Sozialistische Zeitung (SoZ) 04-2009

Ein Laboratorium wichtiger Erfahrungen

Der Streik bei AEG/Electrolux in Nürnberg 2005-07

Bei der Diskussion um die Herausgabe dieses Buches, an der ich beteiligt war, haben wir uns noch Gedanken gemacht, wie der Arbeitskampf, um den es in diesem Buch geht, einen aktuellen Bezug bekommen kann. Diese Sorge war unbegründet. In den nächsten Monaten werden dutzende von Betrieben vor ähnlichen Problemen stehen wie die AEG-Belegschaft in Nürnberg, die sich in der Zeit von 2005-07 gegen die Schließung des Werkes durch den Electrolux-Konzern zur Wehr setzte. Die boomenden Jahre sind vorbei und der Verlust eines Arbeitsplatzes bedeutete schon damals für die meisten der Betroffenen den sozialen Absturz. Dies erklärt die Sprengkraft und die Verbissenheit, mit der hier gekämpft wurde. Sie überwand mühelos die Betriebsgrenzen und setzte eine ganze Region in Aufruhr. Die üblichen politischen Abgrenzungen und Denkverbote wurden außer Kraft gesetzt. Linksradikale und konservative kleine Geschäftsinhaber fanden sich nebeneinander auf Listen, die zum Boykott der Weißen Ware des Konzerns aufriefen. Eine zentrale Rolle spielte – wie bereits in den vorausgehenden Kämpfen um Werksschließungen – die IG Metall, die hier in einem taditionell gut organsierten Betrieb über Einfluss und Ressourcen verfügte. Doch waren der Vorstand und das von ihm abhängige Personal nicht bereit, dieses Guthaben voll für das Überleben der Belegschaft in die Waagschale zu werfen. Das verzweifelte Festhalten an einer wirkungslos gewordenen sozialpartnerschaftlichen Orientierung und die Angst vor den unkalkulierbaren Folgen eines nur noch politisch begründbaren Streiks, der sich über die Grenzen des Arbeitskampfrechts hinwegsetzt, führten dazu, dass die IG Metall mehr auf den Bremsen stand, als Hebel zu sein, die Kraft der Lohnabhängigen zu entfesseln. Wie dies im Einzelnen funktionierte, zeigt das Buch, das von der Redaktion „Druckwächter“ herausgegeben wurde. Der Name ist Programm. Die Druckwächter, eine Gruppe von AEG-KollegInnen und externen UnterstützerInnen, warfen sich mächtig ins Zeug, um den Druck auf den Konzern aufrechtzuerhalten und weiter zu erhöhen. Wie die KollegInnen das gemacht haben, und wie sie es geschafft haben, die Auseinandersetzung über die Grenzen des gewerkschaftlich Vorgesehenen zu treiben, ist zentraler Gegenstand des Buchinhalts und sehr lehrreich für alle, die sich diese Aufgabe setzen. Erstes sichtbares Ergebnis war der Beginn einer spontanen Arbeitsniederlegung, die sich so konsolidieren konnte, dass die IG Metall zu einer Urabstimmung über einen gewerkschaftlichen Streik für einen Sozialtarifvertrag getrieben wurde.
Das Buch besteht zu mehr als der Hälfte aus Interviews. Auch dies ist eine Hilfe für die LeserInnen, die sich so ein eigenes Bild von diesem Konflikt und seinen Akteuren machen können. Eine zentrale Figur des basisorientierten Widerstands war Hans Patzelt, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender von AEG-Kanis. Hans Patzelt konnte Schlüsselerfahrungen in einem 11monatigen Streik sammeln, bei dem die AEG-Kanis-Belegschaft in den 80er Jahren erfolgreich die schrittweise Abwicklung des Betriebs verhindern konnte. Der langjährig in der IG Metall aktive Kollege betätigt sich als Grenzgänger und Verbinder so unterschiedlicher sozialer und politischer Milieus wie der sozialdemokratisch geprägten deutschen Gewerkschaften und der linksradikalen Szene. Auch nutzte er seine Position wirkungsvoll aus, die Rathausparteien und öffentliche Gremien im Sinne der AEG-Belegschaft so zu instrumentalisieren, dass der politische Spielraum des Streiks erweitert wurde. Obwohl Patzelt bewusst die Strategie der IG Metall unterlief, hält er eine Debatte mit den dort Verantwortlichen immer noch für eine lohnende Aufgabe.

