird spätestens klar, wenn man Peters Artikel „Ich hätte es nicht für möglich gehalten“ liest. Dort schildert er rückblickend, wie es der Betriebsleitung gelang, mit Tricks und Verleumdungen die große Mehrheit der Kolleg*innen auf einer Betriebsversammlung gegen Knirsch, Vollmer und Köbrich aufzuwiegeln. Sein Entsetzen und selbst seine quälende Schlaflosigkeit lässt uns der Autor miterleben. Viele, die schon mal versucht haben, die Rechte der Beschäftigten in ihrem Betrieb durchzusetzen, wissen um die Härte, mit der Geschäftsleitungen zurückschlagen können. „Macht und Recht im Betrieb“ ist uns dabei eine große Ermutigung. Denn hier werden auch die Schattenseiten einer langen Auseinandersetzung gezeigt. Die Lektüre macht Mut, auch aus Minderheitenpositionen heraus zu kämpfen; verbissen ins scheinbare Detail (wie für die Umsetzung einer Unfallverhütungsvorschrift), aber langfristig und strategisch angelegt (wie für die Mehrheit im Betriebsrat, die Knirsch, Vollmer und Köbrich schließlich erringen konnten).

Einzelne Gewerkschafter konnten mit einem klassenorientierten und politischen Herangehen an Betriebsarbeit eine immense Rolle spielen. Plastisch treten die Unterschiede hervor zwischen einem Betrieb, in dem Vertrauenskörper und Betriebsrat in den Händen handzahmer Gehilfen der Geschäftsleitung liegen, und einem Betrieb, in dem Kämpfer*innen an Einfluss gewinnen. So gelang es in einem Werk mit 1800 Beschäftigten einer Gruppe von kaum mehr als 20 bis 30 IG Metall-Aktiven, die Verbindungen zu hunderten Beschäftigten hatten, wichtige Positionen im Betriebsrat zu erobern und damit das Ruder zunächst zu drehen: Kündigungen, die zuvor einfach durchgewinkt worden waren, wurde nun prinzipiell widersprochen; für 300 Beschäftigte wurden höhere Eingruppierungen erreicht; für alle 70.000 Beschäftigten der gesamten BMW AG wurde erreicht, dass bisher vorenthaltenes Urlaubsgeld nun ausgezahlt werden musste und vieles mehr.

BMW wurde dieser Betriebsrat schnell zu teuer. Über längere Zeit hinweg wurde eine Gegenoffensive vorbereitet. Zu diesem Zweck schmiedete die Geschäftsleitung ein Bündnis mit einer Reihe von IG Metall-Mitgliedern, die für einen sozialpartnerschaftlichen und zum Teil auch für einen offen „gelben“, arbeitgeberfreundlichen, Kurs standen. Massiv beeinflusste die Geschäftsleitung die Betriebsratswahl 1984, indem sie die Zeitung der Wahlliste „Mannschaft der Vernunft“ finanzierte und indem der Werksleiter Glas den Beschäftigten auf einer Betriebsversammlung die Vernichtung von Arbeitsplätzen androhte, sollten sie erneut einen derart widerspenstigen Betriebsrat wählen. Das Ergebnis der Wahl war niederschmetternd – die „Mannschaft der Vernunft“ konnte sämtliche 15 BR-Sitze einnehmen.

Eine Stärke des Buches ist auch, dass es selbstkritische Lehren aus einer solchen Niederlage zieht. So erfahren wir aus den Schilderungen des Solidaritätskomitees von 1985, dass Knirsch und seine Verbündeten den Fehler machten, sich von den vielen Erfolgen ihrer Betriebsarbeit täuschen zu lassen. Sie hatten zwar eine feste Basis unter den meist türkischen Akkordarbeiter*innen, übersahen jedoch, wie weit die Identifikation der qualifizierten Facharbeiter*innen und der Angestellten mit der Firma ging. Besonders in Anbetracht der 1983 hereingebrochenen Wirtschaftskrise waren viele erst mal bereit, die Nähe zur Geschäftsleitung zu suchen. Für uns heute ist es wichtig zu sehen, wie schwierig es oft ist, auf die differenzierte Bewusstseinslage der Beschäftigten einzugehen. Eine kämpferische Betriebsarbeit kann nicht aus schablonenhaften Patentrezepten entwickelt werden, sondern erfordert eine genaue Detailkenntnis und eine gründliche Diskussion von Perspektiven, Strategie und Taktik.

