Medienkritik zu "Allgemein"

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„Junge Welt“, 16.10.2024

Irgendwann ist Schluss

Ein nützlicher Aufsatzband über den Ukraine-Krieg

Von Gerhard Hanloser

Nicht nur Carola Rackete ist für mehr Raketen. Es finden sich in allen möglichen Milieus der Restlinken Vertreter, die sich für eine Bewaffnung der Ukraine gegen den russischen Angreifer aussprechen. Man sollte es sich nicht zu einfach machen und bloß Korruption, »antideutsch-bellizistische« Verwirrung oder Opportunismus bei ihnen ausmachen. 

Ihre Argumente lauten: Man müsse dem Begehren der Angegriffenen nachkommen – und das seien nun mal »die Ukrainer«. Auf sie nicht zu hören, wäre westeuropäische Ignoranz. Sie verweisen auf die reaktionären Überbauphänomene des russischen Kapitalismus und meinen, dass die Ukraine »emanzipatorischer« und deswegen in ihrer Staatlichkeit zu verteidigen sei. Zudem bemühen sie gerne antifaschistische Analogien, sehen Putin als kriegslüsternen Despoten oder revisionistischen Raumeroberer, um vor jedem »Appeasement« warnen zu können. 

In dem Sammelband »Sterben und sterben lassen. Der Ukraine-Krieg als Klassenkonflikt« eines internationalistischen Arbeitskreises, der sich den Namen Beau Séjour gegeben hat, ist nun wichtiges Material versammelt, um derlei ideologische Argumente zu entkräften, die lediglich dem neuen Militarismus Deutschlands ein linkes Mäntelchen umhängen. Beau Séjour war der Name der Pension in der Schweizer Ortschaft Zimmerwald, wo sich im September 1915 die sozialistischen Kriegsgegner trafen, im übrigen als Ornithologen getarnt. Zwei der Beiträge in dem Band fragen entsprechend nach der Aktualität der Thesen dieser Zimmerwalder Linken, die damals »Klassenkampf statt Burgfrieden« propagierten. Leider findet sich kein Text in dem Band, der die ausufernden Nazi- und Faschismusvergleiche zurückweist oder die Behauptungen, Russland führe einen »Vernichtungskrieg«. 

Das Buch macht in über einem Dutzend thesenhafter Aufsätze, analytischer Artikel und längeren Interviews deutlich, dass es »die Ukrainer« nicht gibt. So kommt etwa der junge Kommunist Andrew aus Charkiw zu Wort, dem es im ersten Kriegsjahr zu desertieren gelang und der seitdem im europäischen Ausland lebt. Er spricht sich für Fahnenflucht auf allen Seiten aus und dafür, ein Klima der Unzufriedenheit zu stiften, das die Kriegsmaschine zum Stocken bringen könnte. Seine Einschätzung der Entfaltung von Klassenkämpfen in einem repressiven Klima ist pessimistisch. Er verweist auf die hohe Abhängigkeit des ukrainischen Staatshaushalts von Krediten und Anleihen und hofft auf Impulse von außen zur Beilegung des Konflikts. Ein anarchistisches Kollektiv aus der Ukraine erklärt, dass realistisch betrachtet nur riesige Investitionen aus dem Westen, aus China und der Türkei zu einem wirtschaftlichen Sprung in der Ukraine führen könnten, der das Land über den Vorkriegszustand hinausbringen könnte. Erst dann könne eine Massenbewegung der Arbeiterklasse, die im Moment weitgehend nationalistisch eingesponnen sei, entstehen. Wenn westliche Linke meinen, mit der Ukrai­ne »die liberale Demokratie« verteidigen zu müssen, antworten sie: »Wir haben hier nichts zu verteidigen, außer die Macht der Obrigkeit und das Eigentum der Unternehmer.« Genauso sieht es die Gruppe Taniev, Arbeiterfront der Ukraine, die kategorisch festhält, dass in diesem Krieg keine nationalen Interessen verteidigt werden, sondern die Interessen des nationalen Kapitals: »Man verteidigt dann nicht die Menschen, die in der Ukraine leben, sondern das Kapital. Wer Waffenlieferungen befürwortet, macht sich mitschuldig an den Toten auf beiden Seiten.« 