Weiter zu Wort kommen organisierte Erwerbslose, die gewerkschaftliche Verwurzelung mit dem Geist der sozialen Bewegung kombinieren und Mitglieder des Nürnberger Sozialforums, die vor allem eine erfolgreiche Boykottkampagne ins Leben riefen, die das außerbetriebliche Unterstützerpotenzial nutzte und Electrolux einen Einbruch der Bestellungen um 25% brachte. Sehr interessant ist auch das Interview mit AktivistInnen der Organisierten Autonomie, die in Nürnberg eine mobilisierungsfähige Kraft ist. Ihre Reflexionen zur politischen Praxis linksradikaler Organisationen verdienen diskutiert zu werden. Das trifft auch auf ihre Position zu den Gewerkschaften, die sich wohltuend von der doch oft sehr schlichten Verrats-Diskussion abheben. Dass aber die Praxis des IGM-Apparates in diesem Konflikt durchaus mit diesem Etikett belegt werden kann, wird an den Interviews mehrerer Kollegen deutlich. Obwohl erkennbar politisch und sozial unterschiedlich berichten sie übereinstimmend über ihre Beobachtungen darüber, wie die Belegschaft getäuscht und instrumentalisiert wurde. Ob nun allerdings ohne Tricks und Täuschungen die Zustimmung von 81% für das Ergebnis, das von 46 von 50 Mitgliedern der Tarifkommission bestätigt wurde, andersherum hätte ausfallen können, ist aller-dings fraglich. Den verantwortlichen IG Metall-Funktionären reichte das. Eine offene und ehrliche Auseinandersetzung mit der eigenen Politik, die auch nicht vor einer chauvinistischen Aufladung des Konflikts mit Slogans wie „AEG ist Deutschland“ zurückschreckte, sucht man hier vergeblich. Eine vom IG Metall- Bezirk Bayern hergestellte Broschüre „Der AEG-Streik in Nürnberg“ feiert im Stil schlechten Marketings den eigenen Erfolg und lässt Bertold Huber im Vorwort erklären, der Streik für einen Sozialtarifvertrag sei kein Zukunftsmodell. Doch nicht an den Übergang zu einer offenen politischen Auseinandersetzung mit dem repressiven deutschen Arbeitsrecht  ist dabei gedacht, sondern daran, zukünftig das Risiko solcher Arbeitskämpfe überhaupt zu vermeiden. Eine Hilfe für die LeserInnen ist eine umfangreiche Chronologie und der Abdruck des abgeschlossenen Sozialtarifvertrages mit erklärender Kommentierung.

Breiten Raum nimmt am Schluss des Buches ein Workshop ein, bei dem auf den Pfaden von Clausewitz versucht wird, eine alternative Strategie zu entwickeln, mit der es in Zukunft vielleicht möglich sein könnte, den Gegner in die Knie zu zwingen. Neben der zweifellos richtigen Beobachtung, dass eine erfolgreiche betriebliche Arbeit einen Vorlauf von Jahren hat und einen weiten Blick auch auf die außerbetrieblichen Kampfressourcen haben muss, landen die teilnehmenden Akteure jedoch auch bei sehr zweifelhaften Konzepten. So sieht sich die Mehrheit in der Rolle des Generalstabs, der aus der Befürchtung heraus, „Agenten des Feindes“ könnten in eine eigenständige Streikleitung gewählt werden, dagegen ist, diese offen durch die Belegschaft wählen zu lassen. Hier vollzieht sich dann unter der Hand der Übergang zu neo-leninistischen Konzepten, die so ziemlich auf das Gegenteil von dem hinauslaufen, das dem ganzen Buch seinen sympathischen Stempel aufdrückt: die Vorstellung, dass die Menschen selber über ihr Schicksal entscheiden und sich selber in Bewegung setzen müssen.   

Jochen Gester

 

EXPRESS Ausgabe 6/09

"Gegen diese ganze, globalisierte Ökonomie"

Der AEG-Streik in Interviews und Dokumenten

2003 stellten die KollegInnen des AEG/Elektrolux-Werkes in Nürnberg einen Produktionsrekord auf: Sie montierten nicht weniger als 1,8 Millionen Waschmaschinen, Geschirrspüler und Trockner. Dabei war bereits zu diesem Zeitpunkt die Zahl der insgesamt in den europäischen Elektrolux-Werken Beschäftigten in nur zehn Jahren von etwa 110000 auf 77000 Menschen gesunken. Die »Restrukturierung«, die danach kam, hatte in Nürnberg zur Folge, dass das Werk mit seinen im Jahre 2005 noch 1750 Beschäftigten bis zum Ende März 2007 geschlossen wurde. Dazwischen lag der große Streik, der in dem vorliegenden Sammelband der Redaktion »Druckwächter« (1) dokumentiert wird.

Peter Birke setzt mit dieser Rezension unsere Serie »Teilnehmende Beobachtungen – Neue Literatur über Arbeitskämpfe« fort.

Nach der Verkündigung des Schließungsplans traten die KollegInnen zunächst im Dezember 2005 – auch für die IGM überraschend – in einen wilden Streik. Nach Neujahr folgte dann ein wochenlanger, spektakulärer »offizieller« Arbeitskampf, den die Gewerkschaft mal mehr, mal weniger im Griff hatte. Viele Menschen bundesweit hatten damals die Hoffnung auf einen Bruch mit der Standortlogik, und der AEG-Streik wurde zu einem von mehren Symbolen dieser Hoffnung. Die Orientierung der Unternehmensführung am Shareholder-Value-Prinzip machte die Kritik an der Schließung durchaus profitabler Betriebe auch außerhalb der Gewerkschaftslinken damals hoffähig. Zu einer breiten Aufmerksamkeit für die Anliegen der AEG’ler trug vor allem die Solidarisierung in der Stadt bei: Sozialforum und Nürnberger Linke initiierten eine Boykottaktion, die Elektrolux einen Verkaufseinbruch von etwa 25 Prozent bescherte. Die Stimmung war gut, dennoch endete der Streik im März 2006 mit dem Schließungsbeschluss. Die IG Metall feierte dabei ihren »Sozialtarifvertrag«, der allerdings nur für eine kleine Minderheit der »Freigesetzten« einen realen Ausgleich für jahrelangen Verdienstausfall bedeutete. Bis zur endgültigen Schließung wurde das Werk dann für seinen hohen Krankenstand, eine demoralisierte Belegschaft und sogar offene Sabotageaktionen berühmt.
Das Buch schildert diese Geschichte sehr kenntnisreich. Es besteht aus 15 Texten, die den Streik größtenteils in Interviewform aus vielen verschiedenen Perspektiven reflektieren, außerdem aus zwei Berichten über zwei Arbeitskämpfe, die im (weiten) Vorfeld des AEG-Streiks stattfanden, Vorgeschichten sowie einer detaillierten Chronologie. Der Text schließt an die ebenfalls sehr guten Dokumentationen einiger lokaler Streiks seit 2005 an.(2)

