"Strahlentelex" 2009

„ ein abenteuerliches und bisher unbeachtetes Kapitel zur Geschichte der Kernenergienutzung und der Atomwaffen.“

Es ist unglaublich, wie lange Staatsgeheimnisse und insbesondere die Geheimnisse der Geheimdienste, der Militärs und – der Atommaffia – geheim bleiben können. Stückchen für Stückchen lässt sich erst seit wenigen Jahren eine ganz andere Geschichte der deutschen Atombombe rekonstruieren, als wir sie in den Geschichtsbüchern nachlesen können. Gabriele Weber gehört zu der nahezu ausgerotteten Spezies der investigativen Journalisten. Sie hat sich intensiv mit den schlimmsten Geheimdiensten der Welt befasst: mit der Stasi, dem CIA, dem russischen FSB, dem BND, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Mossad. Sie ist mehrfach vor Gericht gezogen, um Akteneinsicht zu bekommen – beim BND, beim BKA, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei der Berliner Polizei.
Sie hat eine zweite Heimat in Argentinien und nervt auch dort – sie greift die korrupten und gewalttätigen argentinischen Gewerkschaften ebenso an wie die dortigen Untaten von Mercedes Benz. Ihr jüngstes Werk hat eine besondere Qualität. Gabi Weber legt erstmals ein Theaterstück vor, sie folgt in der Form großen Vorbildern: Dialoge waren im alten Griechenland sehr geschätzt, um philosophische Probleme kurzweilig und nachvollziehbar zu erläutern. Auch Galilei griff zu diesem überzeugenden pädagogischen Mittel. Es könnte sein, dass es Gabi Weber nicht nur um eine effektive Vermittlung komplizierter Zusammenhänge geht, sondern dass sie im Unterschied zu ihren bisherigen harten Recherchen in der Form des theatralischen Dialogs eine Möglichkeit sieht, sehr brisante Fakten als Kunstprodukt und damit schwerer formal angreifbar zu präsentieren. Worum geht es inhaltlich? Es ist bekannt, dass Israel spätestens seit 1967 Atommacht ist, also über eigene Atomwaffen verfügt. Israel hat wesentlich mehr Atomwaffen als Pakistan oder Indien. Seltsam ist, dass Israel (anders als etwa der Iran) bis heute nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und sich nahezu vollständig der internationalen Kontrolle seiner kerntechnischen Anlagen verweigert hat, ohne dass ihm das ernsthafte Kritik der internationalen Staatengemeinschaft eingetragen hätte. Im Dämmerlicht liegt immer noch, wie Israel Atommacht werden konnte. Zeitweise gab es eine Zusammenarbeit mit Frankreich, Kennedy stand den israelischen Plänen eher ablehnend gegenüber. Unter der Decke half auch Großbritannien.
Gabi Weber hat in argentinischen Archiven Hinweise dafür gefunden, dass es auch gewichtige Unterstützung für die israelischen Atombomben aus Deutschland und Argentinien gab. Argentinien war schon vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Zufluchtsort für viele Nazis, auch für viele deutsche Fachleute aus dem Bereich der Rüstungsforschung und -entwicklung und der Kernforschung bzw. Atomwaffenentwicklung. General Perón hat das sehr begrüßt und den Exodus deutscher Fachleute sogar aktiv befördert. Von der deutschen Regierung und gewichtigen Vertretern der Industrie wurde diese Entwicklung durchaus wohlwollend gesehen, konnte man doch in Argentinien an Themen weiterarbeiten, die in Deutschland nach dem Kriege tabu waren. Argentinien unterstützte Israel durch mehrere Lieferungen von Natururan, die deutschen Wissenschaftler im argentinischen Exil lieferten mehr know how. Eine besondere Pikanterie erhält diese Geschichte dadurch, dass Adolf Eichmann sich in den Nachkriegsjahren auch in Argentinien aufhielt. Er hatte einerseits Schwierigkeiten, dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verfügte andererseits aber über zahlreiche Kontakte zu den anderen Deutschen und auch zu den deutschen Wissenschaftlern. Er wusste von den geheimen Beziehungen zu Israel und ist im Ergebnis der Recherchen von Gabi Weber nicht vom Mossad wegen seiner Verbrechen in der Nazizeit entführt worden, sondern von einem kleinen auf Rüstungsprobleme spezialisierten israelischen Geheimdienst nach Israel gebracht worden, weil er – schwatzhaft war und die Gefahr bestand, dass er über die atomaren Beziehungen zwischen Argentinien, Deutschland und Israel an unpassender Stelle plaudern würde. Es überrascht nicht wirklich, dass das Bundeskanzleramt zwar eine Eichmann-Akte über die Zeit vor seiner Verhaftung in Israel hat, sie aber bis mindestens 2017 geheim halten will. Gabi Weber verklagte den BND wegen der Geheimhaltung von Erkenntnissen über einen Massenmörder und der lapidaren Begründung, der BND müsse seine Methoden und Quellen schützen. Gabi Webers Büchlein ergänzt ein abenteuerliches und bisher unbeachtetes Kapitel zur Geschichte der Kernenergienutzung und der Atomwaffen.

Sebastian Pflugbeil

 

"Libertarian Press Agency" März 2009

"Wir werden euch den Spiegel vorhalten bis ihr euch wiedererkennt, euch und eure Taten."

Gaby Weber, das ist eine, die den Finger in die Wunde legt. Aber sie legt ihn nicht nur hinein, sondern stochert auch nach dem Geschoß, das sie verursacht hat. Unerschrocken legt sie sich seit Jahrzehnten mit den Mächtigen und den Gefährlichen dieser Welt an, deckt auf, weist nach, stellt an den Pranger, kämpft für Gerechtigkeit und das, das dieser Gerechtigkeit zu Grunde liegt: Wahrheit. Selbst Kind des verlogenen Zeitalters des deutschen Postfaschismus, setzt sie alles daran, die Autoamnesien dieser Gesellschaft ins Gedächtnis zu rufen und unterstreicht in ihren Artikeln, Reportagen, Büchern, Radiofeatures und Filmen: DOCH! Ihr HABT davon GEWUSST ! Ihr habt es nur nicht mehr wissen wollen. Und ihr habt alles getan, daß wir, eure Kinder und Kindeskinder, es nicht zu wissen bekamen. Aber wir wissen - zunehmend- über euch Bescheid! Wir werden euch den Spiegel vorhalten bis ihr euch wiedererkennt, euch und eure Taten. Auf Lüge läßt sich keine freie Zukunft bauen.

Wenn es einen deutschen Pulitzer-Preis für investigativen Journalismus gäbe - Gaby Weber müsste ihn bekommen. Aber diesen Preis gibt es hierzulande für Leute wie Gaby Weber nicht und es gibt auch keinen Freedom of Information Act - hierzulande muß mensch Klage einreichen um den Versuch zu starten, Papiere zu Gesicht zu bekommen, die eigentlich öffentlich zugänglich sein müssten. In diesem Land hat nach wie vor Täterschutz Vorrang. Zumal häufig Staat und Wirtschaft in die Taten verstrickt sind.Gaby Weber erzählt keine Märchen, sie räumt mit ihnen auf. Sie präsentiert hard facts wo Leute die Stirnen kraus ziehen und zweifelnden Blickes zurückschrecken. Sie weiß, daß Tatsachenbehauptungen en detail untermauert werden müssen und daß selbst untermauerte Tatsachenbehauptungen in den Zeiten des generellen Zweifels und Verzweifelns kaum zur Kenntnis genommen werden. Denn hinter einer Wahrheit promenieren frech tausend Lügen über die wohlfeilen Einkaufsstraßen. Ihr neues Buch ist eines das keiner drucken wollte. Ihren Film "Wunder gibt es nicht", will niemand zeigen - hierzulande nicht. In Argentinien, da wo das Verbrechen geschah, lief er zur Primetime. Aber die Verbrecher saßen in Deutschland, jedenfalls deren Arbeitgeber und Auftraggeber: Daimler-Benz. Und der Konzern mauert.chatting with Sokrates - Dialog über Öl, Atom und Eichmann, Ende 2008 bei "Die Buchmacherei", Berlin erschienen, ist ein Buch, das die Spur aus Asche und eingetrocknetem Blut aus den Konzentrations- und Zwangsarbeits-Lagern der Nazis entlang der Rattenlinie bis nach Argentinien nachzeichnet, und wieder zurück nach Deutschland, Frankreich, Franco-Spanien, in die USA bis schließlich hin nach Israel.

