Medienkritik zu "Anti-Krieg zwischen Weltkriegen"
Zurück zum Produkt„kritisch lesen“ v. 9. April 2024
Antimilitärische Erinnerung
Von Peter Nowak
Es war kurz nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine als der sozialdemokratische Blogger Sascha Lobo das Wort vom Lumpenpazifismus in die Welt setzte und damit Menschen diffamierte, die auch nach dem 23. Februar 2022 Alternativen dazu suchten, immer mehr Waffen auf ein schon zerstörtes Schlachtfeld zu bringen. Aber Lobo ist nicht der Erfinder dieser verbalen Angriffe. Schon der rechtsliberale Außenminister der Weimarer Republik Gustav Stresemann hat Pazifist*innen als Lumpen bezeichnet. Er ist der Politiker, der 1926 zusammen mit seinen französischen Kollegen für seine Verständigungspolitik mit Frankreich den Friedensnobelpreis bekommen hat. Fast 100 Jahre später kennen wir viele weitere Friedensnobelpreisträger, mir fallen in dieser Kategorie nur Männer ein, die überzeugte Militaristen waren. Der Publizist Carl von Ossietzky gehörte hingegen zu den wenigen überzeugten Pazifist*innen, die den Friedensnobelpreis 1936 bekommen haben. Die Preisverleihung an ihn war ein Signal gegen die NS-Diktatur, die auch verhinderte, dass Ossietzky, der in Konzentrationslagern gefoltert wurde, den Preis entgegennehmen konnte. Doch der streitbare Kritiker jedweden Nationalismus und Militarismus wurde schon in der ach so hochgelobten Weimarer Demokratie zu einer hohen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er unermüdlich die Aufrüstungspläne des deutschen Imperialismus anprangerte. Sein Forum war die Zeitschrift Weltbühne, die eine Publikation war für Liberale, Christ*innen und Linke aller Couleur. Einzige Bedingung war, dass die Autor*innen keine Ehrfurcht vor Patriot*innen und Militarist*innen, wo immer sie auch auftraten, haben durften. An dieser undogmatischen Herangehensweise könnten sich Publikationen wie die Monatszeitung Konkret heute ein Beispiel nehmen, die noch am ehesten in der Tradition der Weltbühne stehen.
Einen Teil der Texte gegen Nationalismus und Militarismus, die in der Weltbühne veröffentlicht wurden, hat der kleine Berliner Verlag Die Buchmacherei jetzt wieder zugänglich gemacht. Unter dem Titel „Antikrieg zwischen den Kriegen“ hat ein Herausgeber mit dem Alias-Namen Max Michaelis auf 650 Seiten überwiegend Texte aus der Weltbühne nachgedruckt. Darunter auch den Offenen Brief von Carl von Ossietzky an den Reichswehrminister Wilhelm Gröner, der 1932 gerade dabei war, die Kriminalisierung von Pazifist*innen gesetzlich weiter voranzutreiben. In diesem Brief richtet Ossietzky den Vorwurf an seinen Adressaten: „Sie nehmen sogar Stresemanns unglückliches Wort von den Lumpen wieder auf, und verwenden es so, dass jeder Friedensfreund davon betroffen werden kann.“ (S. 541)
Kriminalisierter Pazifismus
Allerdings wird hier ein Manko des Buches deutlich: Es liefert keinerlei historische Kontextualisierung der Texte. Eine solche Einordnung hätte erwähnen müssen, dass jener Gröner eine zentrale Figur der Gegenrevolution der Weimarer Republik war, seit der durch die Räterevolution im November 1918 an die Macht gekommene SPD-Vorsitzende Ebert mit den gestürzten Monarchisten in ihrem holländischen Exil Kontakt aufgenommen hatte. Gröner war der Verbindungsmann, der mit dafür sorgte, dass Freikorps aufgebaut wurden, die die Revolution zerschlugen. Gröner hatte auch noch 1932 genügend Macht, in einer profaschistischen Zeitung gegen Pazifist*innen zu hetzen. Ossietzky schrieb diesen Brief aus dem Gefängnis, wo er eine Haftstrafe wegen Landesverrat verbüßte, weil er in der Weltbühne die deutsche Aufrüstung anprangerte. Die fehlende Kontextualisierung soll aber das Verdienst von Herausgeber und Verlag nicht schmälern, diese wichtigen Texte in einer Zeit wieder veröffentlicht zu haben, in der sich die Republik wieder kriegsfähig macht und so auch der Begriff Lumpenpazifismus wieder Konjunktur bekommen hat. Es mag sein, dass manche, die ihn heute verwenden, gar nicht die rechte Geschichte kennen, die damit verbunden ist.