Ein politischer Streik

Das Buch ist zugleich mehr als eine Dokumentation eines lokalen Streiks; es ist (leider) sehr aktuell. Hier wird diskutiert, wie die IG Metall das Ziel des Werkserhaltes nach einigen »euphorischen« Streikwochen nach und nach beiseite schob und einen »Sozialtarifvertrag« akzeptierte. Das Resultat der Urabstimmung – eine klare Zustimmung zum Abschluss und damit zur Werksschließung – war einer Mischung aus Vertrauen in die lokale Streikleitung, Intransparenz und Resignation geschuldet. Gleichwohl wurde die IG Metall nach diesem und einigen anderen Arbeitskämpfen gegen Massenentlassungen und Firmenschließungen zögerlich; selbst das reduzierte Ziel, »Sozialtarife« zu erkämpfen, bedeutet aus Sicht der Bürokratie immer auch das Risiko der Verselbstständigung der Streikenden. Trotz aller Rede über das »Organizing« hat der Apparat an einer solchen Verselbständigung kein Interesse. Kein Zufall, dass der Krise derzeit vor allem durch Appelle an Staat und Unternehmer begegnet wird. Auch andere Facetten des AEG-Kampfes erscheinen aktuell, so etwa, wenn man daran denkt, dass die IG Metall während eines »Aktionstages weiße Ware« Tausende von Schildern mit der Aufschrift »AEG ist Deutschland« verteilte. Man denkt an Opel und Arcandor und wünscht sich jene organisierten Erwerbslosen, AktivistInnen des Sozialforums und betrieblichen Vertrauensleuten herbei, die den Slogan bei AEG im Jahre 2006 öffentlich angriffen. Denn »AEG ist Deutschland« war ein Schlag gegen den Versuch, Solidarität zwischen Arbeitenden in einem transnationalen Konzern, der in 60 Ländern produziert, zu schaffen. Auch substanziell stellte die Boykottkampagne gegen Elektrolux eine andere Antwort dar als die damalige und derzeitige Deutschtümelei bei der Rettung von Großbetrieben. Im Buch wird dies durch ein Interview mit italienischen AEG-Kollegen illustriert, das zugleich etwas über die Mittel im Kampf sagt: »Mich erinnert das hier eher an eine Betriebsbesetzung.«

Ein Kapitel in der Geschichte der Betriebsbesetzungen

Betriebsbesetzungen, Blockaden der Werkstore, ein Arbeitskampf, der die ganze Stadt in Atem hält, das alles ist in der bundesdeutschen Streikgeschichte nichts Neues: Von den migrantisch geprägten Kämpfen um 1970 über die Kämpfe gegen Firmenschließungen von Erwitte bis zur Hamburger HDW – immer wieder griffen Belegschaften zu diesem Mittel, immer wieder erschienen die Kämpfe zugleich als ungeheuer spektakulär und neuartig. Das Anliegen der AutorInnen des Buches ist insofern, dieses Mal aus Erfahrungen zu lernen. In diesem Kontext werden die Streikerfahrungen des Hans Patzelt dokumentiert, der bei AEG-Kanis in elf Monaten 24 mal gestreikt hat, ebenso wird von der Zerschlagung des Münchner Infinion-Streiks im Jahre 2005 durch einen polizeilichen Angriff auf die Streikposten berichtet. Während der Bericht zu AEG-Kanis zeigen soll, dass es bei entsprechender Kampfbereitschaft durchaus möglich war, eine Firmenschließung ganz zu verhindern, wird die Erfahrung bei Infineon zur Vorgeschichte gezählt, da insbesondere die IG Metall hier nach Auffassung der AutorInnen gelernt habe, wie das »Drehbuch des AEG-Streiks« auszusehen habe. Dieser Teil des Buches bleibt allerdings sehr anekdotisch und unsystematisch, eine »eigene Geschichte« wird daraus nicht.
Die Personengalerie ist sehr holzschnittartig zusammengesetzt: »die IG Metall«, »der kämpferische Betriebsrat«, »die Kollegen«, allesamt »Akteure«, aber allesamt zugleich ohne Widersprüche und Schatten gezeichnet. Das Beispiel Infineon soll wohl vor allem zeigen, wie die IGM von Anfang an zum »Verrat« tendierte, gelernt werden kann daraus jedoch lediglich, was man schon immer über »die Gewerkschaften« vermutet hat. Im Vergleich etwa zu der bei Assoziation A veröffentlichten Arbeit über den Streik bei Gate Gourmet sind die »Druckwächter« an dieser Stelle zu wenig an Brüchen und Widersprüchen interessiert; damit werden Handlungs- und Lernmöglichkeiten aus meiner Sicht eher verdeckt als eröffnet. Am Ende wird auf dieses Problem zurückzukommen sein.