Das Buch ist Welt-Theater. Im Rahmen eines Theaterstücks erzählt es die Geschichte von der Lüge vom Wirtschafts-"Wunder" der BRD, geplant und eingefädelt schon 1943 vom Wehrwirtschaftsspezialisten Ludwig Erhard, der als personifizierter und entnazifizierter Wohlstandsbauch in Kanzlerwürden, die Geldwäsche der Nazischore deckt, die über Argentinien ins ehemalige Reichsgebiet zurückgeschleust wird - nach heutigen Werten Zigmilliarden. Das Nazigeld und -gold aus Auschwitz, den ausgeplünderten überfallenen Ländern und der über Leichen gehenden Arbeitskrafterpressung von Millionen ZwangsarbeiterInnen verhilft der jungen BRD mit dem Rückenwind des Marshall-Plans zum "Wunder", zum "Wirtschaftswunder". Ein Land, das nach der vernichtenden Niederlage mindestens ein halbes Jahrhundert hätte am Boden liegen müssen, steigt aus den Trümmern wie ein Phönix. Und dies alles nur wegen deutschem Willen, deutschem Fleiß und deutschem Erfindungsgeist? WUNDER GIBT ES NICHT ! Und dieses sogenannte "Wirtschaftswunder" gab es auch nur, weil die USA den deutschen Prellbock gegen die SU brauchten und bei der großen Reinhole der klug und vorsorglich im Ausland gebunkerten Nazimilliarden wegschauten. Sie brauchten ein starkes Deutschland als Vasallen und militärische Speerspitze und als potentiellen Kampfplatz weit weg vom Amerikanischen Kontinent.Analog dazu schafften 50.000 rattenwandernde Nazis in Argentinien mit Hilfe Perons und dessen hochfliegenden Plänen von einer südamerikanischen Supermacht mit Raketen, Düsenjägern und Atombombe ein "Wirtschafts-Wunder" auf der anderen Seite vom Teich. Hier wähnten sich die Nazikader in sicherer Wartestellung, bis Gras über "die Sache" gewachsen war und sie wieder gebraucht wurden. Sie setzten auf die antibolschewistische Karte und das Vergessen der Menschheit. Sie setzen auf damals gültige 20 Jahre Verjährung für Mord - also freie Rückkehr "ins Reich" nach 1965. Nazigeld pushte über Mercedes Benz Argentina die Wirtschaft des südamerikanischen Schwellenstaates und in den Laboren und Versuchswerkstätten Perons waren Naziwissenschaftler am Werk, bruchlos dort weiterzumachen, wo sie 1945 aufhören mussten. Einer der bei Mercedes Untergebrachten war Adolf Eichmann, der Stratege der "Endlösung der Judenfrage", übrigens bis 1933 bei Standard Oil beschäftigt. Der Eichmann, der dann verdientermaßen in Jerusalem endete. Bis dahin war es aber ein langer Weg.In dem auf trockenen Tatsachenrecherchen beruhenden Theaterstück "chatting with Sokrates" geraten wir mit Eichmann als Leitfigur in die Szenerie eines Ganzen, das plötzlich plastisch wird. Eine Journalistin, offenbar das alter ego Gaby Webers, chattet mit einer unbekannten Frau, einer Geschichtslehrerin in New York, über Fakten, Wahrheit,

Schlußfolgerungen

und Sinnhaftigkeit von Recherche. Der Chatt, das Gespräch wird philosophisch, Sokrates und dessen immer noch gültiger Ansatz nach Wahrheitssuche kommt ins Spiel. Jener Sokrates, dem die alten Griechen den Schierlingsbecher reichten, der ihn vergiften soll - weil er sich weigerte ihnen die Wahrheit NICHT zu sagen, weil er sich weigerte zu schweigen.Durch die Recherche über 15 verschwundene Gewerkschafter bei Mercedes Benz Argentina stolpert die Journalistin in eine Geschichte von Verbrechen, Verrat und Staatskriminalität hinein, in einen sudeligen Sumpf von Ranküne, Schiebung und Verdrängung, in ein Gomorrha von Komplizenschaft und Verstrickung in Staatsterrorismus, zynischer Opferleugnung und geostrategischer Machtspiele. Big Oil und Big Money sind von Anfang an ebenso mit von der Partie wie die internationale Waffenschieber- Mafia. Am Ende steht die israelische Atombombe, ausgerechnet maßgeblich von Naziwissenschaftlern und von in Nazikriegsverbrechen verwickelten Firmen wie Degussa und Mercedes Benz ermöglicht. Und das sicher nicht ganz freiwillig.In diese haarsträubende Geschichte ist der berüchtigte Eichmann verstrickt, dessen Lebensgeschichte in relevanten Teilen im ersten Teil des Theaterstücks im Dialog aufgerollt wird. Da Eichmann einer der Hauptorganisatoren zunächst der Vertreibung, dann der Vernichtung der europäischen Juden war, war er auch eine Schlüsselperson für die Zionisten, also die Organisation, die ein Interesse an der massenhaften Einwanderung von Jüdinnen und Juden nach Palästina hatte. Eine perverse Win-Win-Situation führte zur engen Zusammenarbeit der Jewish Agency und den Henkern ihrer Klientel. Daß der Zynismus nicht nur auf Seiten der Nazis beheimatet war, belegen eindringlich dokumentierte Szenen des permanenten Kuhhandels zwischen Nazi-Politik und Zionisten zum Schaden der Betroffenen. Aus der Gemengelage der Interessen wird klar, daß pures Schwarzweißdenken völlig verfehlt ist und sich auch unerfreuliche Perspektiven zur Seite der Kollektivopfer hin auftun. Wenn, wie geschehen, dem primären Ziel zionistischer Einwanderung und zionistischer Staatsgründung wissentlich und willentlich Menschenleben geopfert werden, wird Vieles fragwürdig. Hinzu kommt ein selbst reklamierter nationalsozialistischer Impetus in Teilen der Führung des Zionismus (Taktik?), der von vorne herein nicht geleugnet werden kann und unter anderem klar zum Ziel hatte, die arabische Bevölkerung Palästinas zahlenmäßig zu überrennen und möglichst aus dem Land zu drängen.

Daß heute auch rechtsradikale, ja faschistisch zu nennende Parteien in Israel mit das Sagen haben, kann unter diesen Umständen nicht verwundern. Zionismuskritische Denke ist nicht nur auf Grund heutiger militaristischer Exzesse des Staates Israel PalästinenserInnen gegenüber vonnöten, sondern auch gegenüber den Praktiken damaliger Zionismusförderer, ein höchst kontroverses und undankbares Thema. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die zionistische Bewegung eine äußerst vielschichtige war, die eine Bandbreite von Anarchismus/Sozialismus bis zu nationaltheologischem Chauvinismus abdeckte. Eine vielleicht ähnliche Bandbreite darf mensch innerhalb der Jewish Agency unterstellen. Viele haben sich ehrlich bemüht Menschen und Leben zu retten - andere hatten nur ihre politischen Ziele im Auge.Gaby Weber läßt es, wie immer, nicht an Belegen, Dokumenten und Beweisen fehlen - unter anderem auf ihrer website www.gabyweber.com zu finden. Aber mit dem Anlangen dieses heißen Eisens entstehen nicht nur Brandblasen, sondern werden auch die Political-Correctness- Fanatiker auf den Plan gerufen, die mit aller Gewalt das Schwarzweißbild auf ihrer veralteten Mattscheibe erhalten wollen. Nichts ist so absurd wie das wirkliche Leben. Vor uns entsteht das unwirkliche, geradezu surrealistische Bild einer lackierten Oberfläche hinter der Stippenzieher verschiedener Nationalitäten, Religionen und Staaten in einer Paralellwelt aus Moder, Fäulnis und Leichenbergen ganze Völker als blinde Marionetten tanzen lassen. Hanau im beschaulichen Hessen entpuppt sich als Drehscheibe für einen Nukleardeal zwischen mindestens drei Regierungen, der deutschen, der argentinischen und der israelischen. Alle drei wollen die Bombe. Alle drei müssen aufpassen, daß die Amis ihnen nicht die Tour vermasseln. Aber auch die Franzosen spielen mit und bauen in der Negev-Wüste den "Versuchsmeiler" Dimona, ein Dankeschön für Israels Intervention in der Suez-Krise. Der Suez-Kanal ist das Nadelöhr der europäischen Wirtschaft nach Fernost.Eichmann, inzwischen ungeduldig auf sein als sicher angenommenes Comeback in Deutschland wartend, kommt mit großspurigem Gequatsche und sehr wahrscheinlichen Kontakten zum CIA, der hochpikanten Sache in die Quere.Und wird nach Israel entsorgt - nur nicht ganz so wie die Mossad-Märchenonkels uns das weismachen wollten. Die akribische Journalistin entdeckt Unstimmigkeiten und geht ihnen nach. Die facts scheinen nur einen Schluß zuzulassen: Eichmann wurde nicht entführt, sondern ausgeliefert - nachdem die Israelis schon jahrelang über seinen Verbleib Bescheid wußten. Aber warum? Die Spur führt zur israelischen Atombombe - und zur Begehrlichkeit der Argentinier und Deutschen nach der selben Technologie. Auf Ansprache durch die Journalistin nimmt der Mossad stillschweigend seine offenbar unwahre Geschichte des Eichmann-Kidnappings von der Internetseite ...
Wir sehen in einen Abgrund an Geschichtsklitterung, an Geschichtsfälschung, Mythenbildung und gezielter Irreführung der Öffentlichkeit. Sokrates hatte im alten Griechenland noch vor der Lüge die Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber ihr und dem Unrecht angeklagt. Als er nicht schwieg, brachten sie ihn zum Schweigen.Die Chattpartnerin Sofia im Stück hält der Journalistin Alicia vor:

"Hat die Freiheit nicht den Nachteil, daß man sich ständig entscheiden muß? Das ist anstrengend! Die Leute müssen und wollen gar nicht wissen, was sich hinter den Kulissen abspielt." "... nicht das Nachfragen, sondern das Nachbeten ..." werde fürstlich honoriert. Aber Alicia kontert: "Wenn du Falsches als die Wahrheit festschreibst verhinderst du den Fortschritt (...). Das Ergebnis ist Stillstand. (...) Zum Ändern brauchst du Wahrnehmung, überprüfbare Fakten, Erkenntnis."Das Stück bleibt am Ende genauso offen, wie die Verfolgung der Klage um die offenbar ermordeten Gewerkschafter bei Mercedes Benz Argentina und die Suche nach der wahren Rolle des Massenmörders Eichmann in Argentinien.