Die manipulierte BR-Wahl wurde angefochten und sofort begann die Repression des Unternehmens: Knirsch, Vollmer und Köbrich wurden fristlos entlassen, mit Zustimmung des „vernünftigen“ Betriebsrats! Sie klagten auf Wiedereinstellung und damit begann eine drei Jahre lange Auseinandersetzung vor den Arbeitsgerichten aller Instanzen. BMW verlor zwar sämtliche Kündigungsprozesse, schob aber schamlos eine Kündigung nach der anderen hinterher, mochte die Begründung auch noch so absurd sein. Das Unternehmen war eher bereit, millionenschwere Summen als Zwangsgeld zu zahlen, als die Anordnung der Gerichte zu befolgen, die Weiterbeschäftigung der Entlassenen zu ermöglichen. So erreichte BMW schließlich, dass der eigentliche Streitfall – die BR-Wahl 1984 – lange nicht verhandelt werden konnte, da zuvor die Betriebszugehörigkeit der Entlassenen geklärt werden musste. Mit diesem Trick gelang es, den illegitimen Betriebsrat zum Nutzen der Aktionär*innen mehr als drei Jahre lang im Amt zu halten.

Die juristische Auseinandersetzung wird in einem Beitrag von Bodo Zeuner (ursprünglich vom Anfang der ‘90er Jahre) auch für Laien verständlich erklärt. Wer eine Vertiefung wünscht, kann die Beiträge aus der Zeitschrift „Kritische Justiz“ aus den Jahren 1985/86 nachlesen, die sich in einer der Broschüren des Soli-Komitees finden. Zeuner (der damalige Vorsitzende des Soli-Komitees) erklärt, dass die Einstellung der Arbeitsgerichte weitgehend nicht als „Klassenjustiz“ – im Sinne einer Voreingenommenheit für die Arbeitgeberseite – abgetan werden kann. Vielmehr spricht er von einer „Ohnmacht des Arbeitsrechts“ und unterscheidet: „Sie ist zum Teil eine von der Justiz selbst gewollte, zum anderen Teil die Ohnmacht des Rechts gegen Unternehmermacht. Sofern diese Ohnmacht selbst gewollt ist und dabei die Rechte der abhängig Arbeitenden missachtet werden, spreche ich […] von Arbeits-Unrecht. […] Sofern die Ohnmacht des Arbeitsrechts aber darin liegt, dass die Gerichte, was immer sie auch an Urteilen und Beschlüssen fällen mögen, gegen die Macht des Unternehmens gar nicht ankommen, spreche ich von Arbeits-Un-Recht. Ein Recht, das gar nicht gilt, aber so tut, als gälte es.“

Durchgehend deutlich wird in der Darstellung, was Macht und Recht miteinander zu tun haben. Das Kapital pflegt ein instrumentelles Verhältnis zum Arbeitsrecht. Die Durchsetzung von Bürgerrechten im Betrieb wird nicht etwa von staatlicher Seite garantiert, sondern muss von den Beschäftigten gegen eine ökonomische und ideologische Übermacht errungen werden. Das wissen diejenigen Kolleg*innen, die heute mit dem Gedanken spielen, in einem kleinen oder mittelgroßen Dienstleistungsunternehmen einen Betriebsrat zu gründen – aber den Gedanken kaum auszusprechen wagen. Das wichtigste Instrument der Beschäftigten in solchen Kämpfen ist zunächst mal ihre Gewerkschaft. Und auch hier hat sich BMW Berlin als ein Lehrstück erwiesen.

