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Debatte um das Buch von Werner Ruhoff im web unter "Open Theorie - Wege aus dem Kapitalismus" nach einer Rezension von Ulrich Weiss
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Hallo Fantasten, hallo Werner und Reinhard Jochen Gester hatte mich gebeten, eine Rezension zu schreiben zu: Werner Ruhoff, Eine sozialistische Fantasie ist geblieben. Sozialismus zwischen Wirklichkeit und Utopie. Die Buchmacherei, Berlin 2005, 148 Seiten, ISBN 3-00-016583-5. Vielleicht interessiert es Euch, was da rausgekommen ist.
Ich denke, es trifft auch ins Zentrum unserer WaK-NIA-Diskussionen.
Entgegen meiner Annahme, dass das geht - ich habe Werner Ruhoff als
angenehmen Diskussionspartner erlebt -, ist das, was da steht, nicht
freundlich. Ehe ich es Zeitungen, Zeitschriften anbiete, hätte
ich gern kritischen Meinungen dazu erfahren. Ulrich Weiß"Eine wirklich über den Kapitalismus
hinausweisende Idee wird so dem Spott preisgegeben" Im Real-Sozialismus war die Herrschaft von Menschen über
Menschen nicht aufgehoben. Das war ein Resultat der Tatsache, dass der
ökonomische Zwang zur Verwertung weiterhin bestand. Das erhoffte
Sozialistische oder gar Kommunistische blieb Utopie. Immerhin wuchs
in dieser sozial relativ homogenen Gesellschaft lange sowohl der allgemeine
Lebensstandard als auch die dafür erforderliche Produktivität
menschlicher Arbeit. Solange dies gelang, konnten Sozialismus, Staat
und Warenproduktion noch zusammen gedacht werden, eine der Marxschen
Theorie entgegenstehende Selbsteinschätzung. Als deren Falschheit
offenkundig wurde, die "sozialistische" Warenproduktion keinen
sozialen Fortschritt mehr trug, brach diese ideologische Stütze
des "Sozialismus" zusammen. Zu solchen Fragen fordert heraus. Der Hauptteil seines
Buches, Meine Fantasien, ist eine Art Sciencefiction-Report. In lebendigen
Bildern wird ein vernünftiges Leben in einer großen Stadt
vorgestellt. Es könnte Köln sein. Die Macht der großen
Monopole ist hier bereits gebrochen. Ruhoff, einst Katholik, dann Kommunist und Freund der
DDR, ist geistig einen weiten Weg gegangen. In seiner jetzigen Wunschwelt
fände sich Proudhon glänzend zurecht, auch Thomas Morus mit
seinem Utopia, desgleichen Silvio Gesell. Marx nicht. Jener entwickelte
seine Theorien gegen Proudhon und argumentierte gegen das, was R. Nun
wieder als erstrebenswerten Vorzug präsentiert: auf der Basis des
unentwickelt (bei R. Des zurückgenommenen) Bürgerlichen und
des Mangels nehmen Kommunismusversuche unvermeidbar asketische, regional
bornierte, kasernenhafte Züge an, landen die Akteure letztlich
wieder "in der alten Scheiße". Das Maß für den Fortschritt, der wird durch Werttransfer an die Projekte belohnt, ist der Grad an Selbstversorgung. "Nachbarschaften und siedlungen bringen es ... auf eine ansehnliche selbstversorgungsquote ... bis zu siebzig prozent". Alles "außer maschinen, vorprodukten und technischen konsumgütern" (75) wird selbst hergestellt, "schicke plumpsklos" eingeschlossen. "Kaufhäuser" (groß), mode (klein). Fleisch und wurst (klein) wird "nicht häufig verzehrt" (77), ist also doch irgendwie übel."Soziale Dienste werden im steten wechsel der aufgabenteilung gemeinschaftlich geleistet."(76) "steter wechsel" (klein = gut - was würde unsere gehbehinderte Oma dazu sagen?). Ein Vorzeigeprojekt: Aus einer einstigen Automobil-Großfabrik (groß) entstand "ein vielseitiger produktionsbetrieb für moderne transportsysteme." "Hinter stählernen, jugendstilartig oder modernistisch gestalteten torbögen führen steintreppen und rollbänder in die ehemaligen U-bahnschächte, wo der größte teil des innerstädtischen gütertransportes bewältigt wird. Wie in einer rohrpost werden die raketenförmig konstruierten wagons mit gütern beladen zu ihren bestimmungsorten programmiert, die sie mit hoher geschwindigkeit erreichen, so dass die weiteste entfernung in weniger als fünfzehn minuten überbrückt werden kann."(78f) Dies Kleingeschriebene wird aber von "anderen städten ... wegen der auftretenden störanfälligkeit kritisch betrachtet oder gar aus ökologischen gründen abgelehnt". Gott sei Dank, denn eigentlich sind in R's Welt "luft- und segelschiffe" angesagt, "weil die menschen ein bequemes zeitgefühl genießen."(79) Das wissen offenkundig viele nicht. Sie müssen malochen. Ein beliebter Fernsehsender, ehrenamtlich betrieben, hat spontane Sendepausen, weil "seine macherInnen oft mühevoll damit beschäftigt, ihren lebensunterhalt noch mit anderen tätigkeiten zu bestreiten."(83) Solches "machen" (klein), das dem Selbst (bei R. Klein) dient, ist also unzuverlässig, die schlichte Lohnarbeit dagegen zuverlässig. Was sagt uns das? Wo es wirklich ernst wird, muss diese (ungeliebte) Lohnarbeit her. Es ist R. Offenkundig undenkbar, dass andere Tätigkeiten als Lohnarbeiten materiell tatsächlich eine Gesellschaft tragen können. Das ihm in seiner "sozialistischen" Fantasie Eigentliche, die Selbsttätigkeit, ist hier also eine verzichtbare Sache von Jux und Freizeit oder Ausdruck von Mangel - normaler Kapitalismus also, bei R. Sozialistische Gesellschaft genannt. Eine wirklich über den Kapitalismus hinausweisende Idee wird so dem Spott preisgegeben. "Überwiegend handwerklich" fertigen 500