Es bleiben Fragen. Fragen nach der ganzen Wahrheit hinter den Fragmenten eines Mosaiks, die das ganze Bild nur ahnen lassen. So lange es aber keine Wahrheit gibt, wird es Fragen geben. Und so lange es Fragen gibt wird gefragt werden. Der Mensch will ergründen. Der Mensch will wissen. "chatting with Sokrates" ist am besten im Tandem zu lesen mit dem 2004 bei "Assoziation A" erschienenen "Daimler-Benz und die Argentinien- Connection - Von Rattenlinen und Nazigeldern" herausgegeben vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Dieses Buch liefert den präzisen Hintergrund auf dem das Theaterstück beruht. Die in ihm recherchierten Fakten werden in der Freiheit des Theaterstücks weitergedacht, ethisch bewertet und mit Annahmen unterlegt, die die Rechercheergebnisse nahelegen, die seriöserweise aber nicht in einer Recherche in dieser Weise zur Sprache kommen dürfen. Ebenfalls von Gabi Weber ist ein weiteres Buch zum Thema, "Die Verschwundenen von Mercedes Benz", 2001 auch bei "Assoziation A" erschienen, für das Theaterstück und besonders für den erwähnten Film "Wunder gibt es nicht" relevant. Die Bücher von "Assoziation A" sind lieferbar und kosten jeweils 10 EURO.

Ralf G. Landmesser / www.schwarzrotbuch.de/lpa

 

"Sozialistische Zeitung" SoZ März 2009

Mit Sokrates für das Recht auf Wahrheit

"chatting with Sokrates - Dialog über Öl, Atom und Eichmann" heißt das neue Buch der in Buenos Aires und Berlin lebenden Journalistin Gaby Weber. Seit Jahren beschäftigt sich Gaby Weber mit den Menschenrechtsverletzungen, mit ungesühnten Verbrechen, die an Mitgliedern von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in Lateinamerika, insbesondere in Argentinien, verübt worden sind. Sie hat darüber u.a die Bücher "Die Verschwundenen von Mercedes Benz" und "Daimler Benz und die Argentinien-Connection" geschrieben und am Schluss den Film "Wundergibt es nicht" gemacht.
Die ermordeten Opfer können nicht wieder ins Leben zurückgeholt werden. Ans Licht der Öffentlichkeit gebracht können jedoch die historischen Fakten, die belegen, wer für was die Verantwortung trägt. Dieser Aufgabe fühlt sich die Autorin verpflichtet und hat auf der Suche nach der "historischen Wahrheit" zahllose Archive besucht und Gespräche geführt. Dabei stieß sie auch auf ein ausgeblendetes Kapitel deutscher Geschichte, das die spezifischen Beziehungen der Bundesrepublik mit dem neu entstandenen Staat Israel berührt und uns Einblicke gibt, wie sich die maßgeblichen Köpfen der deutschen Nachkriegselite außenpolitische Bedingungen schufen, die Ihnen die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit ersparen sollten. Im Mittelpunkt steht der Verkauf des Nazi-Know-Hows für den A-Bombenbau, der als eine Art Schweigegeld gedacht war, von dem sich die Verkäufer erhofften, in Zukunft nicht mehr ständig auf die Anklagebank gesetzt zu werden.

Die Autorin hat eher aus Not die Darstellungsform eines Theaterstücks gewählt, weil ihr im historischen Hergang noch einige Steinchen für ein lückenloses Beweispuzzle fehlen, was daran liegt, dass die existierenden Dokumente vor allem in Deutschland bis heute unter Verschluss gehalten werden. Den roten Faden in der Hand haben als auftretende Personen Alicia als Alter Ego der Autorin und Sophía, die Kunstfigur einer argentinischen Journalistin. In ihrem Chat versuchen die beiden Frauen den geschichtlichen Hergang zu analysieren und holen sich Hilfe bei Sokrates.

Das Buch begleitet die maßgeblichen sozialen Akteure, die den Gang der Dinge bestimmen. Es sind "Big Oil", "Big Car" und "Big Money", die vielfältige lukrative Beziehungen zum deutschen Faschismus pflegen. In diesem Zusammenhang treten dann auch die verschiedenen "Dienste" auf. Eine wichtige Rolle spielte der Bundesnachrichtendienst, der u.a. bereits früh Kenntnis vom Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien hatte. Doch statt ihn mit einem Haftbefehl der deutschen Justiz suchen zu lassen, benachrichtigte man die CIA in der Hoffnung, dieser möge Eichmann an einen Ort bringen, an dem er nicht stört. Diesen Ort musste man dann selbst suchen und wählte Tel Aviv. In diesem Zusammenhang verfügt die Autorin über aussagekräftige Dokumente dafür, dass die offizielle Version der Eichmannentführung durch den Mossad eine Legende ist. Der entscheidende Grund für seine Entführung war nicht, ihn für die Organisation des Holocaust zur Verantwortung zu ziehen, sondern zu verhindern, dass er durch seine Mitwisserschaft ein Dreiecksgeschäft über atomare Schlüsseltechnologie zwischen Deutschland, Argentinien und Israel gefährdet. Es sind wohl diese historischen Tatsachen und ihre öffentliche Thematisierung, die dazu führen, dass eine offene Debatte darum in einigen linken Publikationen nicht möglich erscheint.
Der BND weigert sich, die für die Aufklärung der politischen Tatsachen erforderlichen Dokumente zu öffnen und hat der Autorin erklärt, sie könne es vielleicht 2017 noch einmal versuchen. Die Kanzlerin tut so, als habe sie kein Weisungsrecht gegenüber der Behörde. Die Rede ist von "wichtigen schützenswerten außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik". Gaby Weber hat dieses Buch geschrieben, weil sie davon überzeugt ist, dass es in einer demokratischen Gesellschaft ein Recht auf historische Wahrheit geben muss, soll nicht akzeptieren werden, dass der Zynismus der Macht das letzte Wort hat.

Jochen Gester

"Junge Welt" 17.03.2009

100 Tonnen Uran "verschwunden"

Israel wurde zu Beginn der sechziger Jahre mehrfach mit dem gefährlichen
Stoff beliefert. Eine Recherche

Von Gaby Weber

Der UN-Report sei "alarmierend" und könne schwere Folgen für die Obama-Administration zeitigen, wertete jüngst die New York Times (19.2.) einen neuen Ermittlungsstand in Sachen des iranischen Atomprogramms. Demnach soll die Regierung in Teheran eine Tonne leicht angereichertes Uran besitzen -statt der 600 Kilogramm, die sie offiziell angegeben hat. Anfang März legte der US-Generalstabschef Mike Mullen diesbezüglich nach: Der neue Fund belege, so behauptete der Admiral CNN gegenüber, daß "Iran genug Uran hat, um eine Atombombe zu bauen" - eine bemerkenswerte Feststellung angesichts früherer Äußerungen seitens Washingtons.

"Weniger als zehn Tonnen Natururan" seien "irrelevant", erklärte einst die US-Regierung, als es um den Besitz von Uran durch Israel ging - eine Geschichte, die einige Zeit zurückliegt und im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme des israelischen Atomkraftwerks Dimona 1964stand. llgemein bekannt ist, daß sich der israelische Geheimdienst Mossad ab Ende der sechziger Jahre in Nacht-und-Nebel-Aktionen Uran "besorgt" hatte -doch woher der erste Brennstoff für Dimona kam, haben die zuständigen Behörden bis heute nicht bekanntgegeben.

Wer die argentinische Atombehörde (CNEA) dazu fragt, erhält eine klare Antwort: "Wir haben drei Mal Uran an Israel geliefert", so CNEA-Sprecher Roberto Ornstein Ende vergangenen Jahres. "Die erste Lieferung, fünf Tonnen, ging 1960 über Deutschland. Die zweite, zehn Tonnen, ging direkt nach Israel. Und die dritte Lieferung, 1963, ging ebenfalls direkt nach Israel, hundert Tonnen. Was die Israelis mit diesem Uran gemacht haben? Das wissen nur sie."

Uran war nicht frei handelbar, sondern stand auf der CoCom-Liste, mit der den realsozialistischen Staaten Europas strategische Rohstoffe und Technologien vorenthalten werden sollten. In allen drei Fällen mußte die Regierung in Buenos Aires ein Dekret erlassen, um die gesetzlichen Einschränkungen zu umgehen. Diese drei Dekrete sind nicht geheim und können im
Nationalarchiv eingesehen und kopiert werden (sie können auch von der Homepage der
Autorin heruntergeladen werden; d.Red.).