Zunächst war die IG Metall stolz auf die positive gewerkschaftliche Entwicklung im BMW-Werk Berlin-Spandau. Doch als es zwischenzeitlich zum Sieg der „Mannschaft der Vernunft“ (mit IG Metall-Mitgliedern) gegen die offizielle Liste der IG Metall (mit Knirsch und Vollmer an der Spitze) kam, vollzog die Gewerkschaft eine Wende, verteidigte ihre Mitglieder im manipulativ gewählten Betriebsrat und verweigerte den Entlassenen die Unterstützung der Wahlanfechtung. Dies machte die Gründung des Solidaritätskomitees nötig, das die eigentlichen Aufgaben einer Gewerkschaft in einem solchen Kampf übernahm. Einige Flugblätter des Soli-Komitees (noch echte Handarbeit!) sind in dem Buch nachzulesen.

Bereits ein Jahr später kam es jedoch zu einer erneuten Wende der IG Metall. Die Prozesserfolge, die gegen den Rat der IG Metall zustande gekommen waren, wurden nun als Fortschritte für die Arbeitnehmer bezeichnet. Bodo Zeuner sieht in der „Lernfähigkeit der Gewerkschaft“ einen der wesentlichen Gründe für den Erfolg, neben der „Öffentlichkeit als Druckmittel“ und „standhafte[n] Belegschaftsvertreter[n], die auch persönlich viel einstecken können“. Das Buch lässt sich auch als ein Beispiel für ein kritisches, aber vollkommen unsektiererisches Verhältnis gegenüber der Gewerkschaft lesen. Dies kommt am besten wohl in Peter Vollmer zum Ausdruck, der zeitweilig wegen angeblicher „Unvereinbarkeit“ aus der IG Metall ausgeschlossen war, aber dennoch aus Überzeugung am meisten Neumitglieder warb.

Die damaligen Konflikte in der IG Metall ziehen sich bis heute durch. Die Auseinandersetzung zwischen klassenorientierten und sozialpartnerschaftlichen Tendenzen muss in der Gewerkschaft offen geführt werden. Im konkreten Fall von BMW Berlin ist es ein Erfolg der kämpferischen Betriebsarbeit seit den ‘80er Jahren, dass die Gewerkschaft dort bis heute zwei Betriebsratslisten als Listen der IG Metall anerkennt. Die Arbeit der „Klaren Linie“ kann im Labournet  nachgelesen werden.

Wir erleben seit Jahren ein verschärftes Vorgehen der Arbeitgeber gegen Betriebsräte und gewerkschaftlich aktive Beschäftigte. Dazu meinte Rainer Knirsch in einem Interview mit der taz am 16.03.2015:

„Das ‚Union Busting’ der achtziger Jahre war der Anfang: Die systematische Bekämpfung von uns aktiven Gewerkschaftern durch insgesamt 20 kettenartige Kündigungen, durch Inszenierung einer hetzerischen Betriebsversammlung zur Amtsenthebung, zuletzt durch Einsatz einer Detektei und Rufmord über Presse und Rundfunk. Ähnliche Methoden der Arbeitgeber erleben wir heute ständig, etwa gegen Betriebsräte bei Neupack oder Enercon.“

In „Macht und Recht im Betrieb“ wird das damalige Vorgehen noch als Tabubruch bezeichnet. Ein Angriff, der mit Hilfe einer breiten Solidaritätskampagne zurückgeschlagen werden konnte. Die Entlassenen mussten schließlich weiterbeschäftigt werden. Rainer Knirsch stand von 1994 bis 2002 an der Spitze des Betriebsrats.

Heute wird das „Union Busting“ immer mehr zur Normalität. Betriebliche Gegenwehr ist bitter nötig; und oftmals müssen dafür die Kampfmittel erst geschaffen werden. Die Erfahrungen von Rainer Knirsch, Peter Vollmer und Hans Köbrich sind ein reicher Erfahrungsschatz, den wir uns zu Nutze machen sollten. Hilfreich dabei ist auch die Einleitung des Buches, die fundiert erklärt „was heute immer noch so ist und was anders ist“.


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