Dass die Menschen in der Ukraine ein Bauernopfer in einem übergeordneten imperialistischen Kampf sind, machen mehrere Aufsätze deutlich. Darin wird zuweilen dafür plädiert, die Bekundungen Putins ernst zu nehmen. Eine englische Diskussionsgruppe beschreibt, dass die herrschende Klasse Russlands nicht akzeptieren könne, dass ein Land im eigenen Hinterhof von den USA mit NATO-Waffen hochgerüstet wird. Moskau lasse sich der Logik moderner Staatlichkeit folgend natürlich nicht bereitwillig zu einer unbedeutenden »Regionalmacht« zurückstufen und kann dabei bislang noch Mehrheiten im eigenen Land hinter sich wissen. Den USA sei es allerdings gelungen, Russland in einen Abnutzungskrieg zu ziehen. Die auf Hegemonialmacht und Unilateralismus tendierende absteigende Supermacht spekuliere auf eine wirtschaftliche und militärische Schwächung Russlands. Die Gruppe lässt in ihrem Text offen, ob dies auch gelingt – es sieht nicht so aus. 

In den zwei abschließenden Beiträgen diskutieren Aaron Eckstein, Ruth Jackson und Lukas Egger, warum trotz gegenteiliger Annahmen der Gaspreis in Deutschland und Europa nicht nach Kriegsausbruch konstant hoch blieb. Interessant ist, dass es tatsächlich zur raschen Ausweitung und Umlagerung von Kapazitäten kam. Doch die Gaskrise ist für Europa noch nicht ausgestanden. Das LNG (Flüssiggas) mit seinem hohen Frackinganteil ist ökologisch eine Katastrophe. Da würde sich eine stärkere Zusammenarbeit von Klima- und Friedensbewegung anbieten. 

Ob der Ukraine-Krieg in erster Linie ein Klassenkonflikt ist, wie der Untertitel des Buches suggeriert, bleibt dennoch offen. Weder haben ausgeweitete Klassenkämpfe den Krieg motiviert, noch kann eine der Parteien für sich reklamieren, eher ein Klasseninteresse der unteren Klassen zu verkörpern, wie es die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs glaubhaft vorgeben konnte. Auch scheint der Konflikt bislang noch nicht über ein Wiedererstarken von unabhängigen Klassenauseinandersetzungen gestoppt werden zu können. Die Parole »Sozialismus oder Barbarei« ist im Prinzip richtig, wird aber nur von Kleinstgruppen artikuliert. Druck durch Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung und Zwang zu Diplomatie von außen scheinen die realistischsten Wege zu sein, wie dieser Krieg zu einem Ende kommen kann. Wer ein »Immer mehr« an Waffenlieferungen fordert, steht auf seiten der Barbarei. Diese Leute wähnen sich auf der moralisch richtigen Seite und werden sich wohl auch durch dieses nützliche, faktenreiche Buch nicht überzeugen lassen.