Menschen in R's Utopia kleine Traktoren nur für nächste Umgebung,
sechs pro Tag.(88f) Das ist Lohnarbeit, in der wohl kaum das Salz an
die Suppe verdient werden kann, zumal die Bude wegen mangelnder Kunden
immer wieder geschlossen bleibt. Eine Satire? Dazu passten dann der ernüchternde Longomai-bericht und einige Theoriebezüge nicht. Hier schreibt ein ursprünglich an Marx Geschulter, der allerdings vergisst, dass Marx nicht Die Kapitalisten sondern Das Kapital geschrieben hat, dass - siehe den Real-Sozialismus - das Vertreiben der großen (Privateigentümer) noch nicht das Aufheben der Wert- und privateigentümlichen Produktionsverhältnisse bedeutet, dass es die Lohnarbeit ist, die unvermeidbar Herrschaft produziert, die Herrschaft der Verhältnisse über Arbeiter und Unternehmer. Die Phrasen des Real-Sozialismus über sich selbst nimmt R. Als Argument gegen stringente theoretische Arbeit: Dessen Scheitern habe bestätigt, dass "ein sozialistisches Gedankenmodell, das sich auf den Eigentumsbegriff als die zentrale Achse seines Selbstverständnisses reduziert", den Kommunismus in weite Ferne rückt.(46) Wo war am Staatseigentum an Produktionsmitteln das Sozialistische, wo an Lohnarbeit und Warenproduktion? Wirkliche Demokratie soll es bei R. Richten. Doch woher nehmen die Demokraten, die Mittel für ihre Wohltaten her?: Aus der Warenproduktion. Und die hat eben die Logiken, die auch bei ihm durchscheinen, die R. Aber tapfer ignoriert. Was bleibt von Demokraten, die der Verwertung Raum sichern und damit gegen die Bedingungen ihrer Absichten und Wirksamkeit agieren müssen? Wo liegen R.s systematische Fehler? Er kann zwischen sachlichen
Produkten, Geräten und der sozialen Form, in der sie bewegt werden,
nicht unterscheiden: "Alle Betriebe sind ... vom druck der Zinslasten
und teilweise von der pflicht der Kapitalamortisierung befreit. An die
stelle der früher ausschlaggebenden Rentabilität des maschinenpartks
tritt der aspekt der menschlichen würde und der langfristigen nützlichkeit
im verhältnis von produzentInnen in den vordergrund. Das befreit
die produzentInnen aus der wirtschaftlichen Gewalt ihrer maschinerie."(93) Die Praxis, Sozialismus und Warenproduktion zusammenzudenken, war einst eine große geistige Antriebskraft, die in Ost und West Sozialstaaten hervorbrachten. Geschichtlich war das gebunden an die zivilisatorischen Potenzen der kapitalistischen Produktionsweise und an starke soziale Bewegungen, die diese aus dieser Formation herauspressen konnten. Mit dem einen versiegt heute auch das andere. Unter postfordistischen Produktionsverhältnissen hängt der tatsächliche Reichtum von Gesellschaften immer weniger von der Masse der verausgabten Arbeitszeit ab (weshalb Arbeitslose auch zunehmend keine Reserve-Armee für zukünftige Verwertung mehr darstellen und letztlich auch keine Institution durch Umverteilung von Wert deren Existenz sichern kann), sondern von der schöpferischen, wissenschaftlichen, künstlerischen Qualität der agierenden Individuen und ihren Fähigkeiten zur bewussten sozialen Kooperation. Von diesem geschichtlichen Punkt an, da der Reichtum nicht mehr notwendig in Warenform und durch Lohnarbeit produziert werden muss und allen zur Verfügung stehen kann, wird Sozialismus möglich, ist die unvermeidbar auf Verwertung gerichtete Warenproduktion, die wertförmige Vergesellschaftung nicht mehr die notwendige und tragfähige materielle Grundlage zivilisatorischen Fortschritts. Sind damit die von R. Beschriebenen tatsächlichen alternativen Versuche abzulehnen? Nein. Sie machen schon deshalb Sinn, weil sie einzelnen Menschen wenigstens zeitweilig eine erträgliche Existenz sichern. Es werden hier auch soziale Kompetenzen entwickelt, die für sozialistische Umbrüche bedeutsam sein können. Und als partielle Antworten auf konkrete Unfähigkeiten der kapitalistischen Warenproduktion, menschliche Bedürfnisse menschlich zu befriedigen, können hier alternative Methoden und Techniken geschaffen werden. Die von diesen Versuchen selbst nicht überschreitbare Grenze ist gesetzt durch ihr Eingebundensein in die herrschende Warenproduktion. Deshalb werden solche Projekte häufig normale kapitalistische Unternehmen mit all den Konsequenzen auch für die inneren Beziehungen oder sie brechen zusammen oder sie werden alimentiert (was eben auch eine funktionierende Verwertung voraussetzt - bloß an anderer Stelle). R. - dies sein Grundfehler - setzt auf eine durch Warenproduktion abgesicherte sozialistische Entwicklung, in der dann konsequenterweise auch noch zahlreiche zivilisatorische Errungenschaften der bürgerlichen Epoche zugunsten von Askese und regionaler Borniertheit aufgegeben werden. Seine Fantasien sind faktisch Unterwerfungen unter das Gegebene und zugleich Parodien auf den einstigen Osten. Wege aus dem Kapitalismus sind theoretisch und praktisch nur jenseits des Feldes der Warenproduktion und der Lohnarbeit zu finden. Solchem Realismus müssten sich sozialistische Fantasien stellen.
