Medienkritik zu "Mall of Shame"
Zurück zum Produkt„Nd“ vom 18./19.9. 2021
Geld weg, Vertrauen verloren
Viele europäische Wanderarbeiter*innen in Deutschland werden von ihren Arbeitgebern am Bau, in Pflege und Gastronomie um ihre Rechte gebracht
von JOHANNA TREBLIN
Rund 890 000 Menschen arbeiten in der Baubranche. Sie sollen bald mehr Lohn erhalten, fordert die Industriegewerkschaft BAU – und droht mit Streik. Die Gewerkschaft verlangt unter anderem 5,3 Prozent mehr Lohn und eine Angleichung der Gehälter in Ost und West. »Nach insgesamt vier Verhandlungsrunden haben die Arbeitgeber am 22. September die letzte Chance, sich mit uns auf einen neuen Tarifvertrag am Verhandlungstisch zu einigen, sonst wird es mehr als ungemütlich«, sagte am Freitag IG-BAU Bundesvorsitzender Robert Feiger. Wenn auch die anschließende Schlichtung scheitere, »kommt der Arbeitskampf«.
Schon heute steht fest: Viele Arbeiter auf dem Bau werden nichts von dem Tarifabschluss haben. Denn etliche Baubeschäftigte arbeiten ohnehin ohne gültigen Arbeitsvertrag, bekommen nur einen Teil ihres Lohns regulär ausgezahlt oder gelten als Selbstständige.
Andere arbeiten bei Subunternehmen, die nur für ein einziges Bauprojekt gegründet werden, keinen richtigen Firmensitz haben – und Insolvenz anmelden oder verschwinden, bevor sie die Löhne für ihre Beschäftigten auszahlen.
Insolvente Subunternehmen
Oft sind es Wanderarbeiter*innen aus Osteuropa, die so über den Tisch gezogen werden. Teils fehlen ihnen die Sprachkenntnisse, teils steht in den deutschen Verträgen etwas anderes als in den Papieren, die sie in ihrer Landessprache ausgehändigt bekommen. Einige kennen ihre Rechte nicht gut genug, andere kennen sie, sind auf die Jobs aber angewiesen. Ein besonders prominenter Betrugsfall waren die rumänischen Arbeiter auf der Baustelle der Mall of Berlin im Jahr 2014. Sie wurden bei der Fertigstellung des gigantischen Einkaufszentrums am Potsdamer Platz um ihren Lohn geprellt. Dazu ist nun ein Buch erschienen. Die Herausgeber*innen von »Mall of Shame – Kampf um Würde um Lohn«, Hendrik Lackus und Olga Schell, haben als Mitglieder der Basisgewerkschaft FAU die Arbeiter bei ihrem Protest und ihren darauffolgenden Gerichtsprozessen begleitet.
Die Mall of Berlin ist ein Projekt der HGHI Leipziger Platz GmbH und Co. KG, hinter der der Investor Harald Huth steht. Hunderte Menschen waren auf der Baustelle am Potsdamer Platz beschäftigt, die das Bauunternehmen Fettchenhauer beaufsichtigte. Nach einigen Monaten bekamen einige von ihnen – darunter viele Männer aus Rumänien – plötzlich keinen Lohn mehr. Sie protestierten, zunächst alleine, dann mit Unterstützung der FAU. Sieben zogen schließlich vor Gericht. Doch ihr Geld erhielten sie nie: Ein Subunternehmen, bei dem sie beschäftigt waren, ging pleite. Die Chefs des anderen waren nicht mehr auffindbar. Auch der Generalunternehmer Fettchenhauer meldete Insolvenz an. Und so klagten zwei der Arbeiter schließlich gegen den Investor. Das Bundesarbeitsgericht wies im Oktober 2019 ihre Klage ab. Die Begründung ist etwas kompliziert: Ein Generalunternehmer könne für ausbleibende Löhne von Subunternehmen haftbar gemacht werden, ein Investor nicht. Denn der Investor sei in der Regel »branchenfremd«, müsse also nicht einschätzen können, ob die Subunternehmen ihre Arbeit tatsächlich ordentlich machen können. Dafür sei der Generalunternehmer zuständig. Dass Huth eine Shoppingmall nach der anderen bauen lässt und damit eine gewisse Erfahrung haben sollte, tat für die Richter nichts zur Sache.