„Contraste“ Februar 2024

Sozialer Widerstand bleibt notwendig

Von Larissa Peiffer-Rüssmann

Wer Argumente gegen das Märchen vom Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland sucht und den Werdegang von Hartz IV bis zum Bürgergeld sowie die dagegen entstandenen Widerstandsbewegungen ausführlich verfolgen möchte, dem sei der Band »KlassenLos« empfohlen.
Hartz IV war demnach kein Bruch mit dem bürgerlichen Sozialstaatsgedanken, es war schlicht die Anpassung an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse. Betroffene wurden in Arbeitsverhältnisse gezwungen, die sie weder beruflich weiterbrachten noch vor Armut schützten. Allerdings wurde nicht mehr von Zwang gesprochen, sondern von »Angeboten« und von »Anreizen«. Profitiert haben die Unternehmen, die billige und wehrlose Arbeitskräfte bekamen, während Politik und Medien ein Klima der Stigmatisierung gegenüber Erwerbslosen erzeugten.
Die Einführung des Bürgergelds wurde von Arbeitsminister Hubertus Heil als »die größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren« angepriesen. Harald Rein entlarvt in seinen Ausführungen das Gesetz als Teil einer sozialstaatlichen Verarmungspolitik und stellt fest, dass die Bewertung und die Behandlung von Erwerbslosen und Armen heute stellenweise noch genauso wirken wie vor 100 Jahren. Geändert hätten sich nur die Begrifflichkeiten. Nach einem Rückblick auf die Geschichte werden die einzelnen Veränderungen aufgelistet, vor allem in Bezug auf die Einschränkung sozialer Rechte und Sanktionsregelungen. So hat sich unter den Sozialleistungsbezieher*innen ein Klima der Angst entwickelt. Sie sind häufig dem Gutdünken der Jobcenter ausgesetzt, denn die Paragrafen des Sozialgesetzbuchs werden oft willkürlich ausgelegt.
In den folgenden Kapiteln werden die Protestformen ab 1995 analysiert, vom Aufbegehren regionaler Gruppen bis zu den Protesten der Gewerkschaften und Sozialverbände sowie einzelner Initiativen. Interviews mit Aktivist*innen verdeutlichen die Schwierigkeiten, zu großen gemeinsamen Aktionen zu kommen. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit der Mieterbewegung, die sich in der Defensive befindet und neue Formen des Widerstands sucht. Zudem geht es um die Energiekrise und die explosionsartige Verteuerung der Grundnahrungsmittel. Dabei wird auch ein Blick in die Nachbarländer Frankreich, Italien und England geworfen, wo die Kampagnen sehr vielfältig waren und von deren Aktionsformen wir viel lernen könnten.
Am Ende stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Gruppe den Widerstand anführt und in der Lage ist, im Kampf gegen die herrschende Macht alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren. Eines ist klar: Es muss etwas geschehen, damit die Herrschenden nicht mehr ruhig in ihren Sesseln sitzen können.

Insgesamt eine lesenswerte Darstellung von 20 Jahren sozialen Widerstands gegen Verarmung und Ausgrenzung.


„contraste“ Februar 2024

… ein sehr gutes und wichtiges Nachschlagewerk

Von Maurice Schuhmann

»Alle Macht den Räten!« hieß einst ein Song der deutschsprachigen Hiphop-Formation Anarchist Academy. Der Rätekommunismus erlebt heute ein Stück weit in der linken Szene eine Renaissance. Bereits 2021 erschien beim Schmetterling Verlag die Einführung »Rätekommunismus« von Felix Klopotek und der kleine anarcho-syndikalistische Verlag »Syndikat A« publiziert mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten klassische Texte des Rätekommunismus. Im Gegensatz zu anderen Formen des marxistisch-geprägten Kommunismus wie dem klassischen Marxismus-Leninismus klebt an den Händen dieser Strömung weit weniger Blut und die fehlende Macht in der Geschichte hat sie ein Stück weit ihre Unschuld bewahren lassen. Auch die Nähe zum kommunistischen Anarchismus, der wie im Falle von Erich Mühsam auch rätekommunistische Ideen übernahm, trägt zur positiven Lesart bei.

Nun liegt ein sehr umfangreiches und kompetentes Personenlexikon des deutschen Rätekommunismus zwischen 1920 und 1960 in gedruckter Form vor, bei dem Felix Klopotek als einer der Herausgeber fungiert. Es wurde ursprünglich 2017 kostenfrei in seiner deutschsprachigen Fassung mit Porträts einzelner Personen als Datei ins Netz gestellt und nun mit einem Vorwort versehen als Druckfassung herausgegeben. Hierfür wurde es kritisch durchgesehen und partiell korrigiert. Das Lexikon selbst wurde von dem holländisch-deutschen Linkskommunisten und Historiker Philippe Bourrinet erstellt, der eine Reihe von Publikationen zu jenem Aspekt der Sozialgeschichte verfasst hat – darunter unter anderem »The Dutch and German Communist Left (1900-1968)« (Haymarket Books, 2018).