Das erste Dekret - aus dem Jahr 1960 - verfügt den Export von sechs Tonnen Yellow Cake (Gemisch von Uranverbindungen) über einen Umweg: Der Stoff wurde zuerst an zwei deutsche Firmen geliefert, an die Metallgesellschaft und die Nukem, die kurz zuvor von der Degussa gegründet worden war. Die Degussa hatte übrigens während des Zweiten Weltkrieges nicht nur ZyklonB für die Vernichtungslager, sondern auch fünf Tonnen Uranmetall für Hitlers "Uran-Projekt" produziert. 1962 exportierte Argentinien weitere zehn Tonnen Uran nach Israel.

Der US-Regierung waren diese Exporte bekannt. Dieses geht aus einem vertraulichen Memorandum vom 5. März 1962 hervor, das auf meinen Antrag hin Ende vergangenen Jahres vom Energieministerium in Washington freigegeben und mir überreicht wurden. Darin berichtet Mr. A. Wells, Abteilungsleiter für internationale Angelegenheiten, über die bis zu diesem Zeitpunkt von
Argentinien an Israel erfolgten Uranlieferungen. Dies sei dem US-Verbindungsoffizier von der argentinischen Regierung mitgeteilt worden.

Daß der Kaufvertrag keine Kontrollen über die Verwendung des Urans vorgesehen und daß die israelische Regierung ausdrücklich die Geheimhaltung dieses Geschäfts "gefordert" habe, hatte die US-Regierung nicht zum Anlaß genommen, mißtrauisch zu werden oder gar "Alarm" auszulösen. "Mengen unter zehn Tonnen" - so das Memorandum - seien laut der internationalen und der US-amerikanischen Regelungen von solchen Kontrollen ausgenommen. Daß die sechs vorherigen Tonnen, die über deutsche Firmen liefen, am Ende in Israel gelandet waren, will man in Washington nicht gewußt haben.

Im Februar 1963 entschied die argentinische Regierung, ein drittes Mal konzentriertes Uran nach Israel zu schicken - diesmal einhundert Tonnen, ausreichend für den Bau von fast hundert Atombomben. Wenige Monate später, am 5. Juli 1963, schrieb Präsident John F. Kennedy an den israelischen Premierminister und bat um eine Inspektion des Dimona-Komplexes. Eine umfassende
Inspektion des Atomkraftwerkes in der Negev-Wüste hat die Regierung in Tel Aviv bis heute verweigert. Die über hundert Tonnen Uran aus Argentinien wurden nie gefunden. Sie sind bis heute verschwunden, und niemand schlug Alarm.

Und seit dem Attentat auf Kennedy im November 1963 scheint sich kein US-Präsident mehr um das israelische Atomprogramm zu sorgen.

 

Interview mit Gaby Weber auf dem Internetporal Telepolis am 16.01.2009

Das atomare Dreiecksgeschäft

Jens Berger

Deutsche Atomphysiker, die nach dem Krieg in Argentinien forschten, halfen Israel, Atommacht zu werden - Interview mit der Journalistin Gaby Weber
Es gilt als offenes Geheimnis, dass der Staat Israel spätestens seit 1967 Atommacht ist. Experten schätzen, dass Israel rund 200 atomare Sprengköpfe in seinem Arsenal hat. Das Land hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben und entzieht sich internationalen Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde.
Wie Israel eine Atommacht werden konnte, ist immer noch weitgehend unbekannt. Bis ins Jahr 1960 arbeiteten die israelischen Atomphysiker intensiv mit Frankreich zusammen - auch der Kernreaktor in Dimona, der 1958 fertig gestellt wurde und zwischen 1962 und 1964 seinen Betrieb aufnahm, wurde mit französischer Hilfe errichtet. Wie Untersuchungen der BBC ergaben, half auch Großbritannien, indem es über Norwegen in den frühen 1950er Jahren 20 Tonnen schweres Wasser an Israel verkaufte.
Die Journalistin und Buchautorin Gaby Weber hat bei Recherchen in argentinischen Archiven Unterlagen entdeckt, die nahelegen, dass zwei weitere Staaten Israel bei dessen Atomprogramm unterstützten - Deutschland und Argentinien. An argentinischen Forschungszentren arbeiteten zu dieser Zeit auch deutsche Kernphysiker, die bereits am Uranprojekt des Dritten Reiches beteiligt waren, wie Walter Seelmann-Eggebrecht, einst die rechte Hand von Otto Hahn.

Frau Weber, wie kam es zu dieser deutsch-argentinischen Kooperation?

Gaby Weber: Spätestens seit 1943 war den Deutschen klar, dass sie den Zweiten Weltkrieg verlieren würden. Schon damals haben sich viele Wissenschaftler Gedanken gemacht, wo sie nach Ende des Krieges weiterarbeiten. Viele Wissenschaftler sind mehr oder minder freiwillig von den Amerikanern eingekauft worden, andere gingen in die Sowjetunion. In Deutschland war jedoch die Forschung auf dem Gebiet der atomaren, biologischen und chemischen Waffen zunächst durch das Verbot der Alliierten und später durch die Pariser Verträge untersagt. Diese Verträge besagten, dass die ABC-Forschung auf deutschem Boden verboten ist - dort steht aber nicht, dass die Forschung auf argentinischem Boden verboten ist. Es sind nachweislich nach dem Krieg mehrere Kernphysiker in Argentinien gelandet. Ab 1946 herrschte dort General Juan Perón. Perón hat seit Beginn seiner Regentschaft auf die Rüstungstechnologie gesetzt und versucht, deutsche Forscher nach Argentinien zu locken - dafür wurden sogar Headhunter eingesetzt.

In den 50er Jahren wollten Deutschland und Argentinien Atommächte werden
Inwieweit war die Regierung der jungen Bundesrepublik in diese Vorkommnisse involviert? Gab es damals durch Bonn eine aktive Unterstützung der deutsch-argentinischen Kooperation?

Gaby Weber: Ja, mit Sicherheit, und zwar zusammen mit der deutschen Industrie. Die deutsche Industrie hat ja nach dem Zweiten Weltkrieg ihr zusammen gestohlenes Vermögen, das sie in der Schweiz und anderswo geparkt hatte, auch über Argentinien wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgebracht. Das Imperium rund um "Mercedes Argentina" wurde 1955 beschlagnahmt und die entsprechenden Leute saßen später in Argentinien ja auch wegen Geldwäsche im Gefängnis. Ludwig Erhard war damals ein gern gesehener Gast in Argentinien - ich habe in argentinischen Archiven mehre Dokumente gefunden, die auch seinen Namen tragen. Ich war die erste Journalistin, die Einblick in diese Akten nehmen durfte.

Es gab da eine Interessenübereinstimmung zwischen Argentinien und Deutschland. Der junge Bonner Staat wollte sich auch die Patente, die in diesem sensiblen Bereich erarbeitet wurden, nicht wegnehmen lassen. Wenn man beispielsweise heute nachforscht, wer die Herstellung von Plutonium erfunden hat, stößt man auf eine Liste, die mit den Engländern im Jahre 1942 anfängt. Aber ein Jahr zuvor wurden vom "Kaiser-Wilhelm-Institut" von Carl Friedrich von Weizäcker und Karl Wirtz bereits Patente für die Herstellung von Plutonium angemeldet. Diese Patente sind in der Nachkriegszeit verschwunden - weder beim Deutschen Patentamt, noch bei der Max-Planck-Gesellschaft sind diese Patente noch vorhanden. Mitte der 1950er Jahre, also fünfzehn Jahre später, erscheint Wirtz, der bereits unter Hitler an der Herstellung von Plutonium gearbeitet hat, nun plötzlich wieder beim Patentamt und meldet die gleichen Patente an - diesmal natürlich "rein zivil".

Ab 1955 war Franz Josef Strauß Minister für Atomfragen und das deutsche Parlament hatte die atomare Bewaffnung Deutschlands beschlossen - was übrigens nie zurückgenommen wurde, aber darüber redet man hier nicht gerne. Die Geschichte nahm einen anderen Lauf, aber Ende der 1950er Jahre wollten sowohl Deutschland als auch Argentinien Atommächte werden und dahingehend wurde auch Forschung betrieben. Bis Ende der 1940er Jahre hatten die Argentinier keine Erfahrungen im experimentellen Bereich der Nuklearphysik - das änderte sich mit dem Erscheinen der deutschen Forscher. Anzeige

Haben Sie bei Ihren Recherchen Unterlagen gefunden, die einen Einblick geben, wie weit die deutschen Physiker im argentinischen Exil ihr theoretisches Wissen im atomaren Bereich erweitern konnten und welche Fortschritte sie im experimentellen Bereich machten?