Lackus und Schell fahren im Frühjahr vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts nach England. Dort treffen sie Elvis Iancu und Bogdan Droma, die 2014 die Proteste gegen die Firma von Harald Huth angeführt hatten. Außerdem sprechen sie mit Gioni Droma, Bogdans Bruder, und Cubylyass Dumitru, ihrem Cousin.
Elvis Iancu lebt zum Zeitpunkt des Interviews in Coventry und arbeitet bei Amazon. Er legt Geld zurück, wie er Lackus und Schell erzählt, in ein paar Jahren will er zurück nach Rumänien zu seiner Familie gehen und sich dort selbstständig machen.
Bogdan und Giona Droma leben – wie auch ihr Cousin Cubylyass »Billy« Dumitru – zur Zeit des Interviews in der englischen Industriestadt Luton. Sie hatten seit ihrem Umzug nach England wechselnde Jobs. Bogdan will BWL studieren, um später mal ein eigenes Unternehmen gründen zu können.
Auf ihre Zeit in Deutschland schauen sie ganz unterschiedlich zurück. Für Iancu war es eine »verlorene Zeit«, heißt es im Buch, er denkt kaum noch darüber nach. Bogdan Droma ärgert sich noch heute, dass er auf der Mall gearbeitet hat, aber auch, dass er nach Deutschland gegangen ist, ohne sich vorher richtig zu informieren. Beim Protest sei es ihm nicht nur darum gegangen, den ausstehenden Lohn zu bekommen: »Ich habe für meine Identität gekämpft!«, heißt es im Interview.
Und er ergänzt: »Die Rechte von Arbeitern sind sehr wichtig!« Billy Dumitru zeigt vor allem Enttäuschung über Deutschland, weshalb er dort auch nicht bleiben wollte: »Ich hätte wohl Arbeit gefunden, aber ich war nicht sicher, ob ich Geld bekommen würde.«
Verbesserungen vor allem auf dem Papier
Die Interviews mit den geprellten Arbeitern sind detailreich und persönlich. Man merkt ihnen die langjährige Verbindung der Herausgeber*innen mit ihren Gesprächspartnern an. Gleichzeitig stehen sie für die Geschichten der vielen Wanderarbeiter*innen, die in Deutschland auf dem Bau, in der Fleischindustrie oder in der Pflege unter prekären Bedingungen arbeiten.
Für das Buch interviewt wurden auch zwei weiteren FAU-Unterstützer*innen der Arbeiter, die erzählen, wie sie die Gruppe kennengelernt haben und welche Herausforderung der Kampf für die eher kleine Gewerkschaft bedeutete. Überdies reflektieren zwei Sprachmittler*innen, darunter Hendrik Lackus selbst, über ihre Rolle zwischen Dolmetscher*innen und Sprecher*innen.
Mehrere Beiträge widmen sich dem Zusammenhang von Migration, Asyl und Arbeit(-srecht). Sie zeichnen unter anderem die Entwicklung hin zu mehr Rechten für prekäre Wanderarbeiter*innen nach. So wurde 1997 das Arbeitnehmerentsendegesetz verabschiedet, nach dem ausländische Bauarbeiter einen Anspruch auf den deutschen Mindestlohn haben. Das bedeutet – zumindest laut Gesetz – mehr Geld für ausländische Beschäftigte. In den Jahren 2004 und 2007 wurden osteuropäische Staaten Mitglieder der EU. Doch die Arbeitnehmerfreizügigkeit, also das Recht, sich innerhalb der EU den Arbeitsplatz frei zu wählen, gewährte Deutschland erst 2011 und 2014.
Danach kamen mehr Arbeitsmigrant*innen nach Deutschland: Die Leute versuchen, der Armut in ihren Ländern zu entfliehen, für sie sind auch deutsche Mindestlöhne noch mehr als das, was sie beispielsweise in Rumänien verdienen können. Das kommt deutschen Unternehmen zupass, sie rekrutieren Arbeitskräfte, für die sie wenig Geld zahlen müssen. Nachdem die IG BAU anfangs noch Stimmung gegen ausländische Beschäftigte gemacht hatte, gründete sie 2004 den Europäischen Verband für Wanderarbeiterfragen.