Das Jahr 1920 als Beginn ist aus zweifacher Hinsicht von Interesse. Einerseits umgeht man hier die Debatte um die Einordnung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und den Räten in der deutschen Revolution von 1918/19, andererseits markiert das Jahr 1920 auch die Gründung der KAPD, einer rätekommunistischen Abspaltung der KPD. Der eng mit der KAPD assoziierte Gewerkschaftsverband AAUE entstand im darauffolgenden Jahr und zehn Jahre darauf die KAU. Das Jahr 1960 markiert hingegen den Tod des einflussreichen, niederländischen Rätekommunisten Anton Pannekoek.

Zur Einordnung des Forschungsgegenstands gibt es sowohl ein pointiertes Vorwort seitens der Herausgeber als auch vom Autor. Die unzähligen Beiträge enthalten wichtige biographische sowie auch viele bibliographische Angaben. Insgesamt ist damit ein sehr gutes und wichtiges Nachschlagewerk für jenes Forschungsgebiet entstanden. Vom Charakter her ist es eine klassische Publikation für Bibliotheken und weniger für einzelne Leser*innen, wenn diese nicht gerade zu jenem Thema forschen. Ein Blick hinein – und nicht nur zu Leuten wie Karl Korsch – lohnt sich aber auf jeden Fall.


„Express“ 12/2022

Über Widerstand gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur

Von Ulrich Maaz

Die Holding der Familie Tönnies ist mit Abstand der größte Fleischverarbeitungskonzern in Deutschland. In die öffentliche Kritik geraten ist er im Frühjahr 2020 wegen 1.500 Corona-Infektionen in seiner Schlachterei am Stammsitz Rheda-Wiedenbrück. Erst dieses Ereignis hat dazu geführt, dass es eine breitere Empörung über die unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen der migrantischen Arbeiter:innen in den Großschlachtereien gibt – und als eine staatliche Reaktion die Verabschiedung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes.

Der »Jour Fixe Gewerkschaftslinke« beschäftigt sich schon seit Jahren intensiv mit diesem Thema und hat Initiativen gegen das »System Tönnies« unterstützt. Er hat nun einen Folgeband zu dem 2020 erschienenen Buch »Das System Tönnies« herausgegeben, in dem nicht nur die Arbeitsbedingungen der Arbeiter:innen in der Fleischindustrie behandelt werden, sondern auch die Perspektiven der Fleischindustrie, der Landwirtschaft und der Tierrechte.

Auf gut 200 Seiten finden sich über 30 Beiträge, die zum großen Teil schon an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Im ersten Teil des Buches sind Berichte abgedruckt, die die Situation bei Tönnies (und darüber hinaus in der Fleischindustrie insgesamt) vor dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzkontrollgesetzes beschreiben. Im zweiten Teil geht es um die Umsetzung des Arbeitsschutzkontrollgesetzes und (erste) Auswirkungen. Im dritten Teil sind Beiträge unter der Überschrift »Fakten. Ausblicke. Perspektiven« versammelt.

Dass hier Texte nachgedruckt wurden ist kein Nachteil – im Gegenteil: Die Zusammenstellung ermöglicht einen guten Einblick in die unterschiedlichen Aspekte dieser besonderen Ausbeutungspraxis.