Zur Kritik der sozialistischen Fantasie von Ulrich Weiß"Das Problem sehe ich darin, dass die Leute auf ihren verschiedenen Stühlen nicht in eine fruchtbare Diskussion miteinander kommen, was sie in einer anderen Welt leben möchten" Uli Weiß bemerkt, dass wir grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen haben. Und das finde ich gerade das Spannende, wenn mensch sich auf eine streitbare Diskussion einlässt. Dafür braucht's aber die gegenseitige Anerkennung der Argumente auf einer "gleichrangigen Höhe", sonst hat das Ganze ein unfruchtbares Gefälle, das sich von der Höhe der Wahrheit auf die Tiefe der fixen Idee herablassen muss. Ich möchte ein paar Überlegungen zu meinem Buch äußern: Anhand einiger Grundpositionen und Fragmente bei Marx/Engels wird m.E. deutlich, wie sehr grundsätzliche Fragen des "wissenschaftlichen Sozialismus" ungelöst blieben bzw. durch die Entwicklung neu formuliert werden müssten. Auf diese Grundpositionen und Fragmente kann es verschiedene Blickwinkel und auch Antworten geben. Keiner der Aspekte/Bereiche dürfte ein Schlüsselproblem darstellen, dessen Lösung das Tor zu einer besseren Gesellschaft öffnete. Meiner Meinung gibt es keinen einzigen Dreh- und Angelpunkt, der wie eine Drehscheibe an alle anderen Probleme andockt. Das sowjetische System (und damit auch alle Staaten und Wirtschaftssysteme, die ähnlich der SU funktionierten) war in meinen Augen sehr wohl ein sozialistisches, da es ganz wesentliche Merkmale aufwies, die auch Marx und Engels als charakteristisch für den Sozialismus ansahen - allerdings in einer sehr unvollkommenen und pervertierten Ausführung. Die Produktionsmittel waren im Wesentlichen in den Händen der staatlichen Macht und es gab eine zentrale Wirtschaftsplanung, um wirtschaftliche Krisen zu vermeiden und die Produkte auch nach sozialen Kriterien zu verteilen. An Stelle des Proletariats hatte allerdings die Parteiführung die staatliche Macht inne. Das war der wesentliche Unterschied zur Diktatur des Proletariats bei M/E. Wenn ich mich recht entsinne, enthalten die Sozialismusentwürfe im Kommunistischen Manifest, in der Kritik des Gothaer Programms und anderen Schriften wie von der Utopie zur Wissenschaft nichts grundsätzlich Anderes - aber mit der Vorstellung verbunden, dass die Klassenunterschiede schneller verschwinden, der Staat schneller abstirbt und die Verteilung nach einer ersten Stufe des S. nicht mehr nach dem bürgerlichen Leistungsprinzip, sondern nach Bedürfnissen erfolgt - also die in Aussicht stehende Perspektive einer kommunistischen Gesellschaft. Diese "Formalitäten" gehörten zum Grundkanon aller kommunistischen Strömungen - ihre gegenseitigen Feindschaften wurden ideologisch mit angeblichen und tatsächlichen Abweichungen von diesen Formalitäten begründet - wobei es von maoistischer Seite Ansätze gab, denen solche Formalitäten nicht genügten, weil sie mit alten Inhalten ausgefüllt blieben, solange die Basis der ArbeiterInnenschaft nicht wirklich auch "Herr der Produktion" werden konnte. Dieser Punkt deutet schon auf ein inhaltliches Problem, das Marx in anderen Zusammenhängen aufgezeigt hat - in der deutschen Ideologie geht es um die Teilung der Arbeit in körperliche und geistige und die damit verbundene Verfügungsgewalt über ProduzentInnen und Produkte. Die Wichtigkeit dieser Schlussfolgerung ist im sowjetischen Machtbereich vollkommen beiseite geschoben worden - das Problem wurde in technokratischer Manier auf die Entwicklung der Produktivkräfte geschoben und nicht als zu gestaltende oder zu erstreitende Auseinandersetzung anerkannt. Mit der inhaltlichen Frage der Warenproduktion und des Wertgesetzes ist es nicht so eindeutig und einfach. Es gibt dazu durchaus unterschiedliche Standpunkte, weil die Aussagen von Marx in seinen ökonomischen Schriften da nicht so eindeutig sind. Allenfalls das Verteilungsprinzip nach den Bedürfnissen lässt darauf schließen, dass es in der höher entwickelten Kommunistischen Gesellschaft aus Gründen der moralischen, sozialen und technologischen Weiterentwicklung das bürgerliche Leistungsprinzip nicht mehr gibt. Und in den Grundrissen (die diesbezüglichen Aussagen werde ich bei Gelegenheit genauer lesen) gibt es meines Wissens keine Vision eines warenlosen Sozialismus, sondern die gedachte Verlängerung eines gesellschaftlichen Reichtumspotenzials, das den wirtschaftlichen Anreiz der Wertkategorie obsolet macht und allen Individuen Möglichkeiten eröffnet, am Genuss und am Reich der Freiheit teilzunehmen, während das Reich der Notwendigkeit auf ein Mindestmaß geschrumpft sei. Wenn ich das falsch verstanden habe, bitte ich um Erläuterung bzw. eine gezielte Angabe, wo ich das genau nachlesen kann. Zur Frage des Wertes gibt es sogar Passagen, die vermuten lassen, diese Kategorie gehöre zu einer zeitlosen Gesetzmäßigkeit, die in jeder Ökonomie, also auch in der sozialistisch/kommunistischen, zur Geltung komme. Georg Lukacz beruft sich in seiner Schrift "Sozialismus und Demokratisierung" hier auf den Zeugen Marx, den er gegen Stalin ("Die ökonomischen Probleme des Sozialismus in der UdSSR") ins Feld führt (MEW 23/S.92/93). Offensichtlich wird Marx verschieden ausgelegt, je nach dem, wo die MarxexegetInnen den Schwerpunkt ihrer Marxinterpretation suchen. Ein weiterer wichtiger Inhalt ist die im Kapital formulierte Kritik am Fetischcharakter - aber auch hier wieder losgelöst von der Frage, wie das Problem im Sozialismus gelöst sein könnte. Bakunins Kritik an Marxens Staatsillusion (Diktatur des
Proletariats - die m.E. durch die Illusion über die emanzipatorische
Fähigkeit des Proletariats selbst hervorgerufen wurde) wurde von
der Wirklichkeit später noch weit übertroffen. Der erbitterte
Kampf von Marx und seinen Anhängern gegen die anarchistischen SozialistInnen
hat letztendlich dazu beigetragen, dass die Staatsillusion in der SPD
und in sozialistischen/sozialdemokratischen Parteien anderer Länder
zu einer ideologischen Säule des Revisionismus wurde, der sich
später entgegen alle "marxistisch-leninistischen" Postulate
bis in das sowjetische System fortsetzte. Marx erwähnt im Kapital auch die Untergrabung des
Reichtums der Erde durch ihre kapitalistische Ausbeutung, beispielhaft
belegt an der modernen Landwirtschaft in den USA. Leider blieb dies
nur ein Ansatz, der an vielen Stellen in anderen Schriften von einem
technologischen Fortschrittsoptimismus überlagert wurde. Auch in
der Frage der Technologie lassen sich bei Marx widersprüchlich
interpretierfähige Schlussfolgerungen ziehen. Einerseits sieht
er in der technologischen Entwicklung einen Fortschrittsmotor. Bei Marx
(ich kann keine genaue Angaben machen wo ) ist meiner Erinnerung nach
im Kapital aber auch zu erfahren, dass die Warenproduktion samt Ausbeutung