Auch heute noch unterstützt der Verein zusammen mit der DGB-Beratungsstelle Faire Mobilität Arbeitsmigrant*innen bei Schwierigkeiten im Job. Bereichen, wo viele Arbeitsmigrant*innen arbeiten – Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie – unzureichend.
Anhand von Daten der Berliner Soka Bau, der Sozialkasse der Bauwirtschaft, die »nd« 2019 einsehen konnte, lässt sich erkennen, dass rund ein Viertel der Arbeiter auf Baustellen als Teilzeitkräfte gemeldet sind. Aber sowohl die Soka als auch die Gewerkschaft IG BAU sind sich einig, dass in dieser Branche kaum jemand tatsächlich in Teilzeit arbeitet.
Der Verdacht: Mit der Teilzeitmeldung werden Sozialkassenbeiträge hinterzogen. Knapp zwei Jahre später zeigen aktualisierte Daten:
Daran hat sich praktisch nichts geändert.
„kritisch-lesen.de“ v. 13.7.2021
Her mit dem schönen Leben!
von Matthias Fiedler
Arbeit bedeutet für viele Kampf um ein besseres Leben. Arbeit und Migration bedeuten meist doppelten Kampf. Dass dieser sich lohnen kann, hat vor kurzem das Ergebnis des Streiks in Bornheim beim Unternehmen Spargel Ritter gezeigt. Über hundert Saisonarbeitende hatten im April 2021, pünktlich zum Start der neuen Erntesaison, eine außergerichtliche Einigung erzielt und Nachzahlungen für die Ernte 2020 erhalten. Ausgangspunkt dieses Kampfes waren 100.000 Euro nicht gezahlter Lohn. Unterstützt wurde der hartnäckige, ein Jahr andauernde Kampf durch die FAU (Freie Arbeiter*innen Union) Bonn.
Auch das von Hendrik Lackus und Olga Schell herausgegebene Buch „Mall of Shame – Kampf um Würde und Lohn“ verweist nun im Einstieg auf den oben genannten aktuellen Kampf und dessen Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten mit dem mehrere Jahre andauernden Arbeitskampf rumänischer Bauarbeiter, die im Auftrag von Subunternehmen auf der Baustelle der Mall of Berlin gearbeitet hatten. Mehrere dieser Subunternehmen gingen bankrott und einige der Bauarbeiter wurden sogar mehrfach um ihren Lohn betrogen. Der Investor Harald Huth sah keinen Grund bei den Arbeitern finanziell für eine Entschädigung zu sorgen.
Weil ihnen kein Lohn gezahlt wurde, starteten die Arbeiter zunächst einen Protest und begannen, nahezu täglich über ihre Lage direkt vor der Baustelle der Mall zu informieren. Einige Zeit schliefen sie sogar in einem Container auf der Baustelle. Auch hier war es die FAU (Berlin), die den Protest der Arbeiter und die folgenden mehrjährigen gerichtlichen Verhandlungen über Lohnzahlung tatkräftig unterstützte:
Brücken der Solidarität
„Ihre Hilfe war sehr wichtig, sie haben uns mit Geld unterstützt und mit andere Sachen. Wir haben angefangen Proteste zu machen. Sie sind mit Fahnen gekommen und mit Flyern, die wir an die Leute verteilt haben und so etwas.“ (S. 63)
Die Autor*innen hatten selbst den Kampf der protestierenden Arbeiter*innen begleitet und bezeichnen sich als solidarische Unterstützer*innen. Ihre eigene Rolle kommt im Buch ebenso zur Sprache wie die ungleiche soziale Herkunft einiger Gewerkschaftsmitglieder und der protestierenden Arbeiter*innen:
„Nicht wenige der aktiven Mitglieder sind in einem akademischen bzw. universitären Arbeitsumfeld unterwegs. […] Es ist eine große Herausforderung trotz unterschiedlicher Ausgangslagen, Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Unserer Meinung nach kann es diese Gemeinsamkeit in Kämpfen jedoch nur geben, wenn bestehende Unterschiede wahrgenommen werden und die jeweils spezifischen Ausgangsbedingungen und Lebensrealitäten der Beteiligten berücksichtigt und im wechselseitigen Aushandlungsprozess verstanden werden.“ (S. 194)
Den Autor*innen geht es um die Sichtweisen der ehemaligen Protestierenden auf ihren damaligen Kampf. Heute lebt nur noch einer von ihnen in Berlin. Für die im Buch abgedruckten Interviews fuhren die beiden Herausgeber*innen dorthin, wo es die übrigen Arbeiter*innen bei ihrer Suche nach Lohnarbeit geführt hatte. Die Beurteilungen ihres Kampfes fallen unterschiedlich aus. Allerdings geben viele an, dass der gemeinsame Kampf wichtig war. Auch die Unterstützung der FAU (Schlafplätze, juristische Hilfe, Flyerdruck, sonstige finanzielle Unterstützung, Pressearbeit, Recherche etc.) wird häufig als sehr positiv bewertet. Negativ wird der verlorene Kampf vor Gericht eingeschätzt. Aber auch wenn die Klagen um den geprellten Lohn allesamt zu Ungunsten der Arbeiter*innen ausfielen, liegt mit dem Buch, neben einer gelungenen historischen Bestandsaufnahme und einer Dokumentation der Misere vieler Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt, reichlich Reflexionsmaterial für zukünftige Arbeitskämpfe vor.