So vermitteln z.B. die Interviews mit dem Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich, mit Inge Bultschnieder von der »Interessengemeinschaft Werkfairträge« aus Rheda-Wiedenbrück und mit Freddy Adjan, dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft NGG, ein anschauliches Bild der Arbeits- und Lebensbedingungen von Werkvertragsbeschäftigten in der Fleischindustrie. In diesen und anderen Beiträgen wird deutlich, mit wie viel Zivilcourage sich (zunächst) Einzelne nicht nur gegen die miesen Arbeitsbedingungen, sondern auch gegen die Umweltverschmutzung und Tierquälerei des »System Tönnies« gewehrt haben ‒ ob am Stammsitz in Rheda-Wiedenbrück, in Weißenfels in Sachsen-Anhalt oder in Kellinghusen in Schleswig-Holstein. Dort wurde sogar der amtierende Landrat des Kreises Steinburg/Itzehoe, Torsten Wendt, auf Druck der Fleischlobby von der Mehrheit des Kreistages abgewählt, nachdem er wegen der Missstände mit der Schließung der Schlachterei gedroht hatte und sich express Nr. 12/2022 nicht von Tönnies hatte »einnorden« lassen. Der kurze Beitrag von Dieter Wegner dazu ist ein Lehrstück, wie politische Erpressung funktioniert und demokratische Strukturen ausgehebelt werden. Die beiden Beiträge über den zweitgrößten Tönnies-Standort in Weißenfels belegen am Beispiel der dortigen Auseinandersetzung um den Emissionsschutz und um Abwasserprobleme, wie Umweltrecht und rechtsstaatliche Standards umgangen bzw. ignoriert werden.

Die Beiträge im zweiten Teil des Buches befassen sich mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz und seinen bisherigen Auswirkungen. Es ist am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Wesentlicher Inhalt ist das Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in Betrieben der Fleischindustrie mit mehr als 50 Beschäftigten. Das ist zunächst ein politischer Erfolg aller, die gegen die Überausbeutung in der Fleischindustrie protestiert haben. Allerdings zeigen die ersten Berichte über die Umsetzung des Gesetzes, dass die Auswirkungen für die – jetzt direkt bei den Schlachtereien beschäftigten – Arbeiter:innen nicht immer positiv sind. So hat die Reduzierung der überlangen Arbeitszeiten teilweise zu einer weiteren Steigerung der Arbeitshetze geführt. Auf der anderen Seite sind die Chancen für gewerkschaftliche Organisation und Durchsetzung tariflicher Verbesserungen deutlich gestiegen.

Neben diesen beiden Themenschwerpunkten bietet dieser Sammelband aber noch mehr,
beispielsweise: Analysen, wie es überhaupt zu solch haarsträubenden Verhältnissen kommen konnte (Ferschl/Krellmann: Deutschland einig Dumpinglohnland) und wie sich die Strukturen der Schlachtbranche aktuell verändern (Hüttenschmidt); Erklärungsansätze, warum das Agrobusiness Treiber der Corona-Pandemie und anderer Seuchen ist (Stache/Bernhold: Superspreader Fleischkapital) sowie Ansatzpunkte für eine andere landwirtschaftliche Produktion (Kock-Rohwer und Piachnow-Schmidt, Ideenwerkstatt Kellinghusen).

Dieter Wegner schreibt im Vorwort für die Herausgeber: »Es haben sich in den letzten Jahren sehr unterschiedliche Akteure gegen das System Tönnies zusammengefunden: aus der Zivilgesellschaft, Initiativen gegen das System Tönnies, aus beiden Kirchen, Gewerkschafter, Tierrechtler, Landwirte, Wissenschaftler. Auch wenn zwischen ihnen Unterschiede in der Herangehens- und Sichtweise bestehen, sie eint das Ziel: Das System Tönnies muss weg!

Wenn dieses Buch II dazu dient, das Interesse am Thema aufrechtzuerhalten, hat es seinen Zweck erfüllt.«
Auch wenn es leider nicht immer editorische Erläuterungen zum Hintergrund und den Autor:innen der einzelnen Beiträge gibt – das Buch erfüllt seinen Zweck, ist in seiner Vielfalt sehr anregend und ein gutes Beispiel für politische Aufklärung – insbesondere zum konkreten Zusammenhang zwischen Ökonomie und Ökologie. Meine Empfehlung lautet daher: Unbedingt lesen!

* Ulrich Maaz ist langjähriger ver.di-Aktiver aus Hamburg.


„Passauer Neue Presse“ v. 16.11.22

Von Till Frieling

„Der Arbeiterwiderstand fehle völlig in der Erinnerungskultur – das Buch ist ein Versuch, das zu ändern“

Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist für Max Brym, der in Altötting geboren ist, ein sehr persönliches Thema. Bryms Vater war polnischer Jude und Überlebender der Schoah. Mit seinem Sohn konnte er jedoch nie über seine Zeit im KZ sprechen. Diese einschneidende Erfahrung war für den Autor Anlass, sich intensiv mit dem Naziregime und zu befassen.