Mehr Aufschluss geben da die Berichte aus sozialen Bewegungen, die ihre Solidaritätsarbeit als Strategie der Ausdehnung des Streiks über die Fabrik mauern hinaus schildern. So wird nicht nur dargestellt, wie die »AEG ist Deutschland«-Kampagne durch eine Performance, die die Bosse als Urheber der Probleme zeigte, gestört werden konnte. Es wird zudem über Stadtteil-demonstrationen und vieles mehr berichtet. Insgesamt ging es der buntscheckigen beteiligten Linken, neben der heute unvermindert aktuellen Forderung nach einem »Streikrecht für Arbeitsplätze«, um nicht weniger als darum, »die ökonomische Frage mit all ihren Verwerfungen« sowie den Protest gegen »die ganze globalisierte Ökonomie« in den Blick zu nehmen, wie es ein Aktivist des Sozialforums formuliert. Das Buch zeigt, wie Kämpfe in der Krise politisiert werden, wobei vorschnelle linke Euphorie hier fehl am Platz ist, denn von »Politisierung« sprach zu dieser Zeit ja auch Stoiber, »politisch« ist auch die Standortlogik, und sogar der dieser Standortlogik immanente Nationalismus ist eine »politische« Setzung. Der AEG-Streik war kein Konflikt um die Frage, ob es um Politik ging, sondern ein Kampf darum, Politik als Klassen- statt als Standortkampf zu verstehen.

Für die Frage schließlich, wie aus defensiven Aktionen ein Bruch mit der kapitalistischen Wirklichkeit werden kann, sind nicht zuletzt Erfahrungen entscheidend, die nur im Inneren der Fabrik gemacht werden können. Sehr interessant ist, wie die betriebliche Gruppe »Druckwächter« Informationen aus dem Betrieb sammelte und über das Netzwerk IT, eine lokal und zum Teil sogar überregional wirksame Internet-Plattform, verbreitete; Informationen über Arbeitsbedingungen und Unruhen, die sonst »diskret« bleiben. Ein Highlight des Buches ist die Darstellung der Vorgeschichte des wilden Streiks im Dezember 2005. Deutlich wird, wie wichtig betriebliche Kollektive sind, die in der entscheidenden Situation eine Alternative zum Zurückweichen der Betriebsräte und der offiziellen Gewerkschaft formulieren können. Der erste, wilde Streik führte der IG Metall das Ausmaß eines möglichen Kontrollverlust vor Augen und zwang sie zum Handeln, das heißt zu einer Mischung aus Integration und Marginalisierung der innerbetrieblichen und überbetrieblichen Bewegung. Erst am Ende des Kampfes, nach der Verabschiedung des »Sozialtarifvertrages«, gelang es der größten deutschen Einzelgewerkschaft schließlich, die linke und migrantische Kritik ganz zu marginalisieren.

Ein offenes Ende

Traurig ist, dass die AutorInnen am Ende den »Streik als Schlacht« propagieren und so die Erkenntnisse, die dieses Buch enthält, durch die vergilbte Brille eines Militaristen wie Clausewitz und eines Stalinisten wie Losowski betrachten. Kollektiver Widerstand gegen Betriebsschließungen wird ebenso wie die Kritik an den Inhalten der Arbeit und der Art der Produkte keine Perspektive haben, wenn die Arbeitenden nur als Schachfiguren auf einem imaginierten Schlachtfeld gehandelt werden. Die selbst ernannten Feldherren – auch in dieser Hinsicht gibt es ja Erfahrungen schon seit den 1960er Jahren – werden schnell den Überblick verlieren. In ihrer Ablehnung der Spontaneität und des Experimentellen sind sie den ansonsten arg kritisierten Bürokraten nicht unähnlich. Heute kommt es nicht darauf an, »Ordnung in die Reihen zu bringen«, sondern zu untersuchen, welche Formen zukünftige soziale Kämpfe annehmen können, einen Weg aus dem Elend der kapitalistischen Gesellschaft zu finden – ausgehend davon, dass es ein heute noch unbekannter Weg ist.

Peter Birke*

* Peter Birke ist aktiv in der »Gruppe Blauer Montag«, arbeitet an der Universität Hamburg und als freier Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung

(1) »Druckwächter« waren einerseits Kolleginnen und Kollegen bei AEG, die der IG Metall gegenüber von vornherein skeptisch eingestellt waren, andererseits handelt es sich um ein Geräteteil, das in jede Waschmaschine montiert wird.

(2) Jochen Gester / Willi Hajek (Hg.): »Sechs Tage der Selbstermäch-tigung. Der Streik bei Opel in Bochum Oktober 2004«, Berlin 2005; Flying Pickets (Hg.): »Auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet«, Berlin/Hamburg 2007; Jochen Gester et al. (o.J.): »Es geht nicht nur um unsere Haut. Der Streik beim Bosch-Siemens-Hausgerätewerk in Berlin-Spandau«, Berlin

 

NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung vom 15.7.2009

"... authentisch und leicht lesbar"

Nach dem Buch „Sechs Tage der Selbstermächtigung“ über den Opelstreik 2004 in Bochum hat der kleine Berliner Verlag “Die Buchmacherei“ Anfang dieses Jahres ein zweites Buch über einen bedeutenden Streik herausge-bracht. Der Kampf der AEG-Belegschaft in Nürnberg um den Erhalt ihrer Fabrik weist eine wichtige Parallele zum Opelstreik in Bochum auf.
 
Die IG Metall sah sich schließlich durch die selbstbewussten und eigenmächtigen Aktionen und Streiks der Belegschaften gezwungen, in den offiziellen Streik zu gehen. Dabei wurden die Grenzen gewerkschaftlichen Handelns gegen den Willen der IG Metall-Leitung überschritten. Doch im Endeffekt konnte die Werkschließung in Nürnberg aufgrund der eindeutigen Machtverhältnisse und des zahmen Verhaltens der IG-Metall-Chefs nicht verhindert werden. Aber wichtige Ergebnisse dürfte dieser Kampf der AEG-Belegschaft in Nürnberg gezeitigt haben. Die Streikbeteiligung und das Anschwellen der Solidarität innerhalb und außerhalb der Fabrik, in der Waschmaschinen und Geschirrspüler hergestellt wurden, haben sicher bei vielen KollegInnen nachhaltige Spuren hinterlassen. Und der zähe Widerstand der AEG-Beschäftigten, zusammen mit dem vom Nürnberger Sozialforum gestarteten und von der Belegschaft begrüßten Boykott, zwang das Management, die Restrukturierung der westeuropäischen Konzernstruktur um zwei Jahre auszusetzen und das Werk in Rothenburg erst einmal bestehen zu lassen.
 