eine spezifisch kapitalistische Art der Technologie hervorbringt - Die Marxsche Vorstellung von Sozialismus war ja damals zeitgemäß auch mit der Vorstellung der Überwindung einer kleinteiligen Borniertheit und einem Trend hin zum Großen verbunden, ein Trend der natürlich auch technologische Voraussetzungen und Konsequenzen hatte. Heute wissen wir aus Erfahrung, dass Zentralisierung der Demokratisierung im Wege steht, dass aber Dezentralisierung aufgrund der Mobilität und der Vernetzungsmöglichkeiten heute nicht mehr unbedingt Bornierung bedeuten muss. Dezentralisierung ist eine wesentliche Voraussetzung, damit basis-demokratische Strukturen entstehen können, die mit Hilfe der modernen Elektronik über Grenzen hinweg verbunden werden. Eine Tendenz, welche der Dezentralisierung Vorschub leisten würde, ist die Umstellung der Energiebasis auf regenerative Energien. Feministische Theorieansätze sehen in der Marxschen Kapitalismusanalyse einen großen weißen Flecken - die Frage der reproduktiven Tätigkeiten, die Rolle des Weiblichen und ihre Unterordnung unter die männliche Dominanz - haben in der feministischen Forschung zu einer anderen Sicht auf die Ökonomie geführt. ÖkofeministInnen sehen in der Verbindung von Reproduktion und Natur das Zentrum einer solidarischen Ökonomie, in der die Produktion den Bedürfnissen dieses Zentrums untergeordnet ist. In der feministischen Denkschule gibt es VertreterInnen, die sich an der Warenkritik beteiligen und die Selbstversorgung als eine Möglichkeit sehen, den Bereich des wertfreien Wirtschaftens (Schenkökonomie, freiwillige Kooperation, wirtschaften für ein gemeinsames Eigenes usw. ) von dort aus auszudehnen. Die vom Club of Rome in den siebziger Jahren spektakulär initiierte Debatte um die Grenzen des Wachstums spielte sich zwar vor dem Hintergrund der sog. Ölkrise ab. Aber dahinter kamen schon die verheerenden ökologischen Auswirkungen einer vom Wachstumszwang beherrschten Ökonomie zum Vorschein. Im Prinzip leben wir paradox in einem warenförmigen Überflusssystem, das nach Meinung von ökologisch orientierten SozialistInnen in der Form nicht aufrecht erhalten werden kann, weil die Belastbarkeit der natürlichen Grundlagen verheerende Folgen zeitigt. Aus dieser Sicht geht es nicht darum, den Überfluss aus seinem Warengefängnis zu befreien, zumal dieser Überfluss mit viel unnützem Zeugs belastet ist, das nicht nur die Umwelt schädigt, sondern auch die emanzipatorische Entwicklung der Individuen behindert. Statt dessen müsste eine emanzipatorische Gesellschaft ihre Bedürfnisschwerpunkte von materiellen Konsumgütern auf kommunikative, bildungsmäßige und künstlerische Bereiche verlagern. Im kommunikativen Bereich zeigt sich allerdings, dass die Vermarktung von Wissen und Ergebnissen anachronistisch wird, wenn die Barrieren der Warenförmigkeit leicht umgangen werden können. Das Experimentieren mit einer warenfreien Kooperation zwischen den Beteiligten bei der Entwicklung von Computerprogrammen bringt neue Erkenntnisse und Erfahrungen mit sich, die sich vielleicht auf andere Bereiche ausdehnen lassen. Diese Frage muss praktisch gelöst werden. In meinen sozialistischen Fantasien war es mir wichtig, diese verschiedenen Aspekte in Form einer Reportage in Beziehung zueinander zu bringen. Dadurch erschließt sich auch die Ebene einer gewissen Spannung, die durch gesellschaftliche Konflikte erzeugt wird, z.B. im Streit um die Rolle des Geldes. Und um das Lesen auch ein wenig unterhaltsam zu machen, gibt es Kuriositäten (Losverfahren) und Animositäten. Aber die geschilderten Konflikte haben nicht nur den Grund, Unterhaltung oder Spannung zu erzeugen. Es wird keine Auflösung aller Widersprüche geben. Eine Gesellschaft, die keine Entfremdung mehr kennt, in der Schafe und Wölfe nur noch friedlich beieinander liegen, entspricht den Heilserwartungen der biblischen Texte. Solange uns der Messias aber nicht das Heil auf die Erde bringt, werden wir uns mit Konflikten herumschlagen müssen. Fragt sich nur, wie zivilisiert wir das schaffen. Die sozialistische Vision darin bleibt, dass die Trennung von Arbeit und Eigentum aufgehoben ist, dass niemand mehr verhungern muss und dass die Menschen mehr Freiheit genießen als in den Zuständen, mit denen wir uns jetzt herumschlagen müssen. Im Übrigen ist es nicht so, dass die Leute asketisch leben in meiner Fantasie. Die meisten Gebrauchsgegenstände, die wir kennen, stehen ihnen auch zur Verfügung. Nur sie gehen sparsamer damit um, durch kollektiven Gebrauch, durch Verschenken und durch die Überflüssigkeit von Statussymbolen. Die Ökonomie beruht auf dem kollektiven Eigentum der Kommune, die Gebäude und Produktionsmittel engagierten NutzerInnen, die weitgehend Spielraum für eigene Initiativen und Ideen haben, zum Gebrauch zur Verfügung stellt. Dass es keine Zinsen und Gewinne gibt, ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu den Ökonomien des Realsozialismus und wie ich meine auch ein Stück Befreiung aus ökonomischen Zwängen. Es muss kein Mehrwert mehr erzeugt werden. Das befreit auch vom Wachstumszwang. Es gibt keine strikte Trennung mehr zwischen geistiger und körperlicher, produktiver und reproduktiver Arbeit. Auch das ist weit fortschrittlicher als im Realsozialismus. Es gibt keine gravierenden Lohnunterschiede mehr, und in der Fabrik diskutieren die Arbeiter darüber, die Lohnzahlung abzuschaffen. Statt dessen kann sich jedeR nach seinen Bedürfnissen aus der gemeinsamen Kasse bedienen, natürlich im Rahmen eines vorgegebenen Budgets und ausgehandelter Regeln. Und es gibt die nachbarschaftliche Selbstversorgung mit Lebensmitteln aus Gärten und Feldern. Die Menschen zahlen auch keine Mieten, weil der Anteil der Selbstversorgung im Baubereich durch Eigenleistungen sehr hoch ist. Und wenn die Arbeitsentgelte durch ein verstärktes Engagement in der Selbstversorgung sinken, verringern sich auch die Abgaben an den städtischen Fonds. Der gesamte Geldkreislauf wird dadurch vermindert. Eine Fantasie, in der die Gesellschaft gänzlich ohne Warenproduktion auskommt, war mir doch zu kühn. Es geht ja nicht nur darum, dass den Menschen die Arbeit zum Bedürfnis geworden ist. Eine geldlose Kooperation kann ich mir vorstellen, wo Menschen in überschaubaren, kleinen Kreisläufen Zufuhr und Nachfrage direkt ausgleichen können. Dann sind die Fertigungsketten aber auch nicht sehr tief. Aber wie kommt der Stahlarbeiter an seine Milch, wenn der Bauer, was der Normalfall ist, kein Stückchen Stahl gebrauchen kann? Wie werden die einzelnen Glieder der langen Versorgungskette aufeinander abgestimmt mit Arbeitszeiten und Berechtigungen zum Zugriff auf Produkte? Es wird immer eine relative Knappheit bei bestimmten Gütern herrschen. Dementsprechend müssen sich Arbeitsaufwand und Verbrauch aufeinander beziehen. In einem Schlaraffenland, in dem die Produktion gänzlich von Robotern bewältigt wird und mehr Güter produziert werden als die Menschen benötigen, wäre eine Gesellschaft ohne Warenproduktion die nahe liegende Konsequenz. Aber das ist dann wirklich Sciencefiction. Meine Beobachtung fördert nun das Ergebnis zu Tage,
dass keinE eingefleichteR SozialistIn mit meiner Fantasie zufrieden
ist, weil ihr/sein jeweils fokussierter Schwerpunkt in dem Themenspektrum
nur inkonsequent zum Zuge kommt. Bei den traditionellen KlassenkämpferInnen
spielt das Proletariat eine zu geringe Rolle, stört das Handwerk,
gibt es zu wenig Fabrik, bei einer Ökofeministin ist zu viel Städtisches
drin, der libertäre Ansatz ist durch das kommunale Rätesystem
verwässert, Silvio Gesell kommt nur am Rande vor, der warenkritische
Ansatz kommt zu kurz usw. Ich sitze also zwischen allen Stühlen.