Gaby Weber: Das große Manko an diesen Forschungen war natürlich, dass sie im Geheimen stattfinden mussten. Die Ergebnisse konnten nicht verwertet werden, da sie nicht patentiert werden konnten. 1957 wurde die europäische Atombehörde EURATOM gegründet, bei der die Deutschen sehr eng mit den Franzosen zusammenarbeiteten und ihre Patente und ihr Wissen geteilt haben. Dadurch konnten die Deutschen dann über die Franzosen, die EURATOM und die europäische Industrie ihr Wissen ab diesem Zeitpunkt auch wieder industriell und wirtschaftlich nutzen.

Wie viele der deutschen Physiker, die in Argentinien ihre Forschungen betreiben konnten, sind nach der Gründung von EURATOM wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt?

Gaby Weber: 1955 gab es in Argentinien einen Putsch gegen Juan Perón. Das war ein erster Einschnitt. Auch wenn die neuen Machthaber die Forschung im Prinzip weiterführen wollten, änderten sich die Bedingungen und es floss weniger Geld. Viele der deutschen Forscher verließen daraufhin das Land und Ende der 1950er änderte sich ja auch in Europa das politische Klima. Die Deutschen durften auch im Rüstungsbereich über die europäischen Institutionen wieder mitmischen. Anfang der 1960er Jahre gab es sogar einen Gesetzesentwurf der SPD, mit dem man die Forscher zwingen wollte, nach Deutschland zurückzukehren. Das Gesetz wurde aber nie umgesetzt, da die Forscher auch so wieder nach Deutschland kamen.

Israel bekam die die Technik von den Deutschen und den Franzosen, das Uran kam aus Argentinien. Ihre Recherchen ergaben auch, dass Argentinien Israel bei der Entwicklung dessen Atomprogramms half - unter anderem durch Lieferungen von wichtigem Natururan, das Israel für den Bau seiner ersten Atomwaffen benötigte. Fand auch ein Transfer des Know-hows statt, das durch die deutschen Forscher erarbeitet wurde?

Gaby Weber: Sie hatten es eingangs bereits erwähnt: Die Technologie kam ursprünglich von den Franzosen. Diese gerieten aber zusehends unter Druck durch die Amerikaner, die damals überhaupt kein Interesse hatten, dass Israel die Atombombe in seinen Besitz bekommt. Die Technologien bekam Israel von den Franzosen und den Deutschen, das schwere Wasser kam aus Norwegen und das benötigte Uran kam in der Anfangszeit größtenteils aus Argentinien.
Israel versuchte in Südafrika und den französischen Kolonien Uran zu bekommen - dort war man aber durch Exklusivverträge an Großbritannien und Frankreich gebunden. Die USA versuchten damals auch, dies mit aller Macht zu verhindern. In Argentinien stand Uran auf der Liste der strategischen Rohstoffe, die nicht exportiert werden durften, darum haben die Militärs Dekrete erlassen, um dieses Uran zu exportieren. Kopien dieser Unterlagen habe ich auch auf meiner Homepage veröffentlicht. Es gab drei Lieferungen - die erste im Jahr 1960. Dabei ging es um 5 Tonnen Natururan - Yellow Cake -, die über die deutsche Firma Nukem nach Israel geliefert wurden. Dies ist besonders delikat, da die Nukem eine Tochter der Degussa war, die im Zweiten Weltkrieg das Giftgas Zyklon B hergestellt und daran gut verdient hat. Die zweite Lieferung fand 1962 statt, dabei ging es um 10 Tonnen Natururan. 1963 wurden sogar 100 Tonnen Natururan nach Israel geliefert. Die zwei letzten Lieferungen gingen allerdings den Dekreten zufolge direkt nach Israel und nicht über Deutschland.

1968 wurden 200 Tonnen Uran aus Belgien über einen deutschen Zwischenhändler und mit Zustimmung der deutschen Regierung nach Israel geliefert. Haben Sie Erkenntnisse sammeln können, die nahelegen, warum Argentinien nach 1963 die Lieferungen an Israel eingestellt hat?
Gaby Weber: Leider nein. Es kann sein, dass es noch mehrere Lieferungen gab. Ich habe aber nur für die drei genannten Lieferungen Belege finden können. Wahrscheinlich wurden die Lieferungen aufgrund der politischen Wirren, die zu dieser Zeit in Argentinien herrschten, abgebrochen.

Die Plutoniumproduktion im israelischen Kernforschungszentrum Dimona wird auf Basis der Technologie durchgeführt, deren Grundlagen deutsche Physiker während des Zweiten Weltkrieges entwickelten. Gibt es Anhaltspunkte, dass die Israelis mit Hilfe der deutschen Wissenschaftler, die unter den Nazis auf diesem Feld tätig waren, diese Technologie entwickeln konnten?
Gaby Weber: Mir ist von Seiten der argentinischen Atomkommission bestätigt worden, dass die deutschen Forscher in Argentinien Plutonium isoliert haben - zwar nur im Labormaßstab, aber die Technologie wurde dort entwickelt. Ob das argentinische Militär heimlich selbst an einer Atomwaffe gearbeitet hat, was damals immer vermutete wurde, lässt sich nicht sagen. Es gab auf jeden Fall einen regen Austausch zwischen argentinischen und israelischen Forschungszentren. Aber auch Otto Hahn und sein Forschungszentrum in Göttingen tauschten sich später intensiv mit Israel aus.

Sie sprechen von einem atomaren Dreiecksgeschäft. Die Vorteile für Argentinien und Deutschland bei der Forschungspartnerschaft sind offensichtlich - auch die Vorteile für Israel liegen auf der Hand. Was aber hat Argentinien und Deutschland dazu bewogen, Israel in dieses Geschäft mit einzubeziehen?

Gaby Weber: Ich glaube nicht, dass dies von deutscher Seite freiwillig geschah. Ich habe bereits die Firmen Degussa und ihre Tochter Nukem erwähnt. Firmen wie Degussa haben sich unter anderem durch die Produktion von Zyklon B schwerster Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Israel hat sich mit Kritik an diesen Unternehmen immer sehr zurückgehalten und hat dafür Wiedergutmachung bekommen. Ich vermute daher, dass diese Zusammenarbeit nicht freiwillig vonstatten ging. Argentinien war wiederum bei dieser Kooperation auf Deutschland angewiesen. Vielleicht hat man auch darauf spekuliert, zumindest einen Teil des verhütteten Urans als spaltbares Material zurückzubekommen. Und alle drei Länder hatten ein großes Interesse daran, im Schatten der internationalen Aufsichtsbehörden ihre Forschung zu betreiben.

Die atomare Zusammenarbeit zwischen Israel und Frankreich musste 1960 von Charles de Gaulle aufgekündigt werden. Hat das argentinisch-deutsche Programm die Kooperation mit Israel nach dieser Aufkündigung von Frankreich übernommen oder wurde Israel zuvor parallel von beiden Seiten unterstützt?

Gaby Weber: Ich glaube, diese Aufgabe wurde 1960 von Deutschland alleine übernommen. Dafür gibt es auch Hinweise in der Literatur - so haben sich die Franzosen 1960 offensichtlich mit den Worten "Redet doch mal mit den Deutschen" aus der Zusammenarbeit verabschiedet. Das haben die Israelis dann wohl auch gemacht.

Wer außer den Franzosen wusste vom atomaren Dreiecksgeschäft? Waren die Amerikaner damals im Bilde?

Gaby Weber: Lange Zeit habe ich gedacht, dass dies alles hinter dem Rücken der Amerikaner vor sich ging. Jetzt habe ich auf Nachfrage Unterlagen des amerikanischen Energieministeriums erhalten, die zeigen, dass die Amerikaner von den Uranlieferungen ab 1960 wussten. Dieser Teil war den Amerikanern also bekannt.

Die Hilfe deutscher Wissenschaftler war zentral für die Entwicklung der israelischen Atombombe
Haben die USA die deutsche Hilfe billigend in Kauf genommen oder gab es hinter den Kulissen Spannungen?

Gaby Weber: Es gab mit Sicherheit Spannungen. Mir liegt ein Brief von Kennedy an den israelischen Ministerpräsidenten Eshkol vor. Kennedy hat immer darauf gedrängt, in Dimona internationale Kontrollen durchzuführen. Erst nach dem Tode Kennedys hat sich dies geändert. Bis dahin hat es ganz massiven Druck auf Israel gegeben, sein Atomprogramm offen zu legen. Von Seiten der CIA fand auch ein massives Vorgehen gegen Argentinien und Brasilien statt, die damals beide heimlich und am Rande der Legalität in den Besitz atomarer Technologie kommen wollten.

Wie groß war der Anteil Argentiniens und Deutschlands am israelischen Atomprogramm? Waren beide Staaten nur ein Helfer unter vielen oder war ihre Hilfe so elementar, dass ohne sie das Atomprogramm gefährdet gewesen wäre?

Gaby Weber: Es ist schwer darüber zu spekulieren, was passiert wäre, wenn dieses Dreiecksgeschäft nicht stattgefunden hätte. Mit Sicherheit war aber die Hilfe deutscher Wissenschaftler, die schon unter Hitler auf diesem Gebiet geforscht hatten, zentral für die Entwicklung der israelischen Atombombe. Für den Bau von Dimona war die Hilfe wichtig und die Konstruktion der ersten Atombomben wäre ohne das argentinische Uran so nicht möglich gewesen. Hinterher gab es auch Liebesdienste von anderen Staaten und man beschaffte sich das Uran auf andere Art und Weise. Aber die ersten Atombomben wären ohne dieses Dreiecksgeschäft nicht entstanden.