In seinem neuen Buch „Skizzen – Arbeiterwiderstand gegen das Nazi Regime in Südbayern“ widmet sich Brym, der heute in München lebt und unter anderem Gastdozent an der Universität Prishtina im Kosovo war, dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der bayerischen Provinz. Das Buch ist sein zweites Werk zu dem Thema. In dem Buch „Roter Widerstand in der bayerischen Provinz“ beschrieb Brym schon einmal den Widerstand der bayerischen Arbeiterschaft gegen den NS-Terror. Sein neues Werk knüpft daran an, ist aus Bryms Sicht jedoch breiter aufgestellt.

Kleine Arbeiterzentren wie Burghausen spielten laut Brym eine nicht ganz unwichtige Rolle im Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Vor allem vor der Machtergreifung Hitlers 1933 gab es hier immer wieder heftige Auseinandersetzungen zwischen den Nazis und organisierten linken Arbeitern. Der erste Versuch der NSDAP, 1932 eine größere Veranstaltung im Burghausener Gasthof „Glöckelhofer“ abzuhalten, wurde so gemeinsam von sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitern unterbunden — auch mit Gewalt.

Brym betont, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden linken Lagern zu diesem Zeitpunkt durchaus eine Besonderheit war. Auf Reichsebene bekämpften sie sich oft, anstatt sich gemeinsam gegen den aufkommenden Faschismus zu stellen. In den kleineren Arbeiterstädten wie Burghausen hatte man jedoch früh begriffen, dass die Nazis keinen Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten machten – und man tat sich zusammen. Für Brym ist der Widerstand in der Region daher ein Beispiel dafür, wie der Nationalsozialismus noch vor 1933 hätte zerschlagen werden können.

Bryms Buch ist voll von Geschichten und Anekdoten über den Kampf gegen die Nazis in der bayerischen Provinz. So beschreibt der Autor, wie am Burghauser Wöhrsee Waffenlager anlegt und wieder geleert wurden, nachdem sie beinahe entdeckt worden waren. Auch die Burghauser Geschehnisse des 9. März 1933 – der Tag der sogenannten Gleichschaltung der Länder – beschreibt er. Die Burghauser Ortsgruppe der KPD versuchte damals, die NSDAP daran zu hindern, eine Hakenkreuzfahne auf dem Dach des Rathauses zu hissen.

Das Brym so ausführlich und anschaulich über die Geschehnisse berichten kann, liegt an seiner umfassenden und zum Teil schon jahrzehntelangen Recherche. Schon in den 1970er Jahren begann er, Gespräche mit Zeitzeugen zu führen und darüber Tagebuch zu schreiben. So konnte Brym Ende der 70er Jahre noch mit Alois Haxpointner sprechen, der lange die KPD in Burghausen geleitet hat und zehn Jahre im KZ Dachau inhaftiert war.

Mit seinem Buch möchte Brym auch die Geschichtsschreibung über den Widerstand gegen das Naziregime ergänzen. Man erinnere sich zwar richtigerweise an Gruppen wie die Weiße Rose oder den militärischen Widerstand rund um Claus Schenk Graf von Staufenberg, der Arbeiterwiderstand fehle aber komplett in der Erinnerungskultur, erklärt er. Sein neues Buchs ist daher auch ein Versuch, das zu ändern.


„express“ 12/2021

Über die Leerstelle von „Anger“ und „Action“

von Jonas Berhe

Schon der Titel lässt es erahnen: Der Frankfurter Gewerkschafts-Organizer, Theoretiker und Autor Slave Cubela lässt in seinem Buch »Anger, Hope – Action? Organizing und soziale Kämpfe im Zeitalter des Zorns« viel Platz für Emotionen und auch (Selbst-)Zweifel. Be­merkenswert, wenn man bedenkt, dass die hiesige Organizer-Szene sich in der vergan­genen Dekade eher für Antworten denn für noch mehr Fragen zu gewerkschaftlichen Heraus­forderungen interessierte.