Breite und aktive Solidarität
 
Das Buch besteht überwiegend aus Interviews, was die Wiedergabe der Streikentwicklung mit der Vernetzung von außerbetrieblicher Solidarität, die Stimmungen, Erlebnisse und Einschätzungen sehr authentisch und leicht lesbar macht. Es kommen Streikbeteiligte zu Wort, ebenso VertreterInnen einer breiten und aktiven Solidarität, die von der Aktionsgemeinschaft  Nürnberger Arbeitsloser über den langjährigen IG Metaller und Betriebsrat bei AEG-Kanis, Hans Patzelt, dem Nürnberger Sozialforum, der außerbetrieb-lichen Organisation Autonomie bis hin zum alternativen Radiosender Z reicht. Interviews und Erläuterungen veranschaulichen, wie sich durch Wut in der Belegschaft, aber auch durch eine kluge Unterstützung von außen, womit nicht die politischen Parteien gemeint sind, die sich dort gezeigt haben, ein hartnäckiger, zäher Widerstand entwickelte, der auch in der Bevölkerung breite Unterstützung fand. So hat die Gruppe Organisation Autonomie durch Unterschriftensammlungen und Stadtteildemonstrationen einen ansehnlichen Teil der Menschen außerhalb des Betriebes aktiv für die Unterstützung mobilisieren können.
 
Kommunikation per "Druckwächter“
 
Das Redaktionskollektiv des "Druckwächters“, ein Internetprojekt von AEG-Beschäftigten, hat Flugblätter zu den Streikereignissen herausgegeben und dieses Buch zusammengestellt. Die Gruppe nutzte das Internet innerhalb des „Netzwerkes IT“, um die Kommunikation der KollegInnen im Betrieb herzustellen. Die verbreitete Losung dieser Gruppe: „Wir bleiben hier, dafür kämpfen wir!“, die in der Belegschaft auf breite Resonanz stieß, wurde schließlich von der IG Metall übernommen, nachdem sie sich durch das spontane Handeln der Belegschaft gezwungen sah, auch in den Streik zu gehen. Aber da es in Deutschland außerhalb der offiziell-tariflichen Auseinandersetzungen keine gesetzlich zugestandenen Streiks gibt, war die Gewerkschaftsführung trotz der Übernahme dieser Losung aber nur bereit, für einen Sozialtarifvertrag zu streiken.
 
In einem Interview von Radio Z mit drei Arbeitern der Fabrik kommen nach Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses von IG Metall und Unternehmen unterschiedliche Bewertungen heraus, die das Ergebnis mit der Verunsiche-rung über die eigene Zukunft erklären. Die Belegschaft ist mit dem Verhand-lungsergebnis der Tarifkommission zwar unzufrieden, aber am Ende sind es laut IG Metall bei der Urabstimmung dann angeblich doch 81 Prozent, die das Ergebnis akzeptieren, eine Zustimmungsquote, die die "Druckwächter“ nach eigenen Berechnungen bestreiten, da die nicht abgegebenen Stimmen entgegen der Satzung nicht als Neinstimmen mitgezählt wurden.  
 
Anti-Aufstandspolizei und Naziseite im Internet
 
Auch die dunkelsten Seiten der Macht kommen zum Vorschein. Am Anfang wird geschildert, wie der Einsatz der bayerischen Anti-Aufstandspolizei USK mit gewaltsamen Eingriffen dafür sorgt, dass Streikbrecher genügend breiten Zugang zum Werk haben. Eine große Zahl von StreikunterstützerInnen wurde mit Foto, Personalien und einer willkürlichen Zusammenstellung von Zuge-hörigkeiten zu linken Gruppen im Internet auf einer Naziseite veröffentlicht.
 
Am Schluss wird über einen Workshop berichtet, der sich damit beschäftigt, wie sich der Gegner letztendlich doch besiegen lässt. Dabei mutet es mir fremd an, sich an militärischen Regeln zu orientieren, die dem Konzept der Kommunistischen Internationale bzw. der Roten Gewerkschaftsinternationale aus den zwanziger Jahren entspringen.
 
Das Buch veranschaulicht durch die Interviews und die ausführlichen Schilderungen, warum und wie konkret Klassenkämpfe ausbrechen und wieder aufhören. Das bedeutet, dass die Zeit der Klassenkämpfe nicht vorbei ist, zeigt aber auch die engen Grenzen, solange diese Kämpfe nicht zu einem Kampf in breiter Solidarität über die Fabriktore hinweg zusammen-schmelzen. Aber das wäre Stoff für ein anderes Buch. 
 
Werner Ruhoff


„Junge Welt“ vom 21.07.2009

Kampferfahrungen in Nürnberg

Aktivisten des AEG-Streiks 2005/2006 schildern ihre Sicht der Dinge. Heftige Kritik an IG-Metall-Spitze

Der Kampf gegen Entlassungen und Betriebsschließungen wird in den Klassenauseinandersetzungen der kommenden Monate eine zentrale Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, aus Konflikten, die in der Vergangenheit um diese Themen geführt wurden, zu lernen und die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen. Ein bedeutender Streik der jüngeren Vergangenheit – der formal für einen »Sozialtarifvertrag«, von vielen Beschäftigten aber für den Erhalt des Betriebs und ihrer Arbeitsplätze geführt wurde – ist der bei AEG in Nürnberg im Winter 2005/2006. In einem Buch ziehen Aktivisten und Unterstützer dieses Arbeitskampfs Bilanz.