Das israelische Atomprogramm entzieht sich auch heute noch jeglicher Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde. Barack Obama hat im Wahlkampf immer wieder eine Stärkung dieser Kontrollen gefordert. Wird sich Ihrer Meinung nach unter der Präsidentschaft Obamas etwas an den internationalen Kontrollen in Israel ändern?

Gaby Weber: Es ist eine Schande, dass die Internationale Atomenergiebehörde in Wien Israel immer noch als Mitglied führt, obwohl es sich jeglichen Kontrollen entzieht. Eine der UNO unterstehende Institution darf sich dies eigentlich nicht leisten. Ich habe mehrfach versucht, mit der IAEO in Kontakt zu treten, um einerseits Informationen über Israel zu bekommen und anderseits auch Informationen zu liefern. Keiner scheint dort überhaupt Interesse am israelischen Atomprogramm zu haben - noch nicht einmal die belastenden Dokumente finden dort einen Interessenten.
Obama hat bereits zu verstehen gegeben, dass er versuchen wird, Dimona internationalen Kontrollen zu unterwerfen. Dies wird auch in der israelischen Presse mit Sorge wahrgenommen. Man wird abwarten müssen, wie Israel auf diese neue Situation reagieren wird. Die Toleranz, die die letzte amerikanische Regierung Israel gegenüber an den Tag gelegt hat, wird es so aber sicher nicht mehr geben. Es ist nicht eben gut für den Weltfrieden, dass Staaten wie Israel, Pakistan und vielleicht bald auch der Iran über Atomwaffen verfügen.

Wie groß schätzen Sie die Chancen ein, dass Israel in diesem Streit einlenken könnte? Gibt es eine realistische Hoffnung, dass Israel kompromissbereit ist?

Gaby Weber: Wenn man sich anschaut, was Israel momentan in Gaza macht, kommt man zu dem Schluss, dass es gar keine Kompromisse eingehen will. Nichtsdestotrotz hängt dies nicht nur von Israel ab und ich denke, dass eine neue Regierung in den USA etwas zum Friedensprozess und zur nuklearen Abrüstung im Nahen und Mittleren Osten beitragen kann, solange sie harte Forderungen an alle Seiten stellt.

Gaby Weber arbeitet seit 1978 als freie Journalistin, u.a. als Südamerika-Korrespondentin der ARD. Sie hat ihre Rechercheergebnisse auch in ihrem neuen Buch "Chatting with Sokrates" in Form eines Theaterstücks verarbeitet.

 

Ossietzky 23/2008

Gaby Weber Angela Merkel hält Akten geheim

In vielen Staaten sorgen Gesetze dafür, daß den Historikern die Archive zu NS-Verbrechen offenstehen, so in Argentinien und in den USA (Nazi War Crimes Disclosure Act). Nur die Bundesregierung läßt ihren Bundesnachrichtendienst weiterhin Material zu NS-Kriegsverbrechern geheimhalten.
Ich hatte zunächst im Bundeskanzleramt die Freigabe der Akten zu Adolf Eichmann (bis zu seiner Verhaftung 1960) sowie zu den (illegalen) westdeutschen Atomforschungen in Argentinien beantragt. Da die Pariser Verträge dem Bonner Staat die Forschung zu Kernwaffen verboten hatten, waren diese Aktivitäten nach Argentinien ausgelagert worden. Von diesen Forschungen profitierte auch Israel auf der Suche nach der eigenen Atombombe.
Das Kanzleramt teilte mir zunächst mit, daß ich selbstverständlich alle Unterlagen zu Eichmann einsehen könne, und gab schließlich auch seine Akte zu Eichmann frei, die allerdings erst mit der Verhaftung des Kriegsverbrechers in Israel begann - mehr sei leider nicht da, ich könne es ja in Pullach probieren, also beim BND. Dort stellte ich im Januar 2008 einen Antrag.
Im März lehnte der BND mein Ansinnen ab; Er habe die Akte gefunden, aber frühestens 2017, wahrscheinlicht 2025, sei an eine Freigabe zu denken.
Vermutlich um einen Prozeß zu vermeiden, lud das Kanzleramt meine Anwältin und mich zu einem Gespräch ein. Unser Friedensangebot lautete: Die Kanzlerin solle sich das Material ansehen und entscheiden, ob es wirklich noch geheimhaltungsbedürftig sei. Die Vertreter der Rechtsabteilung antworteten: "Wir bekommen die Akte vom BND auch nicht." Aber das Kanzleramt sei die Widerspruchsbehörde.
Wir legten also Widerspruch ein. Doch anstatt dem Pullacher Dienst eine Dienstanweisung zu erteilen oder selbst über den Widerspruch zu entscheiden, teilte man mit, man verfolge die Angelegenheit nur noch.
Im September schickte der BND den Ablehnungsbescheid und argumentierte darin, daß er - zum Wohl des Bundes - seine Informanten schützen müsse. Warum er nicht, wie andere Behörden, Personen durch Schwärzungen schützen kann, erklärte er nicht. Außerdem berief er sich darauf, daß die Akte Material von befreundeten Diensten enthalte, womit er vermutlich den israelischen Mossad meinte. "Die ausländischen Stellen beabsichtigen nicht, das Material öffentlich zugänglich zu machen." Der Hinweis auf "andere Dienste" unterschlägt, daß die CIA- und FBI-Akten zu Eichmann inzwischen freigegeben sind. Aus ihnen geht hervor, daß der BND spätestens seit 1958 über Eichmanns Wohnort in Argentinien informiert war und ihn der CIA mitgeteilt hat. Warum er ihn nicht der Frankfurter Staatsanwaltschaft gemeldet hat, die Haftbefehl gegen den Kriegsverbrecher erlassen hatte, werden wir wohl erst mal nicht erfahren. Daß aber Angela Merkel in Kenntnis dieses Umstandes trotzdem den BND entscheiden ließ, statt selber zu entscheiden, zeugt von ausgemachter politischer Feigheit.
Ich finde, es schadet dem Wohl des Bundes, wenn über 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges immer noch Akten über einen nationalsozialistischen Massenmörder geheimgehalten werden. Dies ist in erster Linie eine politische Frage. Es ist auch eine juristische Frage. Gegen die Entscheidung habe ich vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage eingereicht. Laut Bundesarchivgesetz muß nach 30 Jahren Einsicht erteilt werden. Aber es gibt Ausnahmen, und davon läßt die Bundeskanzlerin den BND großzügig Gebrauch machen.

 

Interview mit Gaby Weber in der Zeitung "Junge Welt" vom 11.10.2008 / Wochenendbeilage / Seite 1 (Beilage)

"Er galt als Amispitzel und mußte aus dem Weg geräumt werden"

Gespräch mit Gaby Weber. Über den Massenmörder Adolf Eichmann. Und darüber, daß er zu viel über das Dreiecksgeschäft mit der israelischen Atombombe wußte

Gaby Weber ist Journalistin und Buchautorin, sie lebt und arbeitet in Buenos Aires und Berlin. Sie hat unter anderem Bücher über die Rolle deutscher Nazis und über Daimler-Benz in Argentinien geschrieben. In Ihrem Buch "chatting with Sokrates" zitieren Sie den Satz: "Der Mossad hat Adolf Eichmann wegen seiner Verbrechen am jüdischen Volk aus Argentinien entführt." Dazu Ihr Kommentar: "Ein Satz, vier Lügen". Würden Sie uns das erklären?

Der zitierte Satz gibt die Version wieder, die in den Geschichtsbüchern steht und die vom israelischen Geheimdienst Mossad seit 1975 offiziell verbreitet wird. Nach jahrelangen Recherchen in Archiven und vielen Gesprächen mit Zeitzeugen bin ich zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: Erstens war es nicht der Mossad, der im Mai 1960 in Argentinien das Kommando führte. Es war ein kleiner Geheimdienst Israels, der Atomtechnologie beschaffen sollte. Zweitens war der Auslöser für Eichmanns Abtransport nicht seine Beteiligung am Judenmord, sondern sein Wissen um geheime Dreiecksgeschäfte. Drittens wurde er nicht entführt und viertens nicht aus Buenos Aires.

Fangen wir doch mit Punkt eins an... Es waren damals in der Tat israelische Agenten in Argentinien - und zwar vom LAKAM, einem militärischen Dienst, der zum Zweck der Wirtschaftsspionage gegründet worden war. Die Gruppe hatte den Auftrag, das Know-how für den Bau einer Atombombe zu beschaffen. Nach dem Krieg waren Naziwissenschaftler nach Argentinien geflüchtet und setzten dort, wie es Präsident Juan Perón geplant hat, ihre Forschungen fort. Außerdem sollten sie Uran für den geheimen Reaktor Dimona beschaffen. Diese LAKAM-Agenten waren völlig unprofessionell. Sie traten auf wie die Elefanten im Porzellanladen, so daß schon wenige Tage nach ihrer Ankunft die argentinische Bundespolizei auf sie aufmerksam wurde.