Aber das ist nicht mein Problem. Das Problem sehe ich darin, dass die
Leute auf ihren verschiedenen Stühlen nicht in eine fruchtbare
Diskussion miteinander kommen, was sie in einer anderen Welt leben möchten,
was möglich sein kann und wie man Unterschiedlichkeiten auf ein
gemeinsames Ziel lenken kann. In der internationalen globalisierungskritischen
Bewegung sind ganz unterschiedliche Klassen, Milieus, soziale Sichten,
Sitten, Kulturen und dementsprechend Ansichten und Interessen vertreten,
Leute, die Proudhon näher stehen als Marx oder die ganz andere
Bezüge haben, Menschen die auf den Sozialstaat und einen keynesianisch
gezähmten Kapitalismus zielen und solche, die ihn überwinden
wollen. Ich denke, die müssen sich im gegenseitigen Respekt ertragen.
Der konkrete Kampf wird zeigen, wo sich die Wege wieder trennen oder
wie sie zusammenbleiben. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn die
mächtigsten Institutionen des Kapitals erst einmal ihre scheinbare
Allmacht durch einen heftigen Widerstand einbüßten, damit
der Spielraum für eigenständiges Handeln und neue Ansätze
tragfähig werden kann.
Antwort von Ulrich Weiss auf WRs Replik"Weder das Staatseigentum noch proudhonistischen Rücknahmen der Kapitalisierung können die Vermittlung von Gesellschaftlichkeit durch Wert/Geld aufheben." 1. Du schlägst "streitbare Diskussion
... [bei] Anerkennung der Argumente auf einer gleichrangigen Höhe'"
vor. Sonst - Du meinst wohl meine Methode - habe "das Ganze ein
unfruchtbares Gefälle, das sich von der Höhe der Wahrheit
auf die Tiefe der fixen Idee herablassen muss." Ich nehme die dann
folgende Bemerkung zu "Grundpositionen und Fragmenten bei Marx/Engels"
als Erläuterung dieser Aussage: "Keiner der Aspekte/Bereiche
dürfte ein Schlüsselproblem darstellen, dessen Lösung
das Tor zu einer besseren Gesellschaft öffnete. Meiner Meinung
gibt es keinen einzigen Dreh- und Angelpunkt, der wie eine Drehscheibe
an alle anderen Probleme andockt." 2. Gleich anschließend schreibst Du: "Das
sowjetische System ... war ... 3. Marx zustimmend schreibst Du: "In der deutschen
Ideologie geht es um die Teilung der Arbeit in körperliche und
geistige und die damit verbundene Verfügungsgewalt über ProduzentInnen
und Produkte." Offenkundig ist auch nach Deiner Meinung die Aufhebung
dieser Arbeitsteilung (im Sinne von Herrschaft der einen über die
anderen) wesentlich für die Überwindung des Kapitalismus -
ein "Dreh- und Angelpunkt" also. Dass Du diese Marxsche Grundposition
heranziehst macht in Bezug auf Deinen Text auch Sinn, geht es doch in
Deiner sozialistischen Fantasie oft um die Rücknahme der kapitalistischen
Arbeitsteilung. Du schreibst auch, dass die Sowjetunion dies nicht gelöst
hatte. Sozialistisch war sie Dir trotzdem. Warum? Vermutlich, weil es
da staatliches Eigentum an Produktionsmitteln gab und zentrale Planung.
Unsozialistische Arbeitsteilung und sozialistisches Staatseigentum -
das geht also zusammen? Werner Du willst die kapitalistische Arbeitsteilung in
Frage stellen. Du versuchst das, indem Du sie Dir kleiner, abgeschwächter
vorstellst, aber nicht indem Du die soziale Form, die die (kapitalistische)
Arbeitsteilung hervorbringt und voraussetzt, aufhebst. Dies ist eine
rückwärtsgewandt-utopische Idee, die auf vorkapitalistische
Warenproduktion, handwerkliche Verhältnisse orientiert. Du willst
die Wertform zurück entwickeln, aber nicht aufheben. Du entkommst
aber ihrer Logik nicht - Dein Text bietet selbst Belege dafür (ich
habe welche genannt). 4. Du könntest zum Beispiel auf folgendes
verweisen: Marx folgend (siehe seine Gedanken zur russischen Dorfgemeinde
und deren sozialistischen Potenzen) verweisen manche Leute (ich auch)
in der Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus auf die Parallelität
verschiedener historischer Erscheinungen. Einerseits wird international
die gesellschaftliche Entwicklung von postfordistischen kapitalistischen
Produktionsverhältnisse und Produktivkräfte dominiert, die
allerdings ihre integrative, lebenserhaltende Kraft verlieren und immer
lebensfeindlicher wirken. Zugleich gibt es weiterhin - nicht nur in
der sogenannten dritten Welt - nichtkapitalistische Lebensformen von
Gemeinschaften. Diese sind angesichts der Globalisierung massiv bedroht. 5. Hier muss tatsächlich theoretisch argumentiert
werden. Du weißt oder ahnst, was hier das Schlüsselproblem
ist und erklärst, dass es auch bei Marx in der "Frage der
Warenproduktion und des Wertgesetzes ... nicht so eindeutig und einfach"
sei. Erstens: Wir sollten anhand der genannten Marxschen oder anderer Texte darüber diskutieren, ob die Alternative so steht: Sozialismus oder Warenproduktion? Zweitens: Dann sollten wir die Marxschen Argumente
in der Kritik des Gothaer Programms prüfen. Die haben es in Bezug
auf unsere Kontroverse in sich. Zu dieser Kritik ist Marx als Reaktion
auf die Sozialismusbilder der Lasalleaner gezwungen, die er grundsätzlich
für falsch hielt (Volksstaat, ungeteilter Arbeitsertrag, gerechte
Verteilung). Hier nimmt er eine Übergangsgesellschaft zwischen
Kapitalismus und dem entfalteten Kommunismus an, Sozialismus oder erste
Phase des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus hat sich in seinem Bestandteil
"Politischen Ökonomie des Sozialismus" und in der "sozialistischen"
Wirtschaftspraxis gerade auf wesentliche Aussagen von Marx über
diese Übergangsgesellschaft gestützt. In real-"sozialistischer"
Theorie und Praxis ging es immer wieder auch um die konsequentere "Anwendung
des Wertgesetzes". (Ein Einschub: Die Wende, längst durch
die DDR-Ökonomie vorbereitet, war die radikale Umsetzung genau
dieser Forderung. Der bundesdeutsche Sozialstaat zieht jetzt insgesamt
nach). Drittens: Ich nehme Marx hier nicht als obersten
Schiedsrichter an, nach dem sich die Wirklichkeit zu richten hätte,
sondern "nur" als Bezugspunkt für theoretische Auseinandersetzungen
über die Wirklichkeit und mögliche Entwicklungen. Als solchen
kenne ich allerdings keinen besseren und nehme ihn ernst.