Der Band besteht aus einer Sammlung von Eindrücken und Einschätzungen verschiedener Beteiligter, die zumeist in Interviewform festgehalten sind. Auch wenn keine einheitliche Bewertung vorgenommen wird, zieht sich ein Thema durch fast alle Beiträge: die Kritik an der IG-Metall-Spitze. Dies betrifft vor allem das Ergebnis und die Form, wie der wochenlange Arbeitskampf beendet wurde.

Verbittert äußert sich der Vertrauensmann Hüseyin. Über das Vertrauen der Beschäftigten in die IG Metall nach Beendigung des Streiks sagt er: »Das ist sehr gesunken. Wenn ich in unserem Bereich nachfrage, vertrauen die Leute jetzt keinem mehr von denen. (...) Viele haben ihre Mitgliedschaft gekündigt.« Detailliert beschreibt er das Vorgehen der Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen, das so gar nicht mit der von führenden IG-Metall-Funktionären propagierten »Beteiligungsorientierung« zusammenpaßt. Zum Beispiel heißt es zur Zusammensetzung der Tarifkommission: »Von den 35 waren 20 Leute Betriebsräte, sieben Vorarbeiter, fünf Meister, und der Rest waren wir Arbeiter. (...) Wenn man eine Tarifkommission bildet und mehr als 70 Prozent sind vom Betriebsrat ausgesucht, nur 30 Prozent von uns – was soll das sein?« Obwohl viele türkische, griechische und osteuropäische Kollegen Schwierigkeiten hatten, Deutsch zu verstehen, sei das Verhandlungsergebnis nicht übersetzt worden, berichtet Hüseyin. Mitgliedern der Tarifkommission, die bei der Auszählung der Urabstimmung dabeisein wollten, sei dies verwehrt worden. Hunderte Arbeiter, die sich nach dem Streikabbruch krank gemeldet hatten, seien nicht in die Abstimmung einbezogen worden. Zudem habe der örtliche Bevollmächtigte der IG Metall gedroht: »Ihr solltet alle ja sagen, wenn ihr nein sagen werdet, könnt ihr den Streik weiterführen ohne uns, wir stehen nicht hinter euch.« Hüseyins Fazit: »Wir haben den Funktionären vertraut. Die haben uns am Ende aber billig verkauft, Mann, wirklich billig.« Diese Erfahrung sollten andere Belegschaften, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen wollen, bedenken.

Herbert Wulf

 

