"wildcat", Ausgabe Nummer 75 (Winter 2005/06)
"
immer noch Gänsehaut"
" auch das Buch Sechs Tage der Selbstermächtigung
möchte die Diskussion um den "weiteren Weg des sozialen Widerstands"
(Nachwort S. 223) voran bringen.
Der wilde Streik bei Opel in Bochum war der bisherige Höhepunkt
der gesellschaftlichen Mobilisierungen seit 2003/2004 in der BRD und
markierte die unübersehbare Rückkehr des Klassenkampfs. Wir
hatten in zwei Artikeln (wildcat 72 und 73) versucht, die innere Dynamik
des Kampfs vor dem Hintergrund der Überakkumulationskrise der Autoindustrie
zu diskutieren. Wer hat wie gekämpft, welche Diskussions- und Organisierungsstrukturen
sind darin entstanden?
Die nächsten Auseinandersetzungen werden nicht lange
auf sich warten lassen, die Krise der großen Konzerne ist viel
zu dramatisch, als dass sie sich Zeit lassen könnten, die ArbeiterInnen
materiell zu spalten und ideologisch auszuhungern. Die Insolvenz des
General Motor-Zulieferers Delphi ist die größte Pleite in
der Automobilgeschichte, Lohnkürzungen bis 60 Prozent und Werkschließungen
(auch in Deutschland sollen zwei Werke dicht gemacht werden) könnten
einen Streik provozieren, der wiederum den weltgrößten Automobilkonzern
GM selbst in den Ruin treiben würde. In Finanzkreisen werden auch
Ford und DaimlerChrysler als Wackelkandidaten betrachtet. Trotz "Beschäftigungssicherungsverträgen"
werden also weitere, noch dramatischere Einschnitten kommen.
Und da könnten die Erfahrungen der Opel-ArbeiterInnen
wichtig werden. Das Buch liefert eine ausführliche Innenansicht
des wilden Streiks und seiner Vorgeschichte. Die Herausgeber betten
dies in die Gruppengeschichte der GOG (Gegenwehr ohne Grenzen, ursprünglich
"Gruppe oppositioneller Gewerkschafter") ein und haben dazu
mehrere Gespräche mit deren Aktivisten geführt, was einen
Großteil des Buches ausmacht.
"
wenn man bedenkt, dass die Gruppe sich 1972 gegründet
hat und besteht bis zum heutigen Tage! Das ist doch ohne Beispiel, dass
die Leute auch noch nach Jahrzehnten in einer Gruppe zusammenhocken
und gewisse Dinge diskutieren. Aber man vermisst Jugendliche, die reinkommen,
mit neuen Ideen, neuen Schwüngen
" (S. 55)
In den Gesprächen und Interviews mit GOG-AktivistInnen
kommen Lehrlings- und Antivietnambewegung, K-Gruppen und Juso-Politik
zur Sprache, und es entsteht ein lebendiges Bild des sozialen Alltags
in der Fabrik und der Betriebsarbeit. Die sich kontinuierlich von den
aufwühlenden 70ern, über Terrorismushetze, unternehmerische
und gewerkschaftliche "Kalte-Kriegs-Politik" bis zu den heutigen
"Standortsicherungen" zieht. Am spannendsten sind die Abschnitte,
in denen die Arbeiteraktivisten ihre eigene "Selbstermächtigung"
als kollektiven Lern- und Selbstschulungsprozess beschreiben:
"Schon damals haben wir Versammlungen gemacht. Und es wurde viel
diskutiert. Aber ich habe nicht den Mumm gehabt da aufzutreten. Ich
habe da kein Wort rausgekriegt
Und dann gab es bei Opel diese
Infostunden. Die haben mir eigentlich geholfen. Da sind so 60 Mann,
es gibt eine Mikrophonanlage und man muss nach vorne gehen. 1991, 92
war es das erste Mal und ich habe mir gesagt: Wenn du jetzt nicht gehst,
dann gehst du nie wieder. So hat sich das entwickelt. Einmal habe ich
den Jaszcyk [ehemaliger BR Vorsitzender und DKPist] richtig fertig gemacht.
Und heute lassen wir uns nichts mehr sagen. Das hat vielen Leuten Selbstbewusstsein
gegeben. Die Infostunden haben wir damals eingetauscht gegen Betriebsversammlungen.
Die Infostunden waren schon ein guter Nährboden, um SelbstbewusstseAin
zu fördern." (S. 51)
Aus den Interviews wird auch sichtbar, wie die Gruppe
über die enge Betriebspolitik und die Frage von politischen Erfolgen
und Misserfolgen hinaus das ganze Leben der Aktivisten geprägt
hat:
"Ich habe die Gruppe als unheimliche Bereicherung empfunden. Da
sind ja tolle Dinge gelaufen: z. B. Auslandsreisen
[
] dieses
geschärfte Bewusstsein für politische Abläufe, das geht
einem nie wieder verloren. [
] das finde ich unheimlich wichtig,
egal in welcher Form auch immer, wenn junge Leute bereit wären,
sich mal irgendwo zusammenzutun und einfach nur die Zeit und die Kraft
aufwenden würden über grundlegende Dinge, die alle betreffen,
zu diskutieren. Es muss nicht immer die Lösung herauskommen, die
haben wir ja auch nicht gefunden." (S. 63)
Die GOG setzte sich kontinuierlich mit ihrer Position
zur Gewerkschaft und ihren Institutionen auseinander. Dazu war sie auch
gezwungen, denn die IGM konfrontierte sie immer wieder mit Ausschlüssen
und Funktionsverboten. So durchzieht dieses Thema das Buch als roter
Faden.Vorangestellt wird ein Artikel zu den wilden Streiks der 50er
und 60er Jahre. Die Dissertationsvorarbeit von Peter Birke (Gruppe Blauer
Montag Hamburg) enthält interessante Hinweise auf längst vergessene
Kämpfe und relativiert das Bild einer Klasse in Nachkriegsstarre,
die erst durch die 68er Bewegung aufgerüttelt worden wäre.
Doch er bleibt etwas unvermittelt und so wird die Chance vertan, die
materielle Sprengkraft der wilden Streiks, ihre Eigendynamik und Qualität
der Selbstorganisierung von der bloßen Verlängerung (radikal-,
links-, alternativ-, basis-) gewerkschaftlicher Betriebsarbeit abzugrenzen.
Dies hätte die Auseinandersetzung um die "Gewerkschaftsfrage"
erden können, die nun etwas ermüdet daherkommt. Manni Strobels
Plädoyer für die Selbstorganisierung der ArbeiterInnen bleibt
isoliert und verschroben: "Ich sage zerstören, weil sonst
immer noch die Vorstellung mitschwingt, man könne diesen Apparat
[die Gewerkschaft] reformieren, umkrempeln oder sich irgendwie nützlich
machen." (S. 155). Dies widerspricht offensichtlich zu sehr der
Intention der Herausgeber: "Unser Buch versteht sich als Anregung
für alle, die diese Schwäche erkennen und darüber nachdenken,
wie wir handlungsfähige gewerkschaftliche Basisstrukturen schaffen
können
" (Nachwort S. 223)
Erfrischend sind dagegen die verstreuten Innenansichten
aus dem "wilden Oktober" 2004:
"
schlafen konnte man sowieso nicht. Da ist man auch schon
mal nachts aufgestanden und ist um 3 Uhr da runter gefahren. Auch Samstag
und Sonntag. Das war schon Wahnsinn. Was ich da so auf dem E-Wagen gesehen
habe in den ersten Tagen, das sah so aus, als ob die Revolution stattfinden
würde." (S. 113)
"Das war wie im Rausch. Die Belegschaft hat bestimmt, so wie es
sein sollte. Wir haben da gestanden. Die einen haben Flugblätter
auf Leinen gespannt. Es gab Kultur. Jeder konnte Ada reingehen und mitbestimmen,
was machen wir jetzt? Die einen haben Flugblätter in der Einlaufzone
verteilt, die anderen haben Kaffee gekocht. Das war echt Wahnsinn, was
da abgelaufen ist." (S. 83)
War das wirklich der letzte Rausch? Oder wird es Ende März 2006
noch einmal spannend - wie Manni Strobel es andeutet -, falls die erzwungenen
"Freiwilligen" nicht zusammen kommen und betriebsbedingte
Kündigungen anstehen? Besteht die Möglichkeit, dass zukünftige
Kämpfe über Abwehrkämpfe hinausgehen und offensiv werden?