Die einzige Möglichkeit für Israel, das nötige Know-how zu bekommen, waren die deutschen Wissenschaftler. Die USA und Großbritannien wollten damals die atomare Aufrüstung Israels verhindern; Frankreich lieferte zwar einen Forschungsreaktor, wurde dann aber von den USA gestoppt. Und die Sowjetunion kam nicht in Frage, unter anderem weil sie den Ägyptern im Nuklearbereich half.

Und was spricht gegen die Version von der "Entführung"?

Israels Staatspräsident David Ben Gurion gab am 23. Mai 1960 in der Knesset bekannt, daß Eichmann in Haft war. Aus Israel selbst gab es damals keine offizielle Erklärung, wie er dorthin gelangt war - den Begriff "Entführung" setzten Journalisten in die Welt. Als die argentinische Regierung sich angesichts der Presseberichterstattung über die Verletzung ihrer Souveränität beschwerte, schrieb Ben Gurion seinem Amtskollegen in Buenos Aires einen Brief mit der Entschuldigung, es seien "Freiwillige" auf eigene Faust am Werk gewesen. Erst ab 1975 verbreitete der Mossad Bücher, die die angebliche Entführung detailliert beschrieben. In den wesentlichen Punkten ist die Mossad-Version nachweislich falsch.
Nach der Lektüre Ihres Buches fragt man sich, ob nach Eichmann jemals ernsthaft gefahndet wurde. Er lebte doch bis 1950 unbehelligt in Westdeutschland, bevor er mit Hilfe des Vatikans nach Argentinien gelangte. Es gab viele, die davon wußten.
Er war mit einem falschen Paß auf den Namen Ricardo Klement eingereist. Seine Kinder gingen unter ihrem richtigen Namen in die deutsche Schule, sie waren auch in der deutschen Botschaft registriert - das geht eindeutig aus Akten des Auswärtigen Amtes hervor, die ich einsehen konnte. Eichmann fühlte sich in Argentinien so sicher, daß er - wie viele andere Nazis auch - jahrelang offen unter seinem Namen aufgetreten ist. Der Gründer und langjährige Chef von Mercedes-Benz-Argentinien, Jorge Antonio, hatte ihn eingestellt - er wußte genau, mit wem er es zu tun hatte. Das hat mir Antonio in einem längeren Interview bestätigt. Man muß dabei im Hinterkopf behalten, daß Mord nach deutschen Gesetzen damals nach 20 Jahren verjährte. Eichmann ging also davon aus, daß er spätestens ab Mai 1965 unbehelligt in die Bundesrepublik einreisen konnte. Antonio vermutete, daß Eichmann ab Ende der 50er Jahre für einen US-Geheimdienst arbeitete. Dafür habe ich allerdings noch keine Bestätigung in den USA gefunden - ein Antrag auf Akteneinsicht läuft noch.

Seit 1956 gab es in Deutschland einen Haftbefehl, ausgestellt vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Der hatte auch die israelische Justiz um Hilfe gebeten. Mittlerweile ist mit Hilfe von Archivquellen erwiesen, daß die israelische Regierung schon 1957 von einem deutschen, in Argentinien lebenden Antifaschisten informiert worden war, wo Eichmann steckte. Der Bundesnachrichtendienst (BND) wußte ebenfalls Bescheid. Er informierte 1958 die CIA, wie aus heute zugänglichen Akten hervorgeht.

Es ist auffällig, daß Israel keine öffentliche Kritik daran übte, daß damals Naziverbrecher hohe Funktionen in der Bonner Regierung bekleideten. Israel hat z. B. offiziell nie etwas dazu gesagt, daß Hans Globke, der Inititiator der Nürnberger Rassegesetze, von Adenauer zu seinem Staatssekretär gemacht worden war. Oder zu dem damaligen Vertriebenenminister Theodor Oberländer, der 1960 in der DDR wegen Ermordung von mehreren tausend Juden und Polen in Lemberg in Abwesenheit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde. Da könnte man doch fragen, ob sich die israelische Regierung ihr Schweigen irgendwie hat bezahlen lassen.

Wäre nicht der BND als Regierungsbehörde verpflichtet gewesen, seine Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben?

Diese Frage müßte das Bundeskanzleramt beantworten, ich war mit meiner Anwältin dort. Es wurde mir in der Tat eine Akte gezeigt - die begann aber erst nach 1960. Ich habe dann beim BND die Freigabe der Akte beantragt, ich meine die Dokumente zum Zeitraum vor Eichmanns Verhaftung in Israel. Zu meiner Überraschung wurde mir mitgeteilt, daß sie diese Akte gefunden haben, sie wollten sie aber bis mindestens 2017 geheimhalten. Ich habe jetzt gegen den BND Klage erhoben, weil es nicht angeht, daß dort Erkenntnisse über einen Massenmörder mit dem Argument unter Verschluß gehalten werden, der Geheimdienst müsse seine Methoden und Quellen schützen.
Eichmann arbeitete in Argentinien für Mercedes-Benz. Zum Unternehmensvorstand in Stuttgart gehörte damals auch ein ehemaliger SS-Offizier, Hans-Martin Schleyer. Wußte der davon?
Ich will erst kurz auf die Geschichte von Mercedes-Benz Argentina eingehen: Die Firma wurde 1951 mit Geldern gegründet, die aus dem im Ausland geparkten Nazivermögen stammen. Sie wurde über Nacht praktisch größter Investor in Argentinien - ihr gehörten Ländereien, Banken, Investmentfirmen. 1955 wurde sie nach dem Militärputsch gegen Perón für einige Jahre beschlagnahmt. Die damals sichergestellten Akten konnte ich einsehen. Schleyer war in jenen Jahren in Argentinien, um die beschlagnahmte Firma zu legalisieren. Und als Eichmann in Buenos Aires vermißt wurde, wandte sich die Familie an Mercedes-Benz, und der Vorgang landete in Stuttgart bei Schleyer. Aus dem Daimler-Archiv weiß ich, daß Schleyer öfter von "alten Kameraden" um Gefallen und Spenden gebeten wurde. Auch in der Schweiz habe ich Dokumente über Strohmänner gefunden, die da mitgemischt haben. Mercedes-Benz Argentina hat nicht nur Eichmann, sondern auch andere geflüchtete Nazis eingestellt.

Wie groß war denn die Nazigemeinde in Argentinien?

Es sind etwa 50000 Nazis ins Land gekommen, zum großen Teil mit Hilfe der katholischen Kirche. Die haben sich dann über ganz Lateinamerika verteilt - es dürften maximal 10000 gewesen sein, die längere Zeit in Argentinien blieben. Das waren natürlich nicht alle gesuchte Kriegsverbrecher. Eichmann war jedenfalls der zweithöchste SS-Mann dort, er fühlte sich nach meinen Recherchen offenbar wie der Anführer des Exils. Er hat seine Rolle aber sehr überschätzt, zu sagen hatte er eigentlich nichts mehr. Er wußte jedoch eine Menge über viele Leute, mit denen er zu tun hatte - und hätte mit seinem Wissen den einen oder anderen fertigmachen können. Man hatte Angst vor ihm.

Eichmann hatte in Argentinien wohl auch Kontakt zu deutschen Atomwissenschaftlern, die dort ihre Forschungen fortsetzten.

Kernforschung wurde in Argentinien an zwei Orten betrieben: zum einen in Tucumán, wo Eichmann anfangs wohnte. Dort arbeiteten viele Atomwissenschaftler aus dem Umfeld von Otto Hahn. Nach dem Putsch gegen Perón konzentrierte sich die Forschung auf Bariloche, dort wurde an der Herstellung von Plutonium gearbeitet. Die argentinische Atomkommission wurde von deutschen Wissenschaftlern mit aufgebaut, die schon an Hitlers-Uranprojekt gearbeitet hatten.
Welches Interesse hatte Argentinien an der Atomforschung?
General Perón sah Argentinien auf dem Weg zu einer Großmacht, was man sich heute kaum noch vorstellen kann. Er wollte eine eigene Industrie aufbauen, auch auf dem Rüstungssektor - dafür wollte er die deutschen Wissenschaftler haben. Daß es sich um Nazis handelte, war ihm egal. Für dieses Know-how interessierte sich dann auch die israelische Regierung.

Warum sollten ausgerechnet Nazis dem jüdischen Staat zur Atombombe verhelfen?

Ich vermute, die Israelis haben die Deutschen erpreßt. Wahrscheinlich auch die Frankfurter Firma Degussa, die in den 50ern die Wiedergeburt der deutschen Atomindustrie eingeleitet hat. Eine Degussa-Tochter hatte bekanntlich das Giftgas Zyklon B produziert, mit dem Millionen Juden in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Die 1960 gegründete Tochterfirma NUKEM hat jedenfalls für Israel einen Teil des nötigen Urans aus Argentinien beschafft. Ich habe versucht, bei Degussa zu recherchieren - aber leider läßt man mich nicht ins Archiv.

Es gab damals noch ein anderes Land, das die Kernwaffe wollte: der junge Bonner Staat. Der Beschluß des Bundestages, daß die Bundeswehr atomar aufgerüstet werden soll, wurde bis heute nicht zurückgenommen.