„Arbeiterstimme" Herbst 2009

Wunschdenken und Überbewertung der „linken Intervention“

Der Arbeitskampf und der sechswöchige Streik der AEG-Beschäftigten in Nürnberg um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze 2005-2007 hat in Deutschland und darüber hinaus wegen seiner Härte und Breite und wegen seiner politischen Dimension Aufsehen erregt. Bei manchen Gewerkschaftern und in Kreisen der Linken sind der Streik, seine Begleitumstände und das Ergebnis heute noch ein Thema, war doch die Breite der Solidarisierung in der Gesellschaft in diesem Ausmaß ein Novum. Auch wurde die Frage aufgeworfen, ob Schließungen und Verlage­rungen von Werken angesichts mächtiger Konzerne und unter den Bedingungen der Globalisierung durch bloße Betriebskämpfe überhaupt noch verhindert werden können.
In mehreren Gewerkschaftsblättern wurde damals der AEG-Kampf behandelt, die IG-Metall Bezirksleitung München gab dazu eine Broschüre heraus. Linke Zeitschriften gaben sich mehr Mühe zur Analyse. Wir verweisen auf die Arbeiterstimme vom Frühjahr 2006, Nr. 151: „Ist der AEG-Streik ein Vorbote eines neuen Kampfgeistes?“ Große Teile des Artikels wurden in der „Arbeiterpolitik“ nachgedruckt. Die „ARSTI“ brachte dann in ihrer Nummer 155 nochmals eine „Nachbetrachtung des AEG-Streiks“.
Das zu rezensierende Buch will ausdrücklich keine Analyse des Arbeitskampfes geben. Es kommen Akteure zu Wort und „linksradikale Interventionen“ werden vorgestellt. Gleich, wie man zu den verschiedenen Akteuren und ihren Aussagen steht, es ist das Verdienst der Herausgeber, eine bisher wenig bekannte Seite meist positiver Interventionen seitens linker Gruppen und Personen in diesem Arbeitskampf vorgestellt zu bekommen. Wenn man auch manchmal den Eindruck hat, dass manche dieser Interventionen überbewertet sein könnten, so zeigt das Buch doch auch auf, welche Möglichkeiten linken Aktivisten zuwachsen können und dass man Phantasie besitzen muß, um neue Methoden auszuprobieren und die Selbsttätigkeit der Be­legschaft anzuregen. Neben berechtigter Gewerkschaftskritik sind aber auch Stimmen vorhanden, die Gewerkschaftsfeindlichkeit ausdrücken, so, wenn eine Art Verschwörungstheorie vertreten wird, die Funktionäre des „Verrats“ bezichtigt werden. („Sie haben uns verkauft“.) Schade, dass gerade manche militanten Vertrauens­leute die Notwendigkeit, taktisch zu verfahren, so gering schätzen. Es muß ja z.B. erst eine Stimmung heranreifen, bevor man mit dem Streik beginnen kann. Wenn ganze Teile der Belegschaft sich krank melden, so ist das die Flucht vor dem Kampf. Auch der geringe Organisationsgrad von 38 % war ein Zeichen der Schwäche. Der unkritische, freudige Empfang der Politprominenz durch die Streikenden war kein Zeichen von Klassenbewußtsein. Die meisten von denen sind doch mitschuldig an einer Gesellschaftsordnung, in der die Kapitalisten die Macht haben und das bestehende Streikrecht nicht mal Streiks gegen Betriebsschließungen zulässt. Von den Abfindungen der Arbeiter werden sogar Steuern verlangt, während die Unternehmer die Abwicklungskosten noch steuerlich geltend machen können.
Im Buch wird auch die Wirk­samkeit des „Netzwerks IT“ zur Medienmultiplikation geschildert. Auch die Stadtteildemonstration aus Gostenhof, die die OA (Organisierte Autonomie) durchführte, kann in ähn­lichen Fällen empfohlen werden. Die Boykottak tion, angestoßen vom Sozialforum Nürnberg, wird als großer Erfolg geschildert. Die grundsätzliche Problematik, die mit einem solchen Boykott aus linker Sicht verbunden ist, wurde anscheinend nicht hinterfragt. Betrifft der Boykott etwa die Kolleginnen und Kollegen in Polen, Italien und Schweden usw. nicht?
Im Buch kommen allgemein die Schwierigkeiten und Schwächen im Streikverlauf zu kurz oder werden nicht erwähnt. Dagegen heißt es: „Wir hätten mehr erreichen können, wenn wir länger gestreikt hätten“. Eine Begründung dafür wird nicht genannt. Wer spricht schon gern von Kräfteverhältnissen, vom Zwang, zu taktieren… Die materielle Grundlage eines so langen Streiks ist immer noch – bei allen Spenden – das gewerkschaftliche Streikgeld. Spielt das in der lin­ken Diskussion keine Rolle?
Die beiden Interviews mit Hans Patzelt sind sehr lesenswert, wenn man auch in einigen Punkten anderer Meinung sein kann. Er war vor Jahren Betriebsratsvorsitzender bei AEG-Kanis. Hier geht es geht vor allem um die elf Monate Streik gegen die Schließung des Werks, die trotz aller Widrigkeiten durch den Widerstandsgeist der Belegschaft verhindert werden konnte. Ein direkter Vergleich mit dem Kampf bei AEG/Elektrolux lässt sich jedoch unseres Erachtens nicht ziehen. Die Bedingungen waren 2005-2007 ungünstiger geworden, auch die Struktur der Belegschaft war eine etwas andere. Außerdem, ohne Blessuren (laufender Personalabbau) überstand auch damals AEG-Kanis das mehrmalige Weiterverkaufen an andere Konzerne nicht. Wichtig war schon damals, die größtmögliche Öffentlichkeit herzustellen. Darum ging es auch beim AEG-Streik, wo Hans Patzelt das Sozialforum beeinflusste und seine vielen Verbindungen nutzte: zur Frie­densbewegung, zur „Aktionsgemeinschaft Nürnberger Arbeitsloser“ bis hin zur Stadtverwaltung und dem Nürnberger Stadtrat. Zu seinen Ansichten zum AEG-Streik, an dem er die ganze Zeit über teilgenommen hat, gibt es im Buch einen extra Abschnitt. Seine nüchterne Ausgewogenheit steht schon manchmal im Gegensatz zu anderen Interviewten, die nicht frei von Wunschvorstellungen und Emotionen sind. So ist es lehrreich, dieses Kapitel eines erfahrenen ehemaligen Streikleiters zu lesen, der sowohl Gewerkschaftsfeindlichkeit wie auch sozialpartnerschaftliche Konsenspolitik von Betriebsräten und Gewerkschafts­führern zurückweist.
Auch in den 20 Seiten Interview mit Franziska von der OA, der Organisierten Autonomie, über den Streik, die Basisarbeit und die Solidarität mit den Streikenden gibt es manche erfreuliche Klarsicht.