Wo und wie kann eine solche Macht entstehen? Diese Fragen stehen nicht
im Zentrum des Buches. Es ist zwar häufig von "Perspektive"
die Rede, doch bleibt dies sehr abstrakt. Das mag mit der Auswahl der
Gesprächspartner und der jetzigen Gruppenstruktur der GOG zu tun
haben. Viele haben nach jahrzehntelanger betrieblicher Wühlarbeit
das Werk altersbedingt verlassen, einer mit der hohen Abfindung, die
nach dem Streik geboten wurde. Doch auch, wenn die eigene politische
Arbeit sich verstärkt an den Sozialforen orientiert, bleibt die
jahrzehntelange Betriebserfahrung, so dass Wolfgang Schaumberg diese
abstrakte "Perspektivsuche" kritisieren kann: "Auch sind
die Vorstellungen von einem anderen Leben in einer anderen Weltsehr
geprägt von Nischen-Träumen, die die Hoffnung auf die Erkämpfung
eines erträglichen und schönen Lebens abseits einer auf Verwertung
und Tausch ausgerichteten Produktion nähren. Dies ist womöglich
noch mit der Vorstellung verbunden, es ließe sich mit der Organisation
des Lebens abseits des Produktionsprozesses (oft Erwerbsarbeit
genannt) ein solch zersetzender gesellschaftlicher Prozess entwickeln,
dass der Kapitalismus damit abgeschafft werden könnte." (S.
168)
Für die Diskussion innerhalb der GOG ist die Situation
im Werk immer noch sehr vom gebrochenen wilden Streik und der Spaltung
durch die hohen Abfindungen geprägt, was einen offenen Blick nach
vorn schwierig macht. Auch wird bis auf einen kurzen Beitrag nicht auf
die laufenden Auseinandersetzungen bei Ford, VW, DaimlerChrysler usw.
eingegangen. Die aktuelle politische Diskussion bleibt im Buch also
etwas unterbelichtet. Dafür gelingt es ihm im Blick zurück
aber ausgezeichnet, anhand der Geschichte der GOG im Bochumer Opelwerk
beispielhaft eine Klassengeschichte der Autoindustrie in der BRD zu
erzählen.
Zu erwähnen bleibt noch der günstige Preis von
10 Euro, welcher hoffentlich zu einer starken Verbreitung beträgt.
gr
Junge Welt vom 15. November 2005
Sechs Tage im "Geist der Rebellion"
Gut ein Jahr ist es her, seit die Bänder im Bochumer
Opel-Werk fast eine Woche lang stillstanden. Daß es in der Ruhrgebietsstadt
eine ganz andere Reaktion auf die drohende Arbeitsplatzvernichtung gab
als in anderen betroffenen Unternehmen, ist unter anderem auf die jahrzehntelangen
Aktivitäten oppositioneller Gruppen im Betrieb zurückzuführen.
Ein soeben erschienenes Buch der Berliner Gewerkschafter Willi Hajek
und Jochen Gester beleuchtet Geschichte und aktuelle Rolle der wichtigsten
von ihnen, der seit über 30 Jahren bestehenden Gruppe "Gegenwehr
ohne Grenzen (GoG)", sowie die sich aus dem Arbeitskampf ergebenden
Schlußfolgerungen und Perspektiven.
"Für wenige Tage konnte man den Eindruck gewinnen,
als sei der Korken aus der Flasche geflogen. Der deprimierende Mehltau
erzwungener Anpassung war für einen Moment wie weggeblasen und
Menschen wurden sichtbar, die Widerstand leisten, anstatt sich anzupassen."
So beschreiben die Autoren die Situation im Oktober 2004, als die Bochumer
Opel-Belegschaft - eigenständig und gegen den erklärten Willen
der Spitzen von IG Metall und Gesamtbetriebsrat - sechs Tage lang die
Arbeit niederlegte. Wie ist es zu dieser außergewöhnlichen
Aktion gekommen? Um dieser Frage nachzugehen, zeigt Hajek, der seit
Jahren mit kritischen Gewerkschaftern in Bochum zusammenarbeitet, den
"Geist der Rebellion" und zeichnet die Historie der Auseinandersetzungen
im Werk und die damit eng verknüpfte Entwicklung der GoG, nach.
Diese ist geprägt von "wilden Streiks", von Repression
gegen kritische Aktivisten - und immer wieder von Konflikten mit dem
IG-Metall-Apparat.
Interviews mit GoG-Aktivisten bilden den Kern des vorliegenden
Buches. Sie vermitteln einen Eindruck davon, was in jenen Oktobertagen
geschah, wie sich die Belegschaft in Bewegung setzte und wie es der
Betriebsratsspitze letztlich gelang, den Kampf zu isolieren und abzuwürgen.
Auch die Probleme der GoG, vor allem deren Nachwuchssorgen,
werden nicht verschwiegen. Aber die Aktivisten ergehen sich nicht in
einer Nabelschau. Es geht um aktuelle Auseinandersetzungen und um weitergehende,
strategische Fragen, insbesondere um den Umgang mit den "alten
Strukturen", der IG Metall. Das Buch empfiehlt sich für jeden
kritisch denkenden Gewerkschafter.
Daniel Behruzi
ak - zeitung für linke debatte und praxis
/ Nr. 501 / 16.12.2005
Die Rückkehr der Wildkatze
Ein Buch zum wilden Streik bei Opel Bochum im Oktober
2004
Eine gute Woche lang hatten sie allen einen gehörigen
Schrecken eingejagt: der Konzernleitung von GM/Opel, genauso wie den
Vorstandsetagen von IG Metall und den Co-Managern der Betriebsratsmehrheit:
Mit ihrem wilden Streik im Oktober letzten Jahres hatten die Opel-ArbeiterInnen
in Bochum für kurze Zeit die Machtfrage im Betrieb gestellt. Ein
Jahr ist das jetzt her; nicht der schlechteste Zeitpunkt für einen
Rückblick.
Anfang Dezember 2005 hieß es in der Kölner Lokalpresse, bei
Ford kursierten Aufrufe zu wilden Streiks. Eine interne Streichliste
war bekannt geworden, die nicht nur den Abbau von 1.200 Jobs, sondern
längere Arbeitszeiten, Streichung von Zulagen und einen Lohnstopp
vorsieht. Für die Produktion von derzeit knapp 2.000 Autos pro
Tag will Ford verstärkt LeiharbeiterInnen einsetzen - bis zu zehn
Prozent der Belegschaft. Ähnliche Bilder bei Opel in Bochum: Auch
hier läuft die Produktion auf Hochtouren, obwohl sich bereits 2.000
ArbeiterInnen abfinden ließen. Bis Frühjahr 2006 sollen weitere
900 gehen, sonst drohen betriebsbedingte Kündigungen. Die verbliebenen
ArbeiterInnen machen Überstunden ohne Ende, und Opel stellt massenhaft
LeiharbeiterInnen an die Bänder.
Ein Gespür von Macht und eigener Stärke
In beiden Fällen steht aktuell nicht der verlagerungsbedingte Abbau
von Arbeitsplätzen im Vordergrund. In diesen Autofabriken steckt
zu viel fixes Kapital, als dass die globalen Konzerne auf dessen Verwertung
verzichten könnten. Die Angriffe zielen auf eine neue Durchmischung
der Belegschaften, um deren alltägliche Widerstandskraft gegen
zunehmende Arbeitsverdichtung zu brechen. In der offiziellen Statistik
taucht dies als Übergang in die ominöse "Dienstleistungsgesellschaft"
auf, denn Leiharbeit wird als Dienstleistung gezählt. Es nimmt
daher auch kein Wunder, dass der eigentliche Dienstleistungsboom ausschließlich
in den "unternehmensnahen Dienstleistungen" stattfindet, hinter
denen sich zu einem großen Teil die bloße Umetikettierung
industrieller Tätigkeiten verbirgt. "Konsumnahe Dienstleistungen"
wie Handel, Gastgewerbe oder Verkehr sind hingegen seit Jahren rückläufig,
befördern aber das Bild einer zersplitterten und kampfunfähigen
ArbeiterInnenklasse. Die Klassenkämpfe von heute werden immer mit
dem strategischen Blick darauf geführt, den ArbeiterInnen ihre
Ohnmacht vorzuführen. Nur so lässt sich die Paradoxie verstehen,
dass die ArbeiterInnen in Bochum die gute Produktionsauslastung nicht
schnurstracks für eine Wiederaufnahme ihres Kampfes vom Oktober
2004 ausnutzen.