Wenn wir diese reale Entwicklung konfrontieren mit der Marxschen Methode, mit seinen Kategorien, in der er die kapitalistische Produktionsweise, die Wertverwertung durchgängig unter dem Gesichtspunkt ihrer Aufhebbarkeit analysiert, dann wird die Aufhebung des Kapitalismus als Aufhebung der Warenproduktion tatsächlich denkbar. Dann kann die Suche nach Keimformen, nach Voraussetzungen und Momenten des Neuen im Alten sinnvoll diskutiert und betrieben werden. Das heißt überhaupt nicht, dass eine solche (auch theoretisierende) Herangehensweise die einzige oder auch nur die wesentliche Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus ist (ich treibe ja auch mehr). Doch Dein Text Werner hat eben auch einen theoretischen Anspruch und er führt einen entsprechenden Titel ("sozialistische Fantasie"). Nicht jede soziale Bewegung, die sich antikapitalistisch
dünkt, ist auch eine. Was Aufhebung der Kapitalverhältnisse
bedeutet und was Sozialismus ist, in welche Richtung ich also suche
und mich engagiere, das muss diskutierbar sein. Uli Weiß
Antwort von Werner Ruhoff auf Ulrich Weiß"Die Konsumkultur auf der nördlichen Erdhalbkugel, die sich partiell auch nach Süden ausdehnt, ist demnach kein zukunftsfähiges Lebensmodell für die Menschheit." Lieber Uli, Mit dem Bild vom Gefälle zwischen "Wahrheit und fixer Idee" wollte ich keine persönliche Wertung treffen, es bezog sich nur auf mein Anliegen, in der Diskussion fair miteinander umzugehen. Es geht mir um einen Gedankenaustausch, aus dem ich etwas lernen kann, statt um Belehrungen und Herablassungen in die und aus der ein oder anderen Richtung. Mit "Dreh- und Angelpunkt", z.B. die Verstaatlichung
der Fabriken, meinte ich eine normative Voraussetzung, von der die Lösung
aller gesellschaftlichen Probleme auf eine zivilisierte Art und Weise
abhängig sein soll. Sie löste schon nicht das Problem der
Macht im Sinne des Proletariats, ebenso wenig führte sie die Überlegenheit
der Produktivität und die Abschaffung von gesellschaftlichen Klassen
herbei. Sie ist aber als Aufhebung des Privateigentums in Anlehnung
an Marx und Engels "Dreh- und Angelpunkt" des sozialistisch/kommunistischen
Selbstverständnisses im Sinne der Lösungsmöglichkeit
gesellschaftlicher Probleme durch die Aufhebung hinderlicher Unverträglichkeiten.
Hier zeigt sich, wie sehr "Grundpositionen" bei Marx und Engels
durch die Erfahrung in einem neuen Licht gesehen werden müssen.
Zu diesem neuen Licht gehört auch das Aufgreifen und die Aktualisierung
ihrer Warenkritik - da haben wir keinen Dissens. An der Stelle gilt
es aber m.E., die unterschiedlichen Ebenen von Sinn und Norm ins Blickfeld
zu nehmen. Als Beispiel zitiere ich noch mal die Verstaatlichung: mir
ging es mit der Bemerkung, dass es keinen Dreh- und Angelpunkt gibt,
um den Sinn der Verstaatlichung, der sich, auch gemessen an den oben
zitierten Beispielen, nicht erfüllt hat. Von den normativen Vorgaben,
wie wir sie im Kommunistischen Manifest, in der Programmkritik an der
Sozialdemokratie oder von der Utopie zur Wissenschaft finden, wich der
Realsozialismus insofern ab, als die Kommunistische Partei die Stellvertreterrolle
(die sich zu einer Unterdrückung gewandelt hat) für das Proletariat
inne hatte. Was die Frage der Warenproduktion im Sozialismus angeht,
gibt es meines Wissens weder bei Marx, noch bei Engels oder Lenin die
Eindeutigkeit eines normativen Kriteriums als Voraussetzung, allenfalls
die aus der Warenkritik abgeleitete Erwartung, dass die Warenproduktion
als Folge der kollektiven Besitzergreifung aufgehoben wird. Aber da
gibt es bei den "Klassikern" fragmentarisch Widersprüchliches.
Selbst in der kommunistischen Vision ist die Frage der Wertförmigkeit
nicht eindeutig beantwortet. Da werden die Güter zwar nach Bedürfnissen
und nicht mehr nach der Leistung verteilt. Aber im dritten Band des
Kapital ist die Rede, dass die "Wertbestimmung" im Hinblick
auf die Arbeitsverteilung "nach Aufhebung der kapitalistischen
Produktionsweise.......wesentlicher denn je wird" (MEW Bd. 25/S.
859). Warum? Und an dieser Stelle wird nicht ausgeführt, ob es
sich dabei nur um die "niedere Phase" des Sozialismus handelt
oder ob die "höhere" des Kommunismus inbegriffen ist.
Es bleibt die Frage offen, ob die Kategorie des Wertes weiterbesteht,
auch wenn es keine Warenproduktion mehr gibt. Ich kenne mich in den
MEW-Schriften nicht als Wissenschaftler aus. Und mir ist aus der Sekundärliteratur
nicht bekannt, wo es diesbezüglich von Marx und Engels eine Klärung
dieses Sachverhaltes gibt. Vielleicht kannst Du mir einen Hinweis geben
(siehe meine Bermerkung in der Antwort vom 14.2. bezgl. der Grundrisse).