Viele der dokumentierten Artikel stammen von Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, der unter verschiedenen Pseudonymen schrieb, von Kurt Hiller, Erich Kästner, aber auch von heute nur noch wenig bekannten Autor*innen wie Alfons Goldschmidt und Kurt Kersten. Leider sind nur wenige Texte von Frauen in dem Band dokumentiert, was besonders bedauerlich ist, weil mit Anita Augspurg, Minna Cauer, Margarete Selenka wichtige Stimmen gegen den Krieg fehlen. Das ist aber wohl eher der historischen Weltbühne als dem Herausgeber des Buches anzulasten. Allerdings hätte er vielleicht einige antimilitaristische Texten von Frauen aus anderen Publikationen mit dokumentieren können. Schließlich wird das Buch mit zwei Texten eingeleitet, die nicht in der Weltbühne standen. Einer Erzählung von Egon Erwin Kisch und einem Brief von Stefan Zweig an Romain Rolland, zwei entschiedenen Gegnern des 1. Weltkrieges.
Politische Irrtümer
Auch manche politische Fehleinschätzung einiger der dokumentierten Autor*innen fallen besonders auf, wenn man sie fast 100 Jahre später, also mit zeitlichen Abstand, liest. So propagierte Kurt Hiller einerseits einen revolutionären Pazifismus, der postuliert, dass der Kampf gegen den Kapitalismus und Militarismus zusammengehören. Öfter polemisiert Hiller auch gegen bürgerliche Pazifist*innen, die teilweise weiterhin mit den linksliberalen Parteien im Reichstag sympathisieren. Dann ist es umso unverständlicher, dass Hiller in einen anderen Text plötzlich Mussolini, Hindenburg und Ludendorff dafür lobt, dass sie in einer Erklärung für Abrüstung und gegen den Krieg eingetreten sind. „Man halte von Ludendorff, was man wolle, von Hindenburg, was man wolle, meinethalben sogar von Mussolini, was man wolle (warum Gegner stur idiotifizieren? Als ob nicht auch Gegner dem Gesetz der Wandlung unterworfen wären). Ich halte sie allesamt für eines, für ehrlich. Sie meinen, was sie sagen; wenngleich ihnen die Kraft fehlen dürfte, zu tun, was sie meinen.“ (S. 449) Auch in einigen seiner Texte, die sich nicht schwerpunktmässig mit Antimilitarismus befassen, ist Hiller mit mussolinifreundlichen Tönen aufgefallen. Trotz seiner Schwankungen im politischen Urteilsvermögen gehört Hiller mit zu den ersten, die von den Nazis verhaftet und gefoltert wurden. Nach einer zeitweiligen Freilassung floh er ins Ausland. Nicht nur Hiller, auch manche anderen der dokumentieren Autor*innen haben ihre Gegner*innen unterschätzt.
Forum für eine Debatte unter Kriegsgegner*innen
Wir erfahren in den Texten auch einiges über den Streit zwischen unterschiedlichen pazifistischen und antimilitaristischen Strömungen. Doch in der Weltbühne wurden sie alle abgedruckt. Dort sah man in inhaltlichen und Differenzen kein Manko, sondern eine Herausforderung für eine kontroverse Debatte. Dafür war die Weltbühne immer ein Forum. Auch daran könnte sich die gesellschaftliche Linke und ihre Medien in einer Zeit ein Beispiel nehmen, in der manchmal kleinste Differenzen zu großen Zerwürfnissen und Spaltungen führen.
Wenn man manche der vor fast 100 Jahren verfassten Beiträge heute liest, denkt man, sie wären erst vor einigen Monaten geschrieben. Sie wirken so erschreckend aktuell, dass man manchmal nur die Jahreszahl ändern müsste. Es ist erfreulich, von schlauen Menschen zu lesen, die schon 1928 erkannt hatten, dass der deutsche Imperialismus einen neuen Krieg vorbereitet. Es ist deprimierend zu sehen, dass sie ihn damals nicht verhindern konnten.