Durchmischung statt Arbeitsplatzabbau
Als am 14. Oktober 2004 die Opel-ArbeiterInnen die Arbeit hinschmissen,
schauten Millionen gequälter Arbeitskräfte nach Bochum: endlich!
Nicht das Maul halten, nicht den Betriebsrat über weitere Zumutungen,
Verschlechterungen, Lohnkürzungen unter dem salbungsvollen Titel
"Standortsicherungsvertrag" verhandeln lassen. Pünktlich
zum Jahrestag dieses Streiks ist dazu ein Buch erschienen: "Sechs
Tage der Selbstermächtigung". Die Herausgeber schreiben darin:
"Für wenige Tage konnte man den Eindruck gewinnen, als sei
der Korken aus der Flasche geflogen. Der deprimierende Mehltau erzwungener
Anpassung war für einen Moment wie weggeblasen, und Menschen wurden
sichtbar, die Widerstand leisten anstatt sich anzupassen. Und sie haben
dabei auch noch ein gutes Gefühl." Doch dieses Drehbuch, so
fügen sie gleich hinzu, wurde "so schnell wieder geschlossen".
Den Hauptteil des Buchs machen zahlreiche Interviews mit aktiv beteiligten
Arbeitern aus. Darin werden die politische Vorgeschichte in dieser Fabrik,
die besondere Bedeutung der außergewerkschaftlichen Gruppe GoG
(Gegenwehr ohne Grenzen) und die euphorische Stimmung der Selbsttätigkeit
während des Streiks lebendig sichtbar. Hier wird klar, wie der
von den ArbeiterInnen selbst organisierte Massenstreik nicht nur ein
Angriff gegen die sie beherrschenden Mächte ist, sondern selbst
schon die Herstellung einer anderen Gesellschaftlichkeit bedeutet, wenn
auch nur für wenige Tage. Beides hängt zusammen: Gegenmacht
und die Produktion von Kollektivität. "Es herrschte eigentlich
damals in den sechs Tagen die Vorstellung: Man kann Europa lahm legen,
weil ja in Bochum auch für andere Werke Komponenten gefertigt werden",
erklärt einer der Interviewten. Kollektive Subjektivität stellt
sich darüber her, durch das gemeinsame Handeln den "höheren
Mächten" den eigenen Willen aufzuzwingen und sie damit als
solche in Frage stellen zu können. Dies zu verhindern, war dem
vereinten Lager aus Management, Staat, Kirche und Gewerkschaft an diesem
Punkt so wichtig, dass IG Metall und Betriebsrat sogar den Legitimationsverlust
in Kauf nahmen, den ihre groteske Abstimmungsinszenierung hervorrufen
musste. Denn es fehlten nur noch wenige Tage, und die Produktion bei
GM hätte tatsächlich in ganz Europa stillgestanden. Die damit
verbundene Wiederentdeckung der eigenen Macht, weit über die beteiligten
Opel-ArbeiterInnen hinaus, musste unter allen Umständen verhindert
werden.
Trotzdem hat dieser Streik die Debatte unter betrieblichen AktivistInnen
in einer Weise vorangetrieben, wie es jahrelange theoretische Erörterungen
nicht vermocht hätten. Auch davon zeugt das Buch. In einem einleitenden
Beitrag zur Geschichte der wilden Streiks wird das schiefe Bild korrigiert,
Arbeiterkämpfe würden sich vorrangig in der gewerkschaftlich
organisierten Form abspielen. Und ein Aktivist der GoG stellt das hundertjährige
vergebliche Abarbeiten der linken Kräfte an den Gewerkschaften
mal ganz radikal in Frage und hält es für eine gute Idee,
die Gewerkschaften sich selbst zu überlassen. Für die Beförderung
von Selbstorganisation sei es "ein befreiender Schritt, das ,Prinzip
Hoffnung Gewerkschaft` zu zerstören". Noch vor ein paar Jahren
wäre so etwas in linksgewerkschaftlichen Publikationen nicht ernsthaft
diskutiert worden.
Schon der olle Marx wusste, dass es die Klassenkämpfe sind, die
der theoretischen Kritik auf die Sprünge helfen - und nicht umgekehrt.
Christian Frings
"Express" Ausgabe 11-12/2005
"Sechs Tage der Selbstermächtigung"
"Wer das Buch liest, lernt die Arbeiterbewegung an
einem guten Beispiel in ihrer Vielfältigkeit, Begrenztheit, mit
allen Gefährdungen und (Teil-)erfolgen kennen. Wir sehen in den
Interviews erneut die Notwendigkeit diesen Arbeitskampf zu führen,
unabhängig davon, ob andere mitmachen oder dagegen arbeiten. Wir
hören erneut die "Lust am Widerstand" heraus, die Befreiung
von Zwängen im Kopf, die diese Woche bei den Beteiligten ausgelöst
hat. Es wird aber auch deutlich, dass es in Bochum einige Besonderheiten
gab, die den Kampf möglich machten, obwohl andere GM-Betriebe nicht
mitzogen. Da ist einmal die verhältnismäßig kämpferische
Tradition von berg- und Stahlarbeitern, die von Anfang an zu Opel gewechselt
haben. Da ist die Nähe der Universität, aus der heraus oppositionelle
Gruppen eine politisierende Rolle spielen konnten. Und da ist die über
30-jährige Tradition der GoG, die sich zu allen wichtigen innerbetrieblichen,
gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen radikal äußerte,
mit ihren Flugschriften und ihrer Arbeit in den Betriebs- und Vertrauenskörpern
mit anderen unschätzbare Vorarbeit für das Entstehen unabhängiger
Kräfte bei der Vorbreitung und Durchführung des Arbeitskampfes
leiste.
So ist das Buch über die Bedeutung des Bochumer Kampfes hinaus
ein Zeitdokument, ein lesenswertes Bekenntnis zu "französischen
Verhältnissen" in der Arbeiterbewegung.
Rolf Euler
"Neues Deutschland" vom 30.12.2005
Selbstermächtigung? Bilanz des "wilden" Opel-Streiks
2004
Der sechstägige Streik im Bochumer Opelwerk hat im
Oktober 2004 für Aufsehen gesorgt. Schließlich werden auch
in Teilen der Linken Arbeitskämpfe als Ereignisse aus einer anderen
Zeit angesehen. Willi Hajek und Jochen Gester gehören zur kleinen
Gruppe linker Gewerkschafter, die die Arbeiterklasse nicht rechts liegen
gelassen haben. Aber ihre langjährige Basisarbeit verhindert auch,
dass sie das Proletariat verklären. Ihr Buch hat davon profitiert.
Sie interviewen Bochumer Streikaktivisten aus verschiedenen
Generationen.
Dabei gehen die Gespräche weit über die Streikereignisse
hinaus. Ältere erinnern sich noch an die späten 70er Jahre,
als linke Gewerkschafter zu Chaoten und Terroristenfreunden gestempelt
wurden. Daran waren nicht nur konservative Medien, sondern auch sozialdemokratische
Gewerkschaftsfunktionäre beteiligt.
Besonders verdächtig waren Kollegen, die von der
Universität in den Betrieb gegangen sind. Wolfgang Schaumburg gehörte
dazu. Der Theologiestudent ging als Maoist an die Opel-Werkbank und
kehrte nicht nach wenigen Jahren an die Uni zurück. Er wurde einer
der Köpfe der linken Kollegengruppe "Gegenwehr ohne Grenzen"
(GoG). Viele der Interviewpartner kommen aus diesem Kreis. Wer bei den
"sechs Tagen der Selbstermächtigung", wie die Herausgeber
den Streik nennen, sprühenden historischen Optimismus erwartet,
wird enttäuscht sein. Im Gegenteil: es gibt kaum einen Gesprächspartner,
der ein gutes Wort für die IG Metall findet. Der GoG-Aktive Manfred
Strobel, der nach 28 Opel-Jahren einen Aufhebungsvertrag unterschrieben
und ein Studium begonnen hat, nennt die Gewerkschaften einen "Bewusstseinsverhinderungsapparat"
und propagiert den Massenaustritt. Wenn er auch zugibt, keine Alternative
zu haben.