Was den Realsozialismus in der DDR angeht, so bin ich allerdings auch
der Meinung, dass mit dem Neuen Ökonomischen System der Planung
und Leitung die in staatlicher Hand zentralisierten Produktionsmittel
den Charakter von Staatskapital annahmen. Das lässt sich z.B. am
Kreditwesen und an den zinsähnlichen "Produktionsfondsabgaben"
festmachen, welche die so genannten volkseigenen Betriebe auf der Basis
ihrer Gewinnerwirtschaftung an den Staatshaushalt abzuführen hatten.
Dass in die späteren Schriften der Klassiker ganz
pragmatische Gesichtspunkte einflossen, war sicherlich dem damaligen
technologisch-ökonomischen Entwicklungsstadium, dem stimme ich
zu, und der rein praktisch-programmatischen Ebene der neuen Parteigründungen
geschuldet. Heute ist das gesellschaftliche Potenzial selbstredend viel
weiter und insofern erlangt die Weiterforschung und -entwicklung der
marxistischen Warenkritik auch eine wieder entdeckte Aktualität,
die an Brisanz gewinnt. Im kommunikativen und im Wissensbereicht gibt
es nicht die relative physische Knappheit, der konkret feste Gebrauchsgegenstände
trotz eines sichtbaren und teilweise unsinnigen Überflusses unterliegen.
Von daher wirkt auch die Anwendung der Warenform im kommunikativen Bereich
tendenziell anachronistisch. Die Warenbarrieren können relativ
einfach außer Kraft gesetzt werden. Und das geschieht in der Praxis
ja auch. Herstellung und Austausch von Informationen folgen aufgrund
ihrer "flüssigen" und direkten Beziehungsvernetzung leichter
den Anforderungen der Bedürfnisbefriedigung als dies bei "festen"
Gegenständen der Fall ist. Wenn die Herstellungskette bei Lebensmitteln
und technischen Gebrauchsgütern sehr vielgliedrig ist, wird es
richtig kompliziert. Wie sieht das aus, wenn der Bauer oder die Busfahrerin
eine Stereoanlage möchten? Wie werden die vielfach verketteten
Produktions- und Verteilungsebenen aufeinander eingestellt, ohne dass
große Verzögerungen und Reibungsverluste entstehen, oder
der Verbraucher/die Verbraucherin darauf verzichten muss, sein/ihr Bedürfnis
zu befriedigen? Ab welchem Punkt der Produktivität lässt sich
das ohne Warenform (und Wertform - siehe oben) realisieren? Wie und
wann kann ein Vergesellschaftungsniveau erreicht werden, auf dem die
Vermittlung der Güter weder der Warenform noch der Gewalt des Staates
bedarf? Wie müssen Produktion und Austausch organisiert werden,
damit das überhaupt funktionieren kann? Müsste nicht die ganze
Gesellschaft ein extrem komprimierter Produktionsort sein, der in sich
vollkommen transparent ist? Mir schaudert bei dem Gedanken, wenn es
so sein müsste, könnte, sollte. Ich fürchte, das ungelöste
Problem bleibt in allen Sozialismusvarianten bestehen, die es gab und
die bisher ausgedacht wurden: der Widerspruch zwischen VerbraucherInnen
und ProduzentInnen hinsichtlich der Abhängigkeit von der Laune
der ProduzentInnen (es fehlt der Konkurrenzdruck) und hinsichtlich der
leidlichen Funktionsfähigkeit des Wirtschaftskreislaufs (meine
Fantasien haben keine wissenschaftliche Qualität und sie beruhen
lediglich auf der Wunschvorstellung, dass solcher Widerspruch in abgemilderter
Form erträglich ist). Nicht zuletzt aus dem Grund hat es revisionistische
Anschauungen gegeben, die im gemischten Wirtschaftsmodell der Sozialdemokratie
einmal zu Hause waren, das heute, Ironie der Geschichte, unter "kommunistischer"
Herrschaft in China existiert. Die komplette Aufhebung der Warenform
birgt m.E. die Wahrscheinlichkeit (vorsichtig ausgedrückt), dass
Produktion und Bedrüfnisse sich chronisch verfehlen. Wie könnten
ProduzentInnen in einer Fabrik die Produktion Bedürfnissen gerecht
werdend planen und umsetzen, wenn sie von tausenderlei unberechenbaren,
weil "entwerteten" Größen abhängig sind? Wie
würde sichergestellt, dass die Produktion nicht in heilloser Verschwendung
ausartet? Es müsste wirklich ein Überfluss von allem vorhanden
sein, damit die VerbraucherInnen zu ihrem Recht kommen. Dann wäre
Geld als Rationierungs- und Allokationsinstrument überflüssig.
Oder mache ich einen Denkfehler? Klar ist mir, dass Kapital nicht ohne Wareneigenschaft funktioniert. Aber Ware ist noch nicht Kapital, so habe ich Marx verstanden. Sie ist zwar eine notwendige Vorstufe des Kapitals, aber solange sie auf den Kreislauf Ware-Geld-Ware beschränkt bleibt, fehlt ihr die Eigenschaft der scheinbaren Selbstvermehrung. Es geht lediglich um den Austausch von Äquivalenten. Und das hat es natürlich in den Vorepochen der gesellschaftlichen Kapitalverhältnisse bereits gegeben. Wie war es im sowjetischen Block bis zu den Wirtschaftsreformen der sechziger Jahre? Durch die Wirtschaftsreformen wurden die staatlichen Produktionsmittel kapitalisiert. Das hatte, so entnehme ich es dem damaligen Diskurs, mit der zunehmenden Differenzierung/ Intensivierung des Produktionsprozesses zu tun, was schier unlösbare Probleme für die PlanerInnen mit sich brachte. In der staatlich regulierten und verpuppten Kapitalisierung (wobei als feindlich ausgemacht wurde, das Kapital zu nennen) sah man in technokratischer Manier einen Ausweg, Planung und Produktion flexibler zu gestalten, bis sich die Larve unter den Konkurrenzbedingungen des Weltmarktes (als) gänzlich kapitalistisch entpuppte. In meinen Fantasien arbeitet die Traktorenfabrik Sonnenaufgang nach dem Prinzip, das Marx in seiner Kritik an Lassalles "ehernem Lohngesetz" in der Gothaer Programmkritik skizziert hat - Lohn als Wertäquivalent abzüglich der Kosten für den Ersatz der Maschinerie und die allgemeine Wohlfahrt - Punkt. Das hat Marx in seiner Programmkritik als den wirtschaftlichen Boden des Sozialismus gegen Lassalle (und früher schon Proudhon) hervorgehoben und ich habe mich daran angelehnt. Es handelt sich bei der Traktorenfabrik meiner Meinung nicht um (genossenschaftliches oder kommunales) Kapital, weil das produzierte Mehrprodukt in Form von Maschinen nur als gesellschaftliches Wertäquivalent