Neben der Rekonstruktion und Bewertung der Ereignisse um die von den Protestierenden sogenannte „Mall of Shame“ unternehmen die Herausgeber*innen den Versuch, diese Ereignisse in andere Kämpfe und Formen widerständigen Handelns von Arbeiter*innen einzuordnen. So ist beispielsweise ein Interview mit dem mittlerweile wieder aus der Haft entlassenen rumänischen Arbeiter Daniel Neagu abgedruckt. Weil er keinen Lohn auf einer Baustelle erhalten hatte, setzte er sich in einen Bagger und riss kurzerhand mehrere Häuser, die er zuvor mitgebaut hatte, ein und filmte sich dabei. In zwei Beiträgen des Berliner Juristen Klaus Stähle werden zudem arbeitsrechtliche Fragen erläutert. Den Abschluss bildet ein Artikel der Sozialwissenschaftler Peter Birke und Felix Blum, die sich Fleischfabriken und Arbeitsmigration unter anderem im Oldenburger Münsterland widmen und dabei versuchen, einen Bogen zwischen Grenz- und Verwertungsregime zu schlagen und möglichen Widerstand dagegen auszuloten.
Internationale Solidarität
„Die Migration haben wir nicht in Rumänien erfunden. Sie besteht seit Jahrtausenden. Niemand verlässt sein Land, weil es ihm dort gut geht.“ (S. 26)
Auch Deutschland ist seit vielen Jahren ein Einwanderungsland. Die vorliegende Veröffentlichung lässt die Verschränkungen von kapitalistischer Ausbeutung und rassistischer Arbeitsmigration, sowie die Lebensrealität der davon Betroffenen deutlich werden. Dabei kommen die Kämpfenden selbst zu Wort. Und der Band kann als wertvolle Literatur für kommende Kämpfe gelten, denn Erfahrungen, die Menschen aus ihren Herkunftsländern mitbringen, sind auch gewerkschaftlich nicht zu unterschätzen. Dass im Kapitalismus die Taktik des Gegeneinander-Ausspielens – sowohl von Belegschaften als auch um Löhne und Sozialleistungen – angewendet wird, ist zwar keine neue Erkenntnis. Dennoch zeigt das Buch anschaulich, wie Klassenunterschiede zwar nicht sofort zu überwinden sind, aber Solidarität untereinander möglich ist. Denn nicht nur Solidarität auf der Straße wird gebraucht, sondern auch ein langer Atem, um die derzeitigen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen und Netze von Subunternehmen und Briefkastenfirmen zu durchschauen. Es gilt sowohl materielle und sozio-kulturelle Unterschiede als auch Sprachbarrieren zu überwinden. Die fragmentierte Situation von Arbeiter*innen und die vielen Wechsel der (Arbeits-)Orte erleichtern die Kämpfe nicht. Viele Probleme und Proteste geraten daher schnell in Vergessenheit. Denn obwohl die Zeit des Mall-of-Shame-Protests noch nicht lange her ist, können (oder wollen) sich viele Arbeiter nicht mehr genau an diese Zeit in Berlin erinnern, die unter anderem von Gewalt und Obdachlosigkeit geprägt war.
