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„Neues Deutschland“ vom 25.7.2007

„Trennungen überbrücken“
„Obwohl einige der letzten Tarifrunden wegen der günstigen Konjunktur aus Gewerkschaftssicht sehr gut gelaufen sind, ist die Defensive der Arbeitnehmerseite längst nicht überwunden. Abschlüsse wie der für Gewerkschaft wie Mitarbeiter nicht besonders erfolgreiche Tarifkompromiss bei der Deutschen Telekom halten die Diskussion über Einfluss und Möglichkeiten der Arbeitnehmerorganisationen auch weiter aktuell. Schließlich ist es längst keine Ausnahme mehr, wenn die Arbeitnehmerseite in Tarifauseinandersetzungen schmerzhafte Zugeständnisse machen muss. Das ist ein Ausdruck „der Krise gewerkschaftlicher und vergleichbarer sozialer Organisationen, die sich als Durchsetzungsorgane für die Bestimmung und Verwaltung von Mitgliederinteressen verstanden haben“, schreiben die Herausgeber eines kürzlich im Verlag „Die Buchmacherei“ erschienen Bandes.
Neun Autoren widmen sich der immer aktuellen Frage, wie Arbeitnehmer im „Postfordismus“ für ihre Interessen kämpfen können. Was bedeutet es für eine gewerkschaftliche Interessenvertretung, wenn sich die Mitglieder nicht mehr über ihre soziale Situation austauschen können, weil die Arbeitszeitgestaltung und räumliche Trennung einen Kontakt kaum mehr möglich macht? Wie haben Gewerkschaften in anderen Ländern auf vergleichbare Veränderungen im Arbeitsprozess reagiert – und was können wir davon lernen? Kann die Konzentration auf das Thema „Prekarität“ wieder neue Impulse für soziale Bewegungen schaffen?
Die im Band versammelten Beiträge wurden im Rahmen von Arbeitsgruppen und Diskussionsrunden im Bremer Verein SEARI („Social Economic Action Research Institute“) gehalten. SEARI war bis 2004 der Bremer Universität angegliedert und forscht jetzt als unabhängiger Verein über die gegenwärtigen Veränderungen des globalen Kapitalismus und Ansatzpunkte für sozialen Widerstand unter diesen neuen Bedingungen.
Willi Hajek kommt bei seinem Vergleich von Erwerbslosenprotesten in Frankreich und Deutschland zu durchaus interessanten Ergebnissen. Während die wohl größte deutsche Gewerkschaftszeitung „ver.di-Publik“ jüngst eine ellenlange Reportage über den Arbeitsalltag einer eifrigen Beamtin abdruckte, die berufsmäßig Erwerbslosen auf der Jagd nach „Sozialbetrügern“ bis in die Badezimmer nachspioniert und sich über die Anspruchsmentalität von Hartz-IV-Empfängern aufregte, verfassten gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter von Arbeits-ämtern in Frankreich eine Erklärung, in der sie sich selbst verpflichteten, auf keinen Fall Menschen zu schaden, die durch den Verlust von Beschäftigung und Einkommen ohnehin benachteiligt sind.
Die Software-Entwicklerin Inken Wanzek beschreibt die Entstehung eines Mitarbeiter-Netzwerkes, das lange dem Druck von Siemens standgehalten hat, obwohl es wegen seiner kämpferischen Haltung erst mit dem Unternehmen und später mit der IG Metall in Konflikt geraten ist.
Dirk Hauer und Martin Dieckmann beschäftigen sich in ihren Beiträgen kritisch mit der aktuellen Debatte um das „Prekariat“, die mittlerweile längst das Mainstream-Bewusstsein erreicht hat. „Es sollte zu denken geben, dass zwar die Kämpfe (…) der Prekären beschworen werden (…), gleichzeitig aber auf die Kämpfe gegen den Prekarisierungsangriff etwa bei Daimler oder Opel kaum Bezug genommen wird.“
Das Buch zeigt an einigen Beispielen, dass Widerstand auch im „Postfordismus“ in den verschiedenen Bereichen möglich ist. In diesem Zusammenhang liefert der Band auch Bausteine für eine Theorie sozialer Bewegungen.“

Peter Nowak


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