auf der Ebene Ware-Geld-Ware (W-G-W) fungiert und nicht als Bestandteil eines betrieblichen Kapitalvorschusses ("konstantes Kapital"), der als Druckpotenzial auf die Lohnarbeit wirkt und sich im Prozess Geld-Ware-Mehrgeld (G-W-G') als Profit mitrealisiert. Um darüber hinaus das pekuniär sanktionierte, ungerecht gleichmachende Leistungsprinzip (das Marx in der "niederen Phase" des Sozialismus noch als notwendiges Übel ansieht) im betrieblichen Rahmen abzuschaffen, diskutiert das Kollektiv "unserer" Traktorenfabrik, die starre Lohnzahlung nach Leistung abzuschaffen und durch individuelle Entnahmen entsprechend persönlicher Bedürfnisse im Rahmen des betrieblichen Budgets zu ersetzen (Prinzip Lebensgemeinschaftskommune Niederkaufungen). Das Geld ist nicht abgeschafft, aber es vermindert seine Bedeutung auf der praktisch-psychologischen wie auf der gesellschaftlich-funktionalen Ebene. Im Übrigen entbrennt in meinen Fantasien ein Streit um das Geld und es gibt gegenteilige Positionen zu der Frage, ob Geld gänzlich überflüssig ist oder ob es wieder eine stärkere Bedeutung erlangen soll. In diesem fiktiven Streitkontext gibt es aus Gründen gravierender Mängel den umstrittenen Vorschlag, Genossenschaften mit selbst zu verwaltendem Kapital auszustatten, was aber kein Anrecht auf eine Gewinnausschüttung bedeuten soll. Es soll, ähnlich wie bei den Reformen in der DDR, eine rationellere, effizientere Produktion begünstigen, indem es einerseits als Erfolgsindikator für einen sparsamen Umgang mit Ressourcen und Maschinen anreizt und andererseits durch eine innerbetriebliche Gewinnthesaurierung eine schnellere und kontinuierlichere Modernisierung der technischen Produktionsausstattung anregt. Dieser Vorschlag fällt nicht auf ungeteilte Zustimmung, z.B. ob die Produktionsausstattung aus verschiedenerlei Gründen ständig modernisiert werden müsse. Andere sind nicht nur aus ökologischen Gründen für die Ausdehnung der Selbstversorgung, sondern weil Geld hier durch das Kurzschließen von Produktion und Verbrauch für jedeN sichtbar überflüssig ist und das Leben sich ohne Geld leichter anfühlt. Die geldlose Selbstversorgung in der fiktiven Stadt ist im Übrigen eben nicht nur auf Transfers aus dem Geldsektor angewiesen. Im Baubereich, in der Lebensmittelversorgung und der nachbarschaftlichen Hilfe hat sie eine teilweise eigenständige Grundlage, weil die Menschen unmittelbar bzw. über unmittelbare Kooperation verbrauchen/ gebrauchen können, was sie produzieren, ohne dass sie auf eine Geldzufuhr von außen angewiesen sind (deswegen kann in meiner Fantasie niemand mangels Geld verhungern und obdachlos werden!). Es werden Anstrengungen unternommen und Anregungen gegeben, den Bereich der Selbstversorgung auszudehnen und mehr gegenseitige Kooperationen zu organisieren, die losgelöst vom Geld stattfinden. Die Auflösung der bürgerlichen Arbeitsteilung
ist bei M/E ähnlich wie die der Warenform (sie standen nicht auf
der revolutionär-pragmatischen Tagesordnung), so sehe ich es, eine
notwendige, aber scheinbar selbstverständliche Konsequenz aus der
proletarischen Staatsmacht, Verstaatlichung, Planmäßigkeit,
wiewohl sie historisch, kulturell und inhaltlich viel tiefer reicht
als die Verstaatlichung usw. Schließlich ist das Produkt der Teilung
in geistige und körperliche Arbeit nach ME, wie Du zitierst; das
fremde Eigentum und die Teilung in "weibliche" und "männliche"
Arbeit der Zustand des Patriarchats. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung,
dass, wo die Teilung beibehalten wird, das Eigentum (eigentlich) kein
sozialistisches sein kann, obwohl es formal der Allgemeinheit in Form
des Staates gehört. Aber auch hier ist die Schlussfolgerung bei
ME nicht "undialektisch", meint, sie sprechen dem unfertigen
Zustand nach der Revolution den Sozialismus nicht ab. In der Frage der
Arbeitsteilung hat die Mao Tse-Tung Führung im Unterschied zur
scheinbaren Selbstverständlichkeit die Notwendigkeit weiterer Revolutionen
gesehen, um die Herrschaft der Geistesarbeiter über das Arbeitsvolk
in den Fabriken zu brechen, allerdings in einem sehr mechanistisch-stalinistischen,
brutalen Gewaltakt, der meines Erachtens ganz wesentlich zum Misserfolg
mit traumatischen Folgen in der chinesischen Gesellschaft beitrug. In meinen Fantasien schildere ich Begebenheiten, Prozesse und Konflikte, in denen sich meine (Wunsch-)bilder einer sozialistischen Gesellschaft in einem Spannungsfeld ungelöster praktischer und theoretischer Probleme bewegen: meine Wunschbilder zeigen sich darin,
Das, was ich in den Fantasien schildere, sind Wunschbilder, die es in der Wirklichkeit als kleine Inseln in mehr oder weniger "unvollkommener" Form gibt (Umsonstläden, SSM, Niederkaufungen, Longo mai u.v.a.). Ob sich eine Gesellschaft überhaupt einmal in der Weise formiert, steht auf einem anderen Blatt. Außerdem wissen wir überhaupt nicht, wie eine sozialistische Gesellschaft ökonomisch reibungslos funktionieren wird. Es kann durchaus zu wirtschaftlichen Krisen kommen. Eine solche Krise habe ich in meinen Fantasien in der Variante einer Geldentwertung geschildert. Außerdem sind menschliche "Boshaftigkeiten", die über die persönliche Ebene hinaus auch gesellschaftlich relevant wirken, nicht aus der Welt geschafft und nach menschlicher Beschränktheit nie zu beseitigen (Stichwort: aber notwendig wachsende Rolle der Ethik innerhalb eines von Kapital- und Staatszwängen befreiten Gemeinwesens). Innerhalb der Normen und Werte müssen die Menschen ihren Sinn, mit dem sie menschenwürdig leben können, finden. Das lässt sich weder verordnen, noch vereinheitlichen. Eine Pastorin in der Stadt meiner Fantasien bezieht sich auf Martin Buber, der den Sinn in der jüdischen Verbundenheit mit Gott und den Mitmenschen findet und daraus die Zuversicht der heilenden Genossenschaftlichkeit schöpft. W. Ruhoff, 27.Februar 2006 |
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