Einleitend fragt sich Cubela anhand verschiedener zeithistorischer Momente, beispiels­weise von kollektiven Ausgrenzungserfahrungen in den französischen Vorstädten schon vor 30 Jahren, warum solche Erfahrungen zwar immer wieder zu Riots, aber nicht zu konsequenten größeren gesellschaftlichen Konfrontationen geführt haben. Mit anderen Worten also, warum Anger nicht konsequenterweise zu Action führt (daher das kritisch aufdringliche Fragezeichen im Titel), während die reine Organizing-Schule aber genau mit diesem politischen Dreisatz zur Mobilisierung der betrieblichen Massen rät: Also Anger ausmachen, Hope vermitteln und Action umsetzen. Cubela, selbst erfahrener und immens talentierter Organizer, verweist an diesem Punkt auf eine »wiederkehrende Leerstelle«, die er beobachtet. Zu dieser »Leerstelle« zwischen Anger und Action findet er in der gesamten, mittlerweile selbst im deutschsprachigen Raum recht vielfältigen Publikationswelt keine passende Antwort.

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„express“ Nr. 11 -2021

Kapitalismus – seine Hölle verweilt, dringt in unsere Träume ein und entwürdigt sie

„Greif zur Feder Kumpel“ lautete vor fast hundert Jahren der Kampfruf der Arbeiterschriftsteller*innen, die berichten wollten, was sie an ihren Arbeitsplätzen erlebten. In der DDR wurde diese Bewegung mit dem Bitterfelder Weg verstaatlicht. In der BRD gab es in den 1970er Jahren mit den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt und ähnlichen Projekten erneut den Versuch, Berichte aus der Arbeitswelt zu veröffentlichen.Vor allem Operaist*innen haben in verschiedenen Ländern immer die Bedeutung solcher Berichte betont Es geht eben nicht darum, dass solidarische Sozialwissenschaftler*innen über die Zustände im Job berichten, sondern die Menschen, die dort tagtäglich arbeiten, selbst schreiben. Davon scheint heute kaum etwas übrig geblieben. Doch der Eindruck täuscht. Mark Richter, Levke Asyl, Ada Anhang und Scott Nikolas Nappas haben mit ihrem Buch „Spuren der Arbeit, Geschichten von Jobs und Widerstand“ eine Sammlung von … solchen Geschichten aus den USA vorgelegt. In diesem jüngst auf Deutsch erschienenen Buch liest man nicht über die großen Streiks des fordistischen Zeitalters, als Arbeiter*innen gemeinsam die Fabrik verließen. Beschrieben werden vielmehr die kleinen Siege, wenn sich einige Kolleg*innen weigern, den Chef zu duzen oder sich weigern, ihre in der Pause gekauften Pralinen mit ihren Chef*innen zu teilen. dass sie von der Trennung in Klassen- versus Identitätspolitik nichts halten. Gewidmet haben sie das Buch allen Kolleg*innen, die in ihrer Praxis Feminismus, Antirassismus und Klassenkampf verbinden“.

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„ak 670“ v. 20.4.2021

… überaus hilfreich für die Frage der Zukunft migrantisch geprägter Arbeitskämpfe

