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„express“ 12/2021

Über die Leerstelle von „Anger“ und „Action“

von Jonas Berhe

Schon der Titel lässt es erahnen: Der Frankfurter Gewerkschafts-Organizer, Theoretiker und Autor Slave Cubela lässt in seinem Buch »Anger, Hope – Action? Organizing und soziale Kämpfe im Zeitalter des Zorns« viel Platz für Emotionen und auch (Selbst-)Zweifel. Be­merkenswert, wenn man bedenkt, dass die hiesige Organizer-Szene sich in der vergan­genen Dekade eher für Antworten denn für noch mehr Fragen zu gewerkschaftlichen Heraus­forderungen interessierte.

Einleitend fragt sich Cubela anhand verschiedener zeithistorischer Momente, beispiels­weise von kollektiven Ausgrenzungserfahrungen in den französischen Vorstädten schon vor 30 Jahren, warum solche Erfahrungen zwar immer wieder zu Riots, aber nicht zu konsequenten größeren gesellschaftlichen Konfrontationen geführt haben. Mit anderen Worten also, warum Anger nicht konsequenterweise zu Action führt (daher das kritisch aufdringliche Fragezeichen im Titel), während die reine Organizing-Schule aber genau mit diesem politischen Dreisatz zur Mobilisierung der betrieblichen Massen rät: Also Anger ausmachen, Hope vermitteln und Action