Die Kombination aus Interviews mit Arbeiter*innen und Analysen zu Migration und Arbeit veranschaulicht prekäre Arbeitsbedingungen von Migrant*innen. Die Herausgeber*innen wollen mit ihrem Buch nicht bloß dokumentieren, sondern sie versuchen, zu klären, wie eine Zukunftsperspektive aussehen und wie man wilde Streiks unterstützen kann.
Schließlich handelt es sich hier nicht um Einzelfälle, wie am genannten Einstiegsbeispiel der protestierenden Spargelstecher*innen klar wird. Dass hinter der Misere System steckt, macht die darauffolgende Entwicklung klar: Während der andauernden Corona-Pandemie stimmten inmitten der Spargel Erntesaison (ebenfalls im April 2021), auf Druck der Landwirtschaftsverbände und des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die Abgeordneten des Bundestags einer Ausweitung der sozialversicherungsfreien Zeit für Beschäftigte in der Saisonarbeit zu. Diese ist nun von 70 auf 102 Tage ausgedehnt worden. Das heißt auch, dass die unter diesen Voraussetzungen Beschäftigten in Zeiten einer lebensbedrohlichen Pandemie keine Krankenversicherung haben. So sind einer weiteren Benachteiligung von migrantischen Arbeiter*innen Tür und Tor geöffnet, denn sie sind diejenigen, die meistens den deutschen Spargel ernten. Ein Umdenken ist zwingend nötig, wenn das oft auf Demonstrationen geforderte Motto „Hoch die Internationale Solidarität“ Wirklichkeit werden soll, zum Beispiel indem gewerkschaftliche, syndikalistische und realpolitische Beratung, Unterstützung und Rechtsschutz für alle gleichermaßen gewährleistet und wilde Streiks sowie Arbeitsniederlegungen unterstützt werden.
„Direkte Aktion“ 28.4. 2021
Die nicht bezahlten Wanderarbeiter:innen der Mall of Shame
Sammelband über den Bau eines Berliner Luxuskaufhauses
Von: Caroline Königs – 28. April 2021
Im letzten Jahr wurde vermehrt die Frage nach den Arbeitsbedingungen von Wanderarbeiter:innen[1] gestellt: Wie kann es in Deutschland sein, dass Arbeiter:innen der Fleischindustrie zu dritt in kleinen Zimmern hausen müssen? Wieso wird in einem Land mit Bruttoinlandsprodukt in Billionenhöhe rumänischen Erntehelfer:innen ihr Lohn vorenthalten? Und wieso wurde im Herbst 2019 vor Gericht entschieden, dass die Bauarbeiter:innen der Mall of Shame für ihre Arbeit nicht bezahlt werden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Sammelband Mall of Shame. Kampf um Würde und Lohn von Hendrik Lackus und Olga Schell.
Weiterlesen„ak“ Nr. 670 v. 20.4.2021
Mall of Shame
Der Verlag Die Buchmacherei entpuppt sich als wichtigster Verlag für soziale Bewegungen in der Arbeitswelt. Das zeigt auch die neue Publikation »Mall of Shame« um den migrantisch geprägten und von der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) unterstützten Arbeitskampf an dem Berliner Einkaufszentrum Mall of Berlin. Der Sammelband wird von zwei im Konflikt als Übersetzer*innen Aktiven herausgegeben. Das macht den Band zum spannendsten Buch zum Thema Arbeitskonflikt seit Langem. Gut die Hälfte besteht aus Interviews mit den osteuropäischen Arbeitern, die den Konflikt getragen haben. Das ist so erfrischend wie aufschlussreich. Das Engagement der Basisgewerkschaft tritt bescheiden in den Hintergrund gegenüber der Perspektive jener, um die es geht. Da darf im Nachhinein ein solcher Kampf auch durchaus zu „verlorener Zeit“ erklärt werden, individuelle Rassismen, Differenzen und die Distanz zur Anarcho-Subkultur sind (auch in einem Interview mit Aktiven aus der FAU) Thema, vor allem aber auch die Lebensgeschichte und aktuelle Lage der Berichtenden. Chronologie und Aufsätze zur juristischen und gesellschaftlichen Einordnung des Kampfes sind eher Beiwerk zu den zentralen Gesprächen. Schmankerl: In einer Diskussion mit Karl-Heinz Roth vergleichen die Herausgeber*innen den aktuellen Kampf mit den »wilden« Streiks der frühen 197oer Jahre; auch diese vergleichende Perspektive ist überaus hilfreich für die Frage der Zukunft migrantisch geprägter Arbeitskämpfe.