Der Verlag Die Buchmacherei entpuppt sich als wichtigster Verlag für soziale Bewegungen in der Arbeitswelt. Das zeigt auch die neue Publikation »Mall of Shame« um den migrantisch geprägten und von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) unterstützten Arbeitskampf an dem Berliner Einkaufszentrum Mall of Berlin. Der Sammelband wird von zwei im Konflikt als Übersetzer*innen Aktiven herausgegeben. Das macht den Band zum spannendsten Buch zum Thema Arbeitskonflikt seit Langem. Gut die Hälfte besteht aus Interviews mit den osteuropäischen Arbeitern, die den Konflikt getragen haben. Das ist so erfrischend wie aufschlussreich. Das Engagement der Basisgewerkschaft tritt bescheiden in den Hintergrund gegenüber der Perspektive jener, um die es geht. Da darf im Nachhinein ein solcher Kampf auch durchaus zu »verlorener Zeit« erklärt werden, individuelle Rassismen, Differenzen und die Distanz zur Anarcho-Subkultur sind (auch in einem Interview mit Aktiven aus der FAU) Thema, vor allem aber auch die Lebensgeschichte und aktuelle Lage der Berichtenden. Chronologie und Aufsätze zur juristischen und gesellschaftlichen Einordnung des Kampfes sind eher Beiwerk zu den zentralen Gesprächen. Schmankerl: In einer Diskussion mit Karl-Heinz Roth vergleichen die Herausgeber*innen den aktuellen Kampf mit den »wilden« Streiks der frühen 1970er Jahre; auch diese vergleichende Perspektive ist überaus hilfreich für die Frage der Zukunft migrantisch geprägter Arbeitskämpfe.

Torsten Bewernitz


„Z“ 83 – September 2010

Linke Kritik an China?

Rolf Geffken zu Renate Dillmann

Renate Dillmann, China – Ein Lehrstück über alten und neuen Imperialismus, einen sozialistischen Gegenentwurf und seiner Fehler, die Geburt einer kapitalistischen Gesellschaft, den Aufstieg einer neuen Großmacht, VSA-Verlag, Hamburg 2009, 388 S. mit CD-Rom, 22,80 Euro

Am China seit Deng Xiaopeng scheiden sich die Geister. Auch die Geister der politischen Linken. Die Positionen linker, auch marxistischer, Autoren gegenüber China sind fast so unterschiedlich und facettenreich wie die „bürgerliche“ Kritik (oder auch Verteidigung) Chinas. Während Autoren wie Rolf Berthold, Helmut Peters und Theodor Bergmann die VR China durchaus „auf dem Weg zum Sozialismus“ sehen, kritisieren andere aus marxistischer Sicht den chinesischen „Turbokapitalismus“, so z.B. die Politikwissenschaftlerin Cho und der italienische Publizist Arrighi. Renate Dillmann will sich mit ihrem Buch „quer“ zu allen bisherigen Deutungen der Chinesischen Revolution stellen. Dabei beruft sie sich auf keinen geringeren als Karl Marx selbst. Sie grenzt sich von allen bisherigen marxistischen Kritiken oder auch Apologien ab und beruft sich gewissermaßen auf das „Original“. Ob sie diesem Anspruch gerecht wird oder ob sie nicht gerade Marx bei Ihren Bewertungen chinesischer Geschichte und Politik verkennt, bleibt zu prüfen.

Zunächst fällt die bisweilen ins umgangssprachliche abgleitende Begriffswelt der Autorin auf: Sie bezeichnet die China-Berichte in den hiesigen Medien als „ziemlich üble Mischung von Ignoranz, Feindschaft und Begeisterung“. In der Parole zur Befreiung der unterdrückten Völker und der Parole von der Befreiung der unterdrückten Klassen sieht sie „zwei verschiedene Paar Stiefel“ und unterstellt den „chinesischen Kommunisten“ dabei „Beteuerungen und Windungen“. Die Reklamierung nationaler Interessen am Fortbestand von Klassenunterschieden bezeichnet sie als „notwendigerweise verlogen.“ Zum Zeitpunkt der Gründung der Volksrepublik sei China das „ärmste und verkommenste Land der Welt“ gewesen. Wiederholt wirft sie der Kommunistischen Partei Chinas eine „Un-Logik“ vor und tituliert den Gleichklang von Volkseigentum und geplantem Markt als: “dumme Widersprüche“. Und schließlich als „theoretische Dummheit“. Schließlich beklagt sie „dümmliche Propagandaplakate“ und behauptet, diese Propaganda habe den Zweck gehabt, darzulegen, dass es in einem Entwicklungsland 10 Jahre nach Ende eines Bürgerkrieges „nichts zu meckern“ gegeben habe.

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