1955 hat Degussa ihre Nukleargruppe gegründet - es waren auch Leute aus dem Atomministerium dabei, dem damals der CSU-Politiker Franz Josef Strauß vorstand. Das Bundeskabinett stellte im März 1960 drei Millionen DM für nukleare Zusammenarbeit zwischen dem Otto-Hahn-Institut der Universität Göttingen und dem Weizmann-Institut in Israel zur Verfügung.

Warum hat Israel nicht interveniert, um zu verhindern, daß der deutschen Bundesregierung das Know-how für die Atombombe in die Hände fällt?

Für Juden müßte das eigentlich ein Alptraum sein - Judentum und israelische Regierung sind aber nicht identisch. Verantwortlicher Verteidigungsminister in Tel Aviv war damals Schimon Peres, der als der "Vater des israelischen Atomprogramms" gilt. Dabei ließ er sich offensichtlich kaum von moralischen Kriterien leiten. Israels Verhandlungspartner auf westdeutscher Seite hatten fast alle im faschistischen Deutschland wichtige Positionen gehabt. Trotzdem lieferte Israel schon ab 1957 Waffen an die Bundeswehr. Und wie kann man erklären, daß der Mossad den Erfinder der fahrbaren Gaskammern, Walter Rauff, auf seiner Agentenliste führte?

Über diese Verflechtungen wußte Eichmann Bescheid?

Über viele vermutlich. Er hatte zahlreiche Kontakte. Sein Fehler war, daß er anfing zu plaudern. Es begann mit einem langen Interview, das er dem niederländischen Kriegsverbrecher Willem Sassen gegeben hatte, Eichmann wollte sich rechtfertigen. Und er wurde immer mehr zu einer Gefahr, weil er von dem Atomdeal und der Zusammenarbeit mit Israel wußte. Er wurde als Amispitzel verdächtigt, deswegen mußte er aus dem Weg geräumt werden.

Okay - aber warum hat man ihn dann nicht einfach umgelegt?

Darüber kann man nur spekulieren. Das wäre möglicherweise zu einem Riesenskandal geworden, der Argentinien schwer verärgert hätte. Denkbar ist auch, daß die Argentinier dem einfach zuvorgekommen sind, indem sie ihn auswiesen. Jorge Antonio hat, auch öffentlich, bestätigt, daß Eichmann, der Ausländer mit falschen Papieren, von den Argentiniern nach Brasilien ausgeflogen und an die Israelis übergeben worden ist.

Der damalige Generaldirektor von Mercedes-Benz Argentina, William Mossetti, muß ebenfalls davon gewußt haben. Er meldete bereits am 12. Mai 1960 Eichmann von der argentinischen Sozialversicherung ab. Er wußte also elf Tage vor der Bekanntgabe in der Knesset, daß Eichmann nicht mehr in seinem Unternehmen auftauchen würde. Mossetti übrigens war laut der OSS-Dokumente, die ich im US-Bundesarchiv einsehen konnte, während des Zweiten Weltkrieges "G2-officer", also Geheimagent, vermutlich für die Army.

Auf jeden Fall kann die Version des Mossad, Eichmann sei entführt und mit einer El-Al-Maschine von Buenos Aires mit einer Zwischenlandung in Dakar nach Israel geflogen worden, schon rein technisch nicht stimmen. Das Flugzeug war eine Bristol Britannia, die nach Herstellerangaben eine Reichweite von 6869 Kilometern hat. Die Entfernung zwischen Buenos Aires und Dakar beträgt aber 6992 Kilometer - die Maschine muß also eine andere Route geflogen sein. Laut Jorge Antonio wartete das Flugzeug in Natal im Nordosten Brasiliens, was mir im übrigen auch die brasilianischen Behörden bestätigt haben. Dort wurde die El-Al-Maschine aufgetankt und Eichmann an Bord gebracht. Und von Natal ging es weiter bis Dakar und dann nach Israel. Sowohl die Argentinier als auch die Brasilianer haben sich nach meinem Eindruck völlig legal verhalten. Eichmann hatte einen falschen Paß, konnte also ohne Probleme aus Argentinien in das Land, wo er hergekommen war, ausgewiesen werden. Und Brasilien braucht keinen Ausländer mit falschen Papieren ins Land zu lassen - sie haben ihn also ins nächste Flugzeug gesetzt. Das war nun diese El-Al-Maschine.

Hat Brasilien bewußt mitgespielt?

Davon gehe ich aus. Die brasilianische Regierung hat ja damals ebenfalls mit Degussa über den Kauf einer Atomzentrifuge verhandelt. Hinzu kommt, daß der gesamte Flugverkehr Brasiliens bis heute vom Militär überwacht wird - die wußten genau, welche Flugzeuge im Luftraum unterwegs waren.

Die Ergebnisse Ihrer Recherche widersprechen all dem, was man aus der Geschichtsschreibung weiß. Gibt es Historiker, die sich ernsthaft mit Ihren Argumenten auseinandersetzen?

Das ist je nach Land verschieden. In den USA arbeite ich mit Leuten der Interagency Working Group on Nazi Crimes zusammen, Historikern, die im Bundesarchiv in Washington sitzen. In Deutschland hingegen sieht das anders aus - dort ist ein kritischer Umgang mit israelischer Zeitgeschichte sehr schwierig. Bisher wurde ich nicht direkt angefeindet, übrigens auch nicht von der israelischen Regierung. Der vor kurzem abgelöste Ministerpräsident Ehud Olmert hat mir geschrieben, man habe mein Bitten um Informationen zur Kenntnis genommen. Das war's dann aber auch.

Israel ist in einer schwierigen Situation. Nachdem das Märchen von der Eichmann-Entführung jahrelang aufrechterhalten wurde, ist es schwierig, davon wieder wegzukommen. Und dem stehen immer noch militärische Interessen entgegen. Israel spielt ja ein doppeltes Spiel: Offiziell heißt es, der Staat habe keine Atombomben. Andererseits sind eben diese Bomben Teil des Abschreckungspotentials.

Seit einem Jahr versuche ich, von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) in Wien Informationen zu bekommen. Dort ist Israel Mitglied. Ich habe denen Dokumente über die erwähnten Uranlieferungen geschickt und warte auf eine Stellungnahme.

Sie haben sich aber auch an den Mossad selbst gewandt ...

Der Geheimdienst hatte auf seiner Homepage als eine seiner großen Heldentaten die Geschichte von der Eichmann-Entführung dokumentiert. Ich habe dann per Mail nachgefragt, warum sie eine solche Lügengeschichte ins Netz stellen. Sie sollten mir bitte Kopien der einschlägigen Akten schicken. Eine Antwort habe ich zwar nie bekommen - aber ein paar Tage später war das Heldenepos von der Internetseite verschwunden.

Sie haben die Eichmann-Story in Form eines Theaterstücks dargestellt. Warum nicht klassisch, als Sachbuch mit ordentlichen Fußnoten?

Ich wollte anfänglich einen Dokumentarfilm drehen, also erst einmal ein Drehbuch schreiben. Das wäre aber zu teuer geworden - für solche Projekte gibt es kein Geld. Da ich mich schon gedanklich auf dieses Drehbuch fixiert hatte, habe ich dieses Theaterstück verfaßt, das von Basisgruppen, Schultheatern und anderen kleinen Bühnen ohne großen technischen Aufwand gespielt werden kann. Man braucht nur Stühle, Tisch, eine weiße Wand sowie einen Beamer, mit dem Archivdokumente eingespielt werden.

Ein Theaterstück gibt mir die Möglichkeit, Eichmann in seiner Subjektivität zu beschreiben. Also etwa so: Was ist in seinem Kopf vorgegangen? Es ist fast unerträglich, das zu Papier zu bringen, was dieser Verbrecher von sich gegeben hat. Ich habe den Dialog zwischen einer Journalistin und einer Historikerin dazwischengeschaltet - die Leser oder Zuschauer haben damit etwas mehr Distanz dazu, können es also auch eher rational verarbeiten.

Sicher, ein Sachbuch wäre auch eine Möglichkeit gewesen. So eins habe ich z. B. über die Geldwäsche der Nazis geschrieben, jede zweite Zeile war mit einer Fußnote mit Hinweis auf Archivdokumente versehen. Das Buch ist in Deutschland totgeschwiegen worden. Vielleicht ist das Theater der einzige Ort, an dem man noch frei reden und Argumente austauschen kann.

Das Buch heißt "chatting with Sokrates" - wie kamen Sie zu diesem Titel?

Der altgriechische Philosoph hatte schon vor zweieinhalbtausend Jahren eine sehr kluge Fragetechnik entwickelt. Direkte, fast naiv wirkende Fragen, die geeignet sind, Herrschaftsversionen zu entlarven. Daran sollte sich der Journalismus erinnern. Unser Beruf ist heute ziemlich verkommen, man wiederholt, was man wiederholen soll, statt Vorgegebenes in Frage zu stellen. Man kann gar nicht dumm genug fragen - die naivsten Fragen sind meistens die besten.

Das Interview führte Peter Wolter


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