Torsten Bewernitz
„Graswurzelrevolution“ 459, Mai 2021
Arbeitskampf als verlorene Zeit?
Wer pflückt unsere Erdbeeren? Wer erntet den Spargel“ Wer putzt, pflegt und bringt die Pakete? Je schlechter eine Arbeit, je Mieser bezahlt, desto stärker setzt die Branche migrantische Arbeit ein. Kapitalistische Logik: Menschen, die die Landessprache nicht sprechen; Menschen, die die Gesetze nicht kennen; Menschen, die Geld brauchen, weil sich in ihrer Heimat der Kapitalismus ohne soziale Maske zeigt, lassen sich leichter ausbeuten. Peter Nowak schreibt über die migrantische Arbeit in Deutschland und das System der Subunternehmen.
„Eingeflogen, ausgebeutet, infiziert“, lautete kürzlich die Überschrift eines Artikels in der Tageszeitung Neues Deutschland. Dort wurde an die Arbeitsbedingungen der ausländischen Erntehelfer*innen in Deutschland erinnert, die im letzten Jahr kurz im Fokus der medialen und politischen Aufmerksamkeit standen. Es war mitten im ersten Lockdown. Alle Grenzen waren geschlossen, aber Erntehelfer*innen aus Osteuropa durften mit einer Sondergenehmigung nach Deutschland kommen. Schließlich ging es darum, dass die Spargelernte im Kalender stand, und die ließ sich nun nicht verschieben. Ein Jahr später heißt es auf der Internetplattform agrarheute: „Die Corona-Pandemie hält Europa weiter fest im Griff. Dennoch brauchen die Landwirte wieder ausländische Saisonarbeitskräfte zur Ernte von Spargel, Erdbeeren und vielen anderen Kulturen.“ Erleichtert stellen die Landwirt*innen fest, dass mit Ausnahme einiger Virusvariantengebiete die Saisonarbeitskräfte ungehindert nach Deutschland einreisen können.
Weiterlesen„express“ 3-4 / 2021
Gegenseitige Hilfe in allen möglichen Bereichen
Das Buch zum »Mall of Shame«-Konflikt lässt die Arbeiter zu Wort kommen
Den meisten Leser:innen des express dürfte der Begriff »Mall of Shame« bekannt sein. Er steht für den Kampf um nicht ausgezahlte Löhne, den irregulär beschäftigte rumänische Arbeiter auf der Großbaustelle des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« ab November 2014 mit Unterstützung der syndikalistischen Basisgewerkschaft FAU Berlin führten und der ein Schlaglicht warf auf weit verbreitete illegale Beschäftigungspraktiken in der Bauindustrie. Dass Wanderarbeiter selbst für ihre Interessen kämpften – und eine breite Öffentlichkeit dafür geschaffen werden konnte – war angesichts ihrer prekären Lage keineswegs selbstverständlich.
Weiterlesen„Augustin“ v. 9. März 2021
Arbeitskampf auf der Baustelle
«Ich bin einer der sieben Arbeiter, die nicht akzeptieren wollten, erniedrigt und verraten zu werden.» So begann Elvis Iancu 2015 seine Protestrede vor der Baustelle einer glitzernden Shopping Mall in Berlin. Das Bauunternehmen hatte ihn um seinen Lohn geprellt. Zusammen mit sechs Kollegen, die alle in Rumänien angeworben worden waren, kämpfte Elvis Iancu bis 2019 um seinen Lohn. Unterstützt wurde die Gruppe von der linken Basisgewerkschaft FAU. Vergeblich: Als die Arbeiter vor Gericht Recht erhielten, flüchteten sich die Unternehmen in die Insolvenz. Heute trägt die Mall bei den Berliner_innen den Namen Mall of Shame – Kaufhaus der Schande. In dem gleichnamigen Buch dokumentieren Hendrik Lackus und Olga Schell nun den Arbeitskampf der rumänischen Wanderarbeiter. Im Mittelpunkt stehen Interviews mit Elvis Iancu und seinen Kollegen. Sie werden ergänzt durch Interviews mit FAU-Aktivist_innen und anderen Beteiligten. Eine ungewöhnliche Geschichte ohne «Happy End», die trotzdem Mut macht.
Henrik Lebuhn
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