Es sind die klugen Fragen des Interviews, die diese Haltung
als Frust eines Enttäuschten kenntlich machen. Schließlich
hat die Gewerkschaftsspitze den Streik nicht unterstützt, sondern
auf ein schnelles Ende gedrängt.
Auch die Ergebnisse werden unterschiedlich interpretiert.
Für die IG Metall wurden respektable Abfindungen erzielt. Für
viele GoGler war es aber eine Niederlage. "Arbeitest du noch oder
zählst du schon?" war das geflügelte Wort, als in der
Belegschaft über die Abfindungen diskutiert wurde. Danach war an
eine Fortsetzung der Kampfmaßnahmen nicht mehr zu denken. Doch
viele Interviewte räumen ein, dass das Ergebnis kein Diktat war,
sondern in der Belegschaft auf Zustimmung stieß.
Eingerahmt sind die Gespräche von einer knappen Geschichte
der gar nicht so seltenen "wilden Streiks" in Westdeutschland
und einigen Überlegungen zum Kampf gegen Werkschließungen
des Bochumer Arbeiterintellektuellen Robert Schlosser. Wenn man sich
bei den Interviews auch manchmal etwas mehr inhaltliche Präzision
gewünscht hätte, ist das Buch doch sehr empfehlenswert.
Peter Nowak
"Neue Rheinischen Zeitung" vom 11.1.2006
Das Buch zum "wilden Streik" bei Opel Bochum 2004 -
Selbstorganisation ist unverzichtbar
Im Oktober 2004 kam es zu einem sechstägigen Streik
der Opelbelegschaft in Bochum. Die Konzernleitung wollte 10.000 Arbeiter
und Arbeiterinnen in der Produktion loswerden. Die Produktion sei zu
teuer, der Konzern zu wenig gewinnträchtig. Das war die Ausgangslage,
der Anlass, der die Belegschaft auf die Palme brachte. Sie hörte
einfach auf zu arbeiten.
Opel ist keine Ausnahme. In der gesamten Industrie werden
Arbeitsplätze wegrationalisiert, auch in der Automobilindustrie
stehen Tausende zur Disposition, bei Ford in Köln aktuell 1.200,
bei Daimler-Chrysler über achttausend. Dass die Opelbelegschaft
in Bochum mit einem selbst initiierten sechstägigen Streik reagierte,
hatte eine Vorgeschichte. Das vorliegende Buch öffnet nun noch
einmal das Drehbuch dieses Streiks.
Tiefe Spuren hinterlassen
Die LeserInnen erfahren, dass es in der Bundesrepublik
seit ihrer Entstehung immer wieder so genannte wilde Streiks gegeben
hat. Von 1949 bis 1980 über 2000 außerhalb der offiziellen
Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden.
Bis 1968 waren mehr als 80% der Arbeitsniederlegungen nicht durch das
offizielle Streikverfahren der Gewerkschaften abgedeckt. Opel war 1973
einer von über 300 Metallbetrieben, wo es solche Streiks gab. Der
Kampf um den Erhalt des Stahlstandortes in Rheinhausen, Ende der siebziger
Jahre, hat viele Menschen im Ruhrgebiet geprägt. Dieser Kampf hinterließ
tiefe Spuren einer "Autonomie des sozialen Handelns, die eine schnelle
Befriedung der wütenden Stahlarbeiter über Wochen hinaus unmöglich
machte."
Das Opelwerk wurde in den sechziger Jahre in Bochum in
Betrieb genommen. Der einsetzende Strukturwandel im Ruhrgebiet hatte
zum Arbeitsplatzabbau im Bergbau und in der Stahlindustrie geführt.
Ein Teil der Arbeiter wurde in der Automobilproduktion neu angelernt.
Und die ersten "Gastarbeiter" kamen, vor allen Dingen Spanier,
die politischer waren als ihre deutschen Kollegen. Es gab mehr Widerstand
gegen die Zumutungen der Konzernherren, aber auch gegen die Zugeständnisse
aus der Betriebsratshierarchie.
Gruppe oppositioneller GewerkschafterInnen
Im Bochumer Opelwerk fand sich Anfang der siebziger Jahre
eine Gruppe oppositioneller GewerkschafterInnen zusammen. Die GoG (heute
nennt sich die Gruppe "Gegenwehr ohne Grenzen") wurde bald
zum Markenzeichen einer linksradikalen Kritik, die Gewerkschaften und
Betriebsräten zu schaffen machte. Trotz massiver Angriffe von Seiten
der Funktionäre gewannen die Oppositionellen an Ansehen, und immerhin
wurden fünf von ihnen in den Betriebsrat gewählt. Im Kampf
um menschlichere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und gegen Entlassungen
hatten Betriebsratsmehrheit und IG Metall-Leitung immer dafür gesorgt,
dass sich keine Flächenbrände entwickelten und Auseinandersetzungen
schnell beendet wurden. Mit Hilfe der zentralistischen Organisationsstruktur
behielten sie alles im Griff.
Die GoG setzte der gewerkschaftlichen Stellvertreterpolitik
das Bemühen um ein selbst bestimmtes Handeln der Belegschaft entgegen.
Damit war der Kampf gegen die Ausbeutungsinteressen des Konzerns auch
immer eine Auseinandersetzung um Freiräume selbst bestimmten Handelns
innerhalb wie außerhalb der gewerkschaftlichen Organisationsstrukturen.
Der Streik der Bochumer Opelbelegschaft im Oktober 2004 war nach Einschätzung
der GoG-KollegInnen ein Ergebnis dieser jahrelangen Auseinandersetzung:
Die Belegschaft hatte die Arbeit ohne gewerkschaftliche Urabstimmung
und ohne das Wohlwollen der Betriebsratsmehrheit einfach niedergelegt.
Interviews mit den "alten Hasen"
Die Autoren haben Interviews geführt: mit den "alten
Hasen" der GoG, einer Jugendvertreterin und mit Aktiven, die inzwischen
ausgeschieden sind. Vorgeschichte, Streikverlauf, Mut, Ängste,
Wut und Hindernisse, offene Fragen, die die Zukunft stellt, all dies
wird in den Berichten und Reflexionen, die teilweise in einen diskursiven
Zusammenhang einmünden, anschaulich und spannend aufgegriffen.
Die Positionen schwanken zwischen Skepsis und Zuversicht, was den Erfolg
angeht. Denn die Taktik der Betriebsratsmehrheit und der örtlichen
IG-Metallführung, das Heft wieder in die Hand zu bekommen, war
am Ende doch aufgegangen. Am Ende kamen hohe Abfindungen für diejenigen
heraus, die nun freiwillig gingen.
Die Frage, die sich die KollegInnen gegenseitig stellten:
"Rechnest du schon oder arbeitest du noch?" Aber die prekäre
Situation blieb. Die Leute müssen für weniger Geld mehr arbeiten
und wissen trotzdem nicht, wie es in Zukunft weiter bestellt ist um
das Werk in Bochum. Die Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Unternehmensleitung
ermöglicht es, Entlassungen auszusprechen, wenn nicht genügend
Freiwillige gehen. Teile der Produktion sind ausgelagert oder werden
noch ausgelagert.
Auf internationaler Ebene gab es Solidaritätsbekundungen.
Der Bericht eines schwedischen Kollegen offenbarte aber auch die Doppelzüngigkeit
der schwedischen Funktionäre, die sich offiziell solidarisch äußerten,
in Wirklichkeit aber der Logik des Standortwettbewerbs nachgaben, statt
einen Solidaritätsstreik zu initiieren. Durch die gewerkschaftliche
Zurückhaltung auf internationaler wie nationaler Ebene blieb die
Solidarität zu schwach, um die Konkurrenzlogik zu durchbrechen.