Eine Frage stellt sich bei der Lektüre in dieser Zeit. Wird es in 100 Jahren noch Menschen geben, die die heutigen Texte gegen jeden Krieg und Nationalismus unter dem Titel „Antikrieg zwischen den Kriegen“ herausgeben, vielleicht nicht mehr als Buch aber einer zeitgemäßen Form? Oder wird den Kriegen, die aktuell vorbereitet werden, niemand mehr überlebt haben, um diese traurige Aufgabe zu leisten?
„nd“ v. 19.3. 2024
Nie war unsere Einsamkeit hilfloser
Zeitlose Texte gegen Krieg, Militarismus und Nationalismus
Von Peter Nowak
Nie habe ich die moralische Atmosphäre giftiger und erstickender empfunden, als jetzt, nie unsere Einsamkeit hilfloser, unser Wort sinnloser.» Diese pessimistischen Zeilen schrieb Stefan Zweig am 8. Februar 1921 an seinen Freund und Schriftstellerkollegen Romain Rolland. Die beiden Pazifisten gehörten während des Ersten Weltkriegs zu den wenigen intellektuellen Stimmen, die sich gegen Nationalismus, Militarismus und Kriegsbegeisterung in Deutschland und Frankreich wandten. Nach dem Ende des Massenmordens, so hofften sie, würde es eine große Bewegung gegen jegliche Kriege geben. Doch schon 1921 musste Zweig mit Erschrecken feststellen, dass die Nationalisten, die Deutschland in den Krieg geführt hatten, ihr nationalistisches Gift weiter verspritzten und dass sie weiterhin Anhang hatten.
Die Buchmacherei dokumentiert verdienstvollerweise Texte, die sich gegen Militarismus und Krieg positionierten. Der überwiegende Teil ist in der «Weltbühne» publiziert worden, ein in der Weimarer Zeit wichtiges Forum der parteiunabhängigen Linken. Mehrere Artikel stammen von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky, andere von Kurt Hiller und Erich Kästner, aber auch von heute nur noch wenig bekannten Autoren wie Alfons Goldschmidt oder Kurt Kersten. Leider sind nur wenige Beiträge von Frauen zu finden, obwohl es mit Anita Augspurg, Minna Cauer oder Margarethe Selenka sehr wohl engagierte Streiterinnen für Frieden und Völkerverständigung gab. Was aber das Verdienst des ostdeutschen Herausgebers mit dem Alias-Namen Max Michaelis nicht schmälern soll.
Die Texte sind gerade in einer Zeit wichtig, in der es das erklärte Ziel deutscher Politik ist, wieder «kriegstüchtig» zu werden, und mahnende Stimmen übertönt werden. Es ist ein Lesebuch der besonderen Art. Wir erfahren viel über die damaligen Militarismus-Debatten. Auch Querelen innerhalb der pazifistischen Bewegung werden nicht ausgespart. Kurt Hiller wird aus der Deutschen Friedensgesellschaft ausgeschlossen, als er Geldzahlungen an diese bekannt macht, die aus tschechischen und polnischen Quellen stammen sollten. Ossietzky wiederum verteidigt die Gesellschaft: Es sei eben manchmal schwer, die Miete für Büro und Aktionen aufzubringen. Zugleich verurteilt er Hillers Ausschluss.
Wir erfahren, dass Tucholsky Erich Remarques berühmten Roman «Im Westen nichts Neues» als «pazifistische Kriegspropaganda» kritisierte, aber auch das staatliche Verbot des Films 1929 verurteilte. Die Behörden beugten sich einem Nazi-Aufmarsch vor den Kinos, die das Antikriegsdrama zeigten. Hellsichtig erkannte Tucholsky, dass Institutionen, die nicht einmal einen Film vor den Faschisten verteidigen können, kein Bollwerk gegen diese sein werden. Auch wurden Vorstellungen der SPD kritisiert, die Reichswehr von innen heraus zu demokratisieren. «Das Wehrprogramm der Sozialdemokratie, wie es jetzt vorliegt, ist eine viel schlimmere Bankrotterklärung eines aktiven Sozialismus, als es die Bewilligung der Kriegskredite am 4. August 1914 war. Denn hier werden die Kriegskredite und noch viel mehr bereits in Friedenszeiten bewilligt», schrieb Jakob Links.
Wenn man diese Artikel, Aufsätze und Appelle liest, glaubt man zuweilen, sie seien erst jetzt verfasst worden. Frühzeitig hatten kluge Menschen erkannt, dass der deutsche Imperialismus einen neuen Krieg vorbereitet. Umso deprimierender, dass sie ihn nicht verhindern konnten.
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