Einen ziemlichen Umfang (40 Seiten) nimmt der „Workshop“ ein: „Strategie und Taktik in wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen am Beispiel der AEG Nürnberg.“ Da waltet dann pure Phantasie und die Arbeiterschaft des Jahres 2005 wird in das Himmelreich des allgemeinen Klassenbewusstseins versetzt. Es herrschen dann Zustände wie vor fast 100 Jahren und man lässt Solomon Losowski, den kommunistischen Ge­werkschaftsführer der SU, lehren, dass man soziale Kämpfe wie Kriege und Streiks wie Schlachten zu führen hat. Dabei wird Bezug genommen auf die verhängnisvolle RGO (revolutionäre Gewerkschaftsopposition) –Politik, die damals schon so schmählich ge­scheitert ist. Die Gewerkschaft wird als zweiter Feind in diesem Szenario behandelt und oft ist man mehr bei Clausewitz als bei Marx. In diesem fiktiven Rollenspiel werden dann Gewerkschaftsfunktionäre als „Schweine“ und „Arbeiterverräter“ bezeichnet. Konkrete Fakten und Beweise kann man sich auf diese ultralinke Wei­se anscheinend sparen. Ultralinks ist immer jenseits von links, letztendlich schadet eine solche Haltung der eige­nen Sache. Mit Recht haben die linken Kritiker die Deutschtümelei der IGM angegriffen. Aber wenn angeblich die Arbeiterinnen und Arbeiter im Demonstrationszug soviel klas­senkampfbewußter als die Funktionäre waren, warum haben sie dann massenhaft „AEG ist Deutschland“ auf der Brust getragen und haben es ihnen nicht vor die Füße geworfen?
Weitere Kapitel bringen u.a. eine Chronologie des Arbeitskampfes, Radio Z-Live-Sendungen, Streikrückblicke von Kollegen und Ansichten einer Gruppe, die sich „Ra­dikale Linke“ nennt.
Besonders interessant ist das Kapitel „Die dunkle Seite der Macht – Anti-Antifa als Repressionsmittel gegen StreikunterstützerInnen“. Da wird viel bisher Unbekanntes aufgelistet, vor allem aus dem Nürnberger Raum. Die meisten machen sich keine Vor­stellungen, wie weit die Einschüchterungskampagnen und der Terror der Rechtsradikalen bereits fortgeschritten sind. Erschreckend dabei ist, wie groß bei amtlichen Stellen die Aufnahmebereitschaft für Denunzierungen und Diffamierungen ist, was einer Form von Zusammenarbeit nahe kommt. Neben den Linken ist auch längst der Arbeiterwiderstand ins Visier der Faschisten geraten. Das müsste ein Alarmsignal für die Gewerkschaften sein, mehr dagegen zu unternehmen. Dass Widerstands­aktionen nicht aussichtslos sind, zeigen die Demonstrationen gegen die Nazis in Gräfenberg.
In der Zusammenfassung auf der Rückseite des Buches heißt es unter anderem: „Die Werksschließung in Nürnberg konnte nicht verhindert werden, doch können wir wirklich von einer Niederlage der Kämpfe sprechen? Dagegen sprechen nicht nur die gemachten Erfahrungen, sondern auch die wenig bekannte Tatsache, dass der zähe Wider­stand der AEG-Beschäftigten zusammen mit dem vom Sozialforum gestarteten Boykott Elektrolux zum Rückzug zwang. Die Restrukturierung der westeuropä­ischen Werke wurde für zwei Jahre auf Eis gelegt und das letzte deutsche AEG-Werk in der Nachbarstadt Rothenburg bleibt bis auf weiteres bestehen.
Der Kampf um die AEG in Nürn­berg vermittelt eine Ahnung davon, welche Kraft entsteht, wenn ein spontaner unkontrollierter Widerstand von ArbeiterInnen und eine entschlossene linksradikale Intervention zusammenkommen“. Gerade in letzterem Satz widerspie­gelt sich ein Stück Wunschdenken und Überbewertung der „linken Intervention“, wie es immer wieder in den Texten zum Ausdruck kommt. Der „unkontrollierte Widerstand von ArbeiterInnen“ bezog sich doch meist auf eine kleine Minderheit. Die Haupt­akteure des Kampfes waren die vom Betriebskörper und der Gewerkschaft Aktivierten. Es waren ihre Organisiertheit und Geschlossenheit und nicht zuletzt das Streikgeld, die die Entschlossenheit im Kampf und das Durchhalten bewirkten. Leider hatte ein beträchtlicher Teil der Beleg­schaft sich der Auseinandersetzung von vornherein durch Krankmeldung entzogen.
Alle Achtung vor dem Engagement linker Zirkel und Gruppen! Sie haben zu manchem Erfolg beigetragen. Allein von der Zahl her und da sie meist von außen kamen, waren sie nur in der Lage, marginal einzugreifen oder Anstöße zu geben. Jene, die ultralinks auftraten, haben andererseits mehr geschadet als genützt. Was sollen solche Einschätzungen, wie von einer „Belegschaft, die kaum im Zaum zu halten ist“, von „Funktionären, die uns verkauft haben“, bei 81% Zustimmung zum Abschluss? Jene, die eine längere Betriebsbesetzung forderten, haben wohl vergessen, wer die Macht in diesem Staate hat. An den „Grundpfeilern des Kapitalismus“ hätte man gerüttelt! Das sicher nicht! Doch dieser Arbeitskampf hat wieder mal das System ein Stück bloßgestellt. Das und die Streikerfahrungen, nicht nur der beteiligten AEGler, ist es, was wenigstens stellenweise bleiben wird.
Das Buch ist in jedem Fall le­senswert, gibt es doch eine Unmenge Stoff zur Diskussion. Die Einstellung zu den Gewerkschaften bedarf einer grundsätzlichen Klärung. Mit der Auswechslung der Gewerkschafts­führung ist es nicht getan. Die Gewerkschaften sind im Allgemeinen Ausdruck des Zustands, auch des politischen, ihrer Mitglieder. Wir haben an unseren Gewerkschaften viel zu kritisieren. Es gilt ständig, Manipulationen der Bürokratie abzu­wehren, aber wir haben eben keine anderen Gewerkschaften. Für Linke gilt es deshalb, im Sinne von Veränderungen in ihnen zu wirken. Der Mangel an Klassenbewusstsein verhindert auch den Umschlag von Erfahrungen aus Arbeitskämpfen ins Politische. Die Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen Systems kön­nen nicht durch vereinzelte Betriebskämpfe außer Kraft gesetzt werden. Die Macht im bürgerlichen Staat hat die herrschende Kapitalistenklasse. Doch, finden sie keinen Widerstand, machen sie mit uns, was sie wollen. Erst, wenn die Arbeiterklasse von der Klasse an sich wieder zur Klasse für sich findet, hat sie die Kraft, zur Offensive überzugehen. Das jedoch ist eine politische Aufgabe.


 

 

 

 

 
 

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