Kritik an den Gewerkschaften
Die Kritik an den Gewerkschaften richtet sich in den Interviews
sowohl gegen die Verinnerlichung der kapitalistischen Konkurrenz- und
Profitlogik als auch gegen die autoritären Organisationsstrukturen
und das Verhalten maßgeblicher Funktionäre. Ein Interviewpartner
meint gar, dass Gewerkschaften und Parteien auf den Müllhaufen
der Geschichte gehörten, da sie für gesellschaftliche Bewusstseinsveränderungen
nicht tauglich seien. Man müsse die Menschen selbst entscheiden
und machen lassen. Der Streik habe gezeigt, dass dies möglich sei.
Gewerkschaften verhinderten geradezu die für ein kritisches Selbstbewusstsein
notwendige Autonomie der Handelnden. "Für mich ist Selbstorganisation
der unverzichtbare Schritt, in dem die Leute Luft zum Atmen bekommen."
Aber was ist ohne Gewerkschaften? Sind die Beschäftigten
dann nicht gänzlich schutzlos gegenüber der Willkür der
UnternehmerInnen? Eine andere Option wäre die Nutzung und Umfunktionierung
betrieblicher Gewerkschaftsstrukturen. Eine Lehre aus dem Streik sei
das Versäumnis, mit Hilfe der Vertrauensleute ein Streikkomitee
aus der Belegschaft zu wählen und die Verhandlungen mit dem Vorstand
nicht wieder dem Betriebsrat zu überlassen, meinen die damals Aktiven.
Dadurch habe sich die Mehrheit der Leute wieder an den alten Interessensstrukturen
orientiert und gehofft, dass die Mitbestimmer, die das Sagen haben,
schon was Vernünftiges machen würden.
Frage nach einer gesellschaftlichen Alternative
Die Interviewtexte erzeugen eine Spannung, die die Frage
nach einer gesellschaftlichen Alternative aufwirft. Es entsteht ein
Anreiz, in Gedanken mitzudiskutieren. Die "Naturgesetzlichkeiten"
der kapitalistischen Produktion müssten in Frage gestellt werden,
weil die ArbeiterInnen im Endeffekt sonst immer die VerliererInnen bleiben
würden. Auch in den siebziger Jahren sei das System von "unwürdiger
Arbeit und kapitalistischer Unterdrückung gezeichnet" gewesen.
Dass die ArbeiterInnenschaft trotz flächendeckender Vernichtung
industrieller Arbeitsplätze nach wie vor eine wichtige Rolle spielt,
formuliert die Jugendvertreterin aus ihrem Streikerlebnis heraus: "Es
ist ein unbeschreibliches Gefühl, welche Kraft doch in diesen 'unwichtigen
und machtlosen' Arbeitern steckt." Dem steht an anderer Stelle
allerdings die Aussage gegenüber, dass eine andere Denke bei den
meisten kein Bedürfnis sei.
Wie eine andere Welt aussehen könnte, ist nicht das
Thema des Buches. Um aber in eine Offensive zu gelangen, sei eine Perspektivdebatte
notwendig, die das Bedürfnis für ein positives Ziel gesellschaftlicher
Veränderung wecke. Ein Interviewpartner kritisiert, dass Vorstellungen
von einem besseren Leben jenseits der Fabriken zu sehr von Nischen-Träumen
geprägt seien. Aber mit den "Quantensprüngen in der Arbeitsproduktivität"
kommt die Frage zum Vorschein: und was kommt nach der Fabrik? Hier bleibt
die Sicht auf selbst verwaltete, alternative Projekte noch verschlossen.
Und: als Leser frage ich mich: warum nicht mehr Frauen in die Diskussion
einbezogen wurden und Menschen, die außerhalb des Betriebes den
Streik tatkräftig unterstützt hatten.
Trotzdem: Ich habe das Buch mit Spannung gelesen. Es aktualisiert
die alte Frage nach dem Verhältnis von Organisation und ArbeiterInnen,
aber nicht auf einer hoch theoretischen Ebene, sondern durch konkret
handelnde Menschen mit ihren Biographien, Sorgen, Freuden und Ansichten.
Werner Ruhoff
"Sozialistischen Zeitung" SoZ vom Dezember 2005
Rückblenden auf den Opel-Streik 2004
Ein Jahr nach den beeindruckenden Kampftagen bei General
Motors/Opel in Bochum ist es Jochen Gester und Willi Hajek gelungen,
in einem lesenswerten Buch die Stimmen der aktivsten Kollegen (und einer
Kollegin) zu versammeln, die über Vorgeschichte, Ablauf und Ergebnisse
dieser "Selbstermächtigung" berichten.
Dabei konzentriert sich das Buch auf Kollegen, die seit Jahren in der
Betriebsgruppe der GOG oppositionelle Betriebs-, Vertrauensleute- und
Betriebsratsarbeit machen. Sie berichten ausführlich über
ihre persönliche Entwicklung, über gute und schlechte Erfahrungen
mit Solidarität im Betrieb, über selbstständige Kampfaktionen
der Opelaner in Bochum, die in der Regel gegen den Willen der IG Metall
und der Betriebsratsmehrheit zum Teil erfolgreich ablaufen. Ergänzt
werden diese Interviews mit Kapiteln über die Vorgeschichte, über
die Haltung der IG Metall, über die internationale Verknüpfung
und einige theoretische Schlussfolgerungen.
Wer liest, lernt die Arbeiterbewegung an einem guten Beispiel in ihrer
Vielfältigkeit, Begrenztheit, mit allen Gefährdungen und (Teil-)Erfolgen
kennen. Wir sehen in den Interviews erneut die Notwendigkeit, diesen
Arbeitskampf zu führen, unabhängig ob andere mitmachen oder
dagegen arbeiten. Wir hören heraus erneut die "Lust im Widerstand",
die Befreiung von Zwängen im Kopf, die diese Woche bei den Beteiligten
ausgelöst hat.
Es wird aber auch deutlich, dass es in Bochum einige Besonderheiten
gab, die den Kampf möglich machten, obwohl andere GM-Betriebe nicht
mitzogen. Da ist einmal die verhältnismäßig kämpferische
Tradition von Berg- und Stahlarbeitern, die in den Anfängen zu
Opel gewechselt waren. Da ist die Nähe der Universität, aus
der oppositionelle Gruppen eine politisierende Rolle spielen konnten.
Und da ist die über 30-jährige Tradition der Gruppe oppositioneller
Gewerkschafter (GOG), die sich zu allen wichtigen innerbetrieblichen,
gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Problemen radikal äußerte,
mit ihren Flugschriften und ihrer Arbeit in den Betriebs- und Vertrauenskörpern
unschätzbare Vorarbeit für das Entstehen unabhängiger
Kräfte bei der Führung des Arbeitskampfes leistete.
So ist dieses Buch über die Bedeutung des Bochumer Kampfes hinaus
ein Zeitdokument, ein lesenswertes Bekenntnis zu "französischen
Verhältnissen" auch in der deutschen Arbeiterbewegung.
Rolf Euler
"Linke Zeitung" November 2005
" ... eine Pflichtlektüre für jeden, der wissen möchte
wie man im Betrieb Gegenwehr organisiert"
Das Buch, "Sechs Tage der Selbstermächtigung"
Der Streik bei Opel in Bochum im Oktober 2004 herausgegeben von Jochen
Gester und Willi Hajek macht deutlich, wie wichtig es wäre eine
gesamte Geschichte der spontanen Arbeitskämpfe, die im Jahre 1973
in der Bundesrepublik ihren Höhepunkt hatten, neu zu untersuchen
und sie darzustellen. Es gab in dieser Zeit sogar Betriebsbesetzungen
(Zementfabrik Seibel & Söhne in Erwitte) und dazu Kontakte
zu den Arbeiterinnen und Arbeitern der Uhrenfabrik LIP in Frankreich,
die in ihrer besetzten Fabrik in Eigenverantwortung produzierten. Ob
die Konflikte bei Ford, Hella oder Krone Berlin, es wäre Zeit diese
Konflikte samt Ursachen und Vorgehensweisen der Gewerkschaften und Betriebsräte
zu untersuchen und zu veröffentlichen. Der erfolgreiche Arbeitskampf
der Frauen bei dem Automobilzulieferer Pierburg (siehe dazu eigenen
Bericht in www.linkezeitung.de,
wurde zum Beispiel ohne begleitende Betriebsgruppe zum Erfolg. Dort
waren Vertrauensleute und Betriebsräte in der Lage sich gegen die
IG Metall Bürokratie durchzusetzen. Ich kann mich erinnern, wie
die IG Metall versuchte den GoG Kollegen "gewerkschaftsschädigendes
Verhalten" anzuhängen. Es gab üble Ausschlussverfahren,
es gab "vertrauensvolle Zusammenarbeit" bei der die etablierten
Betriebsräte zusammen mit dem Management versuchten, die GoG kalt
zu stellen. Es gelang nicht. Diese Gruppe existiert noch heute, sie
war und ist Auslöser des Kampfes um Arbeitsplätze beim Opel
Werk in Bochum. Wer die Belegschaften verschiedener Opel Werke kennt,
wird rasch begreifen, dass es da große Unterschiede gibt. Sozialpartnerschaft
mit dem Kapital gab es in Bochum für die GoG-Kollegen nicht. Dieses
Buch beschreibt nicht nur den Kampf, der im Bochumer Automobilwerk um
Arbeitsplätze, Arbeitszeiten, Arbeitseinkommen und menschenwürdige
Arbeitsbedingungen geführt wurde. Es beschreibt auch das Selbstverständnis
einer Interessensvertretung, die sich nicht dem Wohl der Profitmaximierung
verpflichtet fühlte und fühlt.
Dieses Buch ist Teil einer Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung
die das berücksichtig, was von führenden Vertretern des Kapitals
und der Gewerkschaft gerne verschwiegen wird. Schon deswegen ist es
Pflichtlektüre für jeden, der wissen möchte wie man im
Betrieb Gegenwehr organisiert. In der heutigen Zeit in der die Gewerkschaften
immer öfter nicht mehr um Arbeitsplatzerhalt sondern Abfindungshöhen
kämpfen, ist dieses Buch eine Anleitung zum Widerstand.
Einige Infos zum Hintergrund und der Vorgeschichte
des Konflikts
Opel Bochum und die GoG (Gegenwehr ohne Grenzen), das
ist eine lange Geschichte. Sie begann so um 1970 herum, als in vielen
größeren Industriebetrieben ein Teil der studentischen Linken
Bekanntschaft mit der Fabrikarbeit machte. Herr Fischer, ja der, blieb
bei Opel in Rüsselsheim nur ganz kurz, ihm lag diese Arbeit nicht.
Obwohl er damals ja Mitglied der Gruppe "Revolutionärer Kampf"
war, die gab auch eine Zeitung heraus. Titel: "WIR WOLLEN ALLES".
Nun , Herr Fischer hat ja fast alles bekommen, einige seiner Wegbegleiterinnen
und Begleiter eher nicht. Nich150%t nur bei Opel Bochum gab es um 1970
herum Betriebsratsmehrheiten die damals schon "große Koalition"
spielten. Eine Einheit aus SPD und CDU Betriebsräten regelte was
es zu regeln gab. Etwa Placierungen auf den Wahllisten zur Betriebsratswahl.
Als 1971 das neue Betriebsverfassungsgesetz in Kraft trat, wurde das
Amt Betriebsrat noch attraktiver.
Als dann die Aktiven aus der 68er Bewegung gemeinsam mit
politisch aktiven Migrantengruppen, vor allem aus Francospanien samt
kampferfahrenen Stahl- und Bergarbeitern beim Opel in Bochum zu arbeiten
begannen, entwickelte sich die GoG. In dieser Zeit entstanden auch in
anderen Teilen der Bundesrepublik ähnliche Gruppen. Zum Beispiel
die Plakatgruppe bei Daimler in Stuttgart. Sie hinterließ in der
Region bleibende Spuren. Die gleichnamige Betriebszeitung "Plakat"
war für viele andere Betriebsgruppen in der Bundesrepublik ein
gutes Vorbild wie man betriebliche Konflikte öffentlich macht und
für Widerstand sorgt.
Aus den spontanen Arbeitskämpfen die nie Unterstützung durch
die IG Metall erfuhren, entwickelte sich bei Opel Bochum eine Betriebsgruppe
die an Betriebsratswahlen teilnahm, sich 150%kritisch mit den oft korrupten
und verkrusteten Strukturen der betrieblichen Interessensvertretung
auseinandersetzte. Oft als "Chaoten", "linke Spinner"
diskreditiert, waren es die vielen Kollegen der GoG die über Jahrzehnte
für Widerstand beim Opel sorgten, in Bochum.
Aus einer mir vorliegenden Broschüre des Redaktionskollektivs
in der Projektgruppe Ruhrgebietsanalyse möchte ich einen längeren
Ausschnitt aus dem Kapitel SPD-IGM am Beispiel Bochum zitieren, er macht
die damalige politische Situation sehr deutlich:
" (...)Die Mitgliederstruktur der Bochumer SPD zeichnet
sich durch eine relativ hohe, gleichzeitige Organisierung in den Gewerkschaften,
hier besonders in der IGM aus. Es gibt z. B. SPD - Ortsvereine, in denen
bis zu 80% IGM-Mitglieder organisiert sind (z.B. Weitmar -Mitte). Diese
Ortsvereinsversammlungen werden jedoch längst nicht mehr von der
Mehrheit der Kollegen an der Basis besucht. Stattdessen trifft man dort
kleine und mittlere Funktionäre sowie mehr und mehr Beamte und
städtische Angestellte an. Dieses Strukturverhältnis schlägt
sich natürlich in den Funktionsträgerstrukturen nieder: Hier
üben die IGM Funktionäre entscheidenden direkten Einfluß
bis zu den Funktionsträgerentscheidungen aus.
Nicht umsonst spricht man hinter vorgehaltener Hand in
Bochumer SPD-Kreisen von der "Blech-Mafia" (IGM-Bochum), die
noch immer unter dem autoritär - reaktionären Regiment des
1. Bevollmächtigten der IGM Wirtz (MdL und Mitglied des Kreisvorstandes
der SPD) steht. Dieses Strukturgefüge vor Augen, macht manche im
folgenden zu schildernde Erscheinung leichter verständlich.
Bochumer SPD- und Gewerkschaftspolitik ist als eine politische
Einheit zu begreifen, was im Zusammenhang mit den noch zu schildernden
Parteiordnungsverfahren gegen fortschrittliche Jungsozialisten i.E.
darzulegen sein wird.
Die Reichweite dieser Strukturausprägung und der
damit verbundenen politisch-ideologischen Ausrichtung findet seinen
fruchtbaren Bestand bis in die obersten Parteiämter. Ein wichtiges
personelles Bindeglied in diesem Sinne ist Karl Liedtke (MdB), der den
reaktionären Kurs der IGM-Führung gegenüber Jusos und
linken Gewerkschaftskollegen zwischen Bonn und Bochum konsequent vertritt.
Auch auf der Landesebene trägt diese Bochumer Politik reaktionäre
Früchte. So war es SPD - NRW -Vorsitzender Figgen, der nach dem
letzten Münsteraner Landesparteitag der SPD höchst persönlich
mit Hilfe des bürgerlichen Medienapparates bestimmten Jusos in
Bochum den Austritt aus der Partei nahegelegt hat, einen Tag später
aber durch seinen Pressesprecher dezent150% verlauten ließ, daß
er damit keinesfalls in ein "schwebendes" Verfahren hätte
eingreifen wollen.
Der Zusammenhang der Wirkung Bochumer SPD- und Gewerkschaftspolitik
läßt sich am Fall OPEL klar darstellen. Jahrelange Hinhalte-
und Mauschelpolitik der Bochumer Gewerkschaftsführung im Sinne
des Kapitals und in Absprache mit der Bochumer SPD führten zu einer
Betriebsratsleitung bei OPEL, die das Interesse der Kollegen vorwiegend
unterordnete unter das Interesse der Geschäftsleitung. Um diese
Politik an einem Beispiel zu illustrieren, sei davon berichtet, dass
der Betriebsratsvorsitzende Günther Perschke, der anscheinend von
sich meint, dass er diesen Posten dort auf Lebenszeit gepachtet hätte,
vor den Kollegen einer Betriebsversammlung, die "Kostenrechnung"
der Adam-Opel AG "analysiert" und erklärt hat:"
1 Pfennig Lohnerhöhung kostet Opel doch 1,2 Millionen Mark!"
(Belegschaftsversammlung 29.8. 72). Eine derartige kapitalfreundliche
Grundhaltung kann dann auch von der BILD am SONNTAG vom 8.4. 1973 löblich
erwähnt werden, indem Perschke als ein "vorbildlicher Genosse"
bezeichnet wird.
Dreh und Ausgangspunkt der herrschenden Betriebsrats-
und Gewerkschaftspolitik bei Opel in Bochum ist die Arbeitsgemeinschaft
sozialdemokratischer Opel-Arbeiter (ArSO), die zahlenmäßig
stärkste Betriebsgruppe in NRW ist. Diese ArSO-Betriebsgruppe ist
die Abstimmungsmaschine für die Politik der IGM/SPD-Führung,
vertreten durch die Perschke -Gruppe.
Diese Gruppe beschränkt ihre Politik in überwiegendem
Maße nur auf die so genannte "tarifliche Wirklichkeit"
und hin und wieder mal auf die Erörterung von so genannten "Mitbestimmungsproblemen".
Aufbau und Arbeitsweise dieser Gruppe lassen es nicht zu, dass die Kollegen
wirklich erfahren, was genau läuft. Deshalb können sie die
Arbeit nicht kontrollieren. Perschke kann sich also vor die SPD - Betriebsgruppe
stellen , sie mit zahlreichen "Informationen" füttern,
es war in der Vergangenheit dann immer so, und wird wohl auch so bleiben,
dass die einzelnen Betriebsgruppenmitglieder nichts anderes tun konnten,
als die Personen und die Politik der Betriebsratsführung zu bestätigen.
Wenn sich mal einzelne Kollegen rührten, um in der Betriebsgruppe
die Politik Perschkes anzugreifen, so wurde versucht, diese Kollegen
schnell kalt zu stellen, wie im Falle des Juso - Kreisvorstandsmitglieds
Reppel (Vertrauensmann und Ersatzbetriebsrat bei Opel).
Erst als sich eine oppositionelle Bewegung in der Belegschaft formierte,
konnten die einzelnen Widersprüchlichkeiten und die grundsätzliche
Arbeiterfeindlichkeit der Politik der Perschke - Clique im einzelnen
aufgedeckt und zeitweise auch an dem anscheinend "heiligen Stuhl"
dieser Berufsfunktionäre gewackelt werden. Nun bediente sich die
Betriebsrats- und Gewerkschaftsführung aller möglichen Abwehinstrumente
und Abwehrmaßnahmen, die bis hin zur Denunzierung "Schlitzaugen
und Nazis" reichten. Es muß hervorgehoben werden, daß
die einzelnen Abwehrmaßnahmen oftmals in Absprache mit der Bochumer
SPD-Führung getroffen wurden. Dieser uns sehr wichtige Aspekt soll
am Beispiel der Reaktion auf die Politik der Mehrheit der aktiven Jungsozialisten
in Bochum geschildert werden.
Die Jusos hatten festgestellt, daß sich ein tiefer
Widerspruch zwischen der tatsächlichen Politik der gewerkschaftliche
Führung und den wirklichen Bedürfnissen der Arbeiter bei der
Adam OPEL AG ergeben hatte. Und zwar wurde dies nicht nur im Rahmen
der gesamtgesellschaftlichen Klassenauseinandersetzungen sehr deutlich
gesehen, sondern in seinen besonderen reaktionären Ausprägungen
im Fall OPEL beispielhaft nachvollzogen. Deswegen haben sich die Jusos
seinerzeit für die Politik und das Programm der oppositionellen
Bewegung in der IGM (Liste 2) mit Hilfe von Flugblättern und anderen
Unterstützungsmaf3nabmen eingesetzt. Sie haben zu einzelnen das
Problem der 11 Listen aufgezeigt (die sich zu den Betriebsratswahlen
72 präsentierten).und diskutiert. Sie haben sich an der Kundgebung
gegen die Abschiebung des fortschrittlichen spanischen Kollegen José
Cumplido beteiligt, sich gegen die Entlassung des Ersatzbetriebsratsmitgliedes
Andres Lara ausgesprochen und die im März dieses Jahres erfolgte
fristlose Entlassung des langjährigen Betriebsrates Rudi Wischnewski
scharf verurteilt. Sie haben ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß
nicht, wie die Gewerkschafts- und Betriebsratsführung behauptete,
die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter in der IGM (Liste 2) die Gewerkschaften
gespalten habe, sondern daß der Spalter vielmehr die arbeiterfeindliche
Gewerkschaftsführung selbst war.
Es wurde zum Ausdruck gebracht, daß das Programm
der Liste 2 im Ansatz auf eine Stärkung der Politik im ausschließlichen
Interesse der Arbeiter bei Opel hinzielte. Diese Politik einiger aktiver
Bochumer Jungsozialisten ist von der Gewerkschaftsführung in Bochum
und der Betriebsratsführung in Zusammenarbeit mit der Bochumer
SPD immer wieder angegriffen worden. So hat jedesmal die Opel-Betriebsratsführung
in Zusammenhang mit den zuständigen Gewerkschaftsfunktionären
für Opel und dem Parteivorstand der SPD (das sind teilweisen dieselben
Personen!) eingegriffen und verlangt, daß die Jusos gemaßregelt
würden. Im Falle Wischnewski schließlich faßte der
Kreisvorstand der SPD einen Beschluß, der es Jusos in Zukunft
verbot, Flugblätter vor Bochumer Betrieben zu verteilen, die nicht
vorher mit Vertretern des Bochumer Parteivorstandes inhaltlich abgesprochen
waren.
Der Konflikt brach offen aus während des spontanen
Streiks bei Opel im August 73. Die Jusos formulierten auf Kreisverbandsebene
einen Flugblatttext, der inhaltlich einen Kompromiss verschiedener politischer
Strömungen darstellte. Diesen legten sie dem Kreisvorstand der
SPD "zur Begutachtung" vor.
Es ist interessant, nunmehr die zeitliche Abfolge des
Verfahrens zu schildern, damit die Machenschaften und die Zusammenhänge
zwischen der Politik der SPD-Führung und der Gewerkschaftsführung
in Bochum genau nachvollzogen werden können.
Am Dienstag, den 11.9.73 gegen 11 Uhr legten 3 Juso-Vorstandsmitglieder
im Beisein von einigen anderen Jusos dem Parteisekretär Lohmann
das Flugblatt vor. Dieser war der Meinung, dass das Flugblatt wohl genehmigt
würde. Allerdings müsse er 2 Vorstandsmitglieder zunächst
informieren, um eine endgültige Zusage geben zu können. Etwa
eine Stunde später hatte das erste Vorstandsmitglied, der Kreisvorstandsvorsitzende
F. Wenderoth (Sparkassendirektor) das Flugblatt bereits abgelehnt. Es
stand aber noch die Stellungnahme des zweiten Vorstandsmitgliedes Karl
Liedtke (MdB) aus. Liedtke hat neben zahlreichen anderen Funktionen
auch den Parteiratsvorsitz der SPD inne. Er befand sich am 11.9. in
Bonn (Bei einer dieser Sitzungen, die Liedtke in seiner Eigenschaft
als Vorsitzender des SPD - Parteirates leitet, wurde der so genannte
"Unvereinbarkeitsbeschluss" - d.h. keine Zusammenarbeit mit
Kommunisten erarbeitet.)
Gegen 13 Uhr 30 stand dessen Stellungnahme noch immer aus. Gegen 16
Uhr erfuhr der Kreisvorstand der Jusos nach zweimaliger telefonischer
Anfrage beim Parteibüro, dass das Flugblatt inzwischen abgelehnt
war.
Merkwürdigerweise wußte der Vorstand der ArS0
bei OPEL schon um 15.00 Uhr bescheid. ArSO - Vorstandsmitglied Schmidt
erzählte nämlich am frühen Nachmittag dem Kollegen Reppel
(Juso), gegen den gesamten Juso - Kreisvorstand würde ein Parteiordnungsverfahren
anlaufen und alle würden aus der Partei fliegen, wenn das Flugblatt
verteilt würde. Am 13.9. wurde das Flugblatt bei Opel verteilt.
Es kam bei den Kollegen gut an und löste breite Diskussionen aus.
Schmidts Ausspruch machte im Betrieb schnell die Runde. Bald hieß
es, die Jusos seinen verkappte Kommunisten, Chaoten, Maoisten und würden
"achtkantig" aus der Partei fliegen.
Weitere Maßnahmen der Bochumer SPD wurden schnell
ergriffen:
a) Nachdem eine 100 DM-Spende für das Wischnewski-Solidaritätskonto
vom Juso-Vorstand geleistet worden war, sperrte der SPD-.Kreisvorstand
alle Gelder für das Jugendzentrum West an der Alleestraße.
Denn sperrte er noch alle anderen Gelder. Genau wie die Opel-Geschäftsleitung
nach dem Streik wollte auch der SPD-Kreisvorstand Namen von sogenannten
"Rädelsführern" herausfinden.
b) Ein Grußtelegramm an das Opel-Solidaritätskomitee
mit der Kontaktadresse des Juso-Zentrums an der Alleestraße landete
zuerst bei der Partei und Gewerkschaftsfunktionären und wurde dem
Juso - Vorstand erst geöffnet zugeschickt.
c) Die Vorstandsmitglieder der ArSO Böhm (Unterbezirksvorstand
und Betriebsratsmitglied bei Opel) und Schmidt "rühmten"
sich, daß sie es waren, die die Politik der Jusos in der Frage
der "Opel - Solidarität" blockieren.
d) In einer gezielten Aktion werden alle Ortsvereins -
Vorsitzenden angeschrieben, über das "schändliche Tun"
der Jusos informiert und aufgefordert, den Jusos in ihren Ortsvereinsbereichen
schärfer auf die Finger zu sehen.
Die Kreisdelegiertenkonferenz der Jusos vom 24.9.73 hatte
noch einmal ausdrücklich die Politik des Juso - Kreisvorstandes
gebilligt. Dennoch wurden die Vorstandsmitglieder herausgegriffen, d.h.
es wurde ein Parteiordnungsverfahren gegen sie eingeleitet.
Die betreffenden Jusos erfuhren selbst erst durch Zeitungen,
Rundfunk und Fernsehen von der Absicht der SPD, gegen sie ein Parteiordnungsverfahren
einzuleiten. Erst einen Monat später, als die Stimmung bereits
im Sinne der SPD- und Gewerkschaftsabsichten "angeheizt" war
(Schreiben an die Unterbezirke über die Gründe des Parteiordnungsverfahren),
hielt man es für nötig, auch den betroffenen Mitteilung über
die genauen "Anklagepunkte" zu machen.
Trotz konzentrierter Hetze gegen verschiedene Vorstandsmitglieder
und andere Jusos, die die eigentlichen "Scharfmacher" im Hintergrund
seien (damit war die Redaktionsgemeinschaft der Juso - Zeitung SOZI-Info
gemeint), hatten SPD und Gewerkschaftsführung im eigentlichen Verfahren
das Nachsehen. Bei der Anklage (Chefankläger war Zöpel, MdL)
wurde nämlich davon ausgegangen, dass die Jusos sich immer noch
in dem Solidaritätskomitee der DKP-Gruppen befänden. Statt
dessen arbeiteten sie im "Solidaritätskomitee für die
entlassenen Opelarbeiter", in dem die meisten fortschrittlichen
Kräfte, die GoG und die Mehrheit der Entlassenen organisiert waren.
Gleichzeitig wurde versucht, jede Diskussion in den Ortsvereinen
über die vergangenen Streik-Aktionen abzuwürgen. Führende
Funktionäre hielten sich in dieser Zeit entgegen sonstigen Gepflogenheiten
bis in die späten Abendstunden in den entsprechenden Ortsvereinsversammlungen
der SPD auf. Anregungen, wie z.B. führende Kollegen der Liste 2
(s wurde der Name Wolfgang Schaumberg, GoG Betriebsrat bei Opel, genannt)
einmal zu entsprechenden Versammlungen einzuladen, um deren Meinung
einmal zu hören, wurden im Ansatz erstickt. Man pflegte in diesen
Fällen die oppositionellen Kollegen in Perschke - Manier als "Chaoten,
Demagogen, intellektuelle Hilfsarbeiter usw." zu bezeichnen. Diese
denunzierenden Äußerungen wurden von den ahnungslosen Delegierten
und auch einfachen Parteimitgliedern geschluckt. Schmidt, Perschke,
Böhm, Wirtz brauchten nicht einmal im Ansatz ihre Äußerungen
zu begründen. Wenn sie es sagten, dann musste das schon stimmen!
Die spontanen Streikaktionen wurden oftmals als illegal
bezeichnet. Zur Begründung wurde die "freiheitlich demokratische
Grundordnung" strapaziert.
Wer es bis zu dem Zeitpunkt noch nicht gemerkt hatte, dem wurde hier
deutlich gezeigt, wie die SPD die Interessen der Arbeiter verrät.
Und wenn Perschke anlässlich der 6. Automobilarbeiterkonferenz
der IGM in Böblingen "unter Beifall der Delegierten"
sagt, man müsse "jetzt zur Politisierung der Arbeiter beitragen,
weil die Regierung die Macht der Konzerne noch stärke" , dann
weiß man vor dem Hintergrund seiner praktischen Politik, welch
leeres, demagogisches Geschwätz sich hinter solchen wortradikalen
Ausbrüchen verbirgt!!"
All das was hier im Jahre 1973 stattfand, ist heute ähnlich nicht
nur möglich sondern Wirklichkeit.
Dieter Braeg
"Jungle World" vom 30. November 2005
Die Maschinen wurden einsam
Eigentlich verwundert es, dass das Wort "Streik"
noch im Duden zu finden ist. Es wird in der deutschen Öffentlichkeit
wie ein Unwort behandelt: Wenn vom Streik die Rede ist, ist gleich der
"Aufschwung" bedroht (der dann auch ohne Streik nicht kommt),
Deutschland ist in Gefahr, die Wettbewerbsfähigkeit, der Betrieb,
die Löhne, nichts scheint mehr sicher. Die Unternehmer mahnen auf
Plakaten: Wer jetzt streikt, streikt gegen sich selbst. Eine bevorstehende
Katastrophe muss abgewendet werden.
Es gibt nur einen Begriff, der hierzulande eine noch stärkere
Wirkung entfaltet: der "wilde Streik". Zu einem solchen kam
es im Oktober 2004 im Opel-Werk in Bochum. Als die Konzernleitung einen
umfassenden Abbau von Arbeitsplätzen ankündigte, wartete die
Belegschaft nicht lange auf die Gewerkschaften, zu groß war das
Misstrauen. Die Arbeit wurde spontan niedergelegt, und um nicht von
einem wilden Streik zu sprechen, nannte man den Ausstand "verlängerte
Info-Veranstaltung".
"In diesem Streik standen erstmals die Zeichen klar
auf Beschleunigung. Gewerkschaften und Betriebsräte wurden geradezu
überrascht und von der selbstständigen Aktion der Belegschaft
übergangen", schreibt der Gewerkschafter Willi Hajek in dem
Buch "Sechs Tage der Selbstermächtigung", das er zusammen
mit Jochen Gester, dem Mitglied des Arbeitskreises Internationalismus
der IG Metall Berlin, herausgegeben hat. Das Buch vereint Interviews
von Opel-Arbeitern mit Analysen und will "einen Beitrag leisten
zu der erst langsam beginnenden Diskussion über den weiteren Weg
des sozialen Widerstands". Es ist ein Buch von Gewerkschaftern,
die nicht mit Kritik an den Gewerkschaften zurückhalten.
Denn bei der späteren Beendigung des Streiks spielte
vor allem die IG Metall eine unrühmliche Rolle. Der Kölner
Stadtanzeiger schrieb: "Bochum war die Wiedergeburt der Gewerkschaften
als Ordnungs- und Gestaltungsmacht. Nicht die Belegschaft hat danach
gerufen, sondern die Unternehmensführung." Das Buch schildert
die Geschichte des Scheiterns eines sozialen Kampfes. Es lässt
aber erahnen, was möglich ist.
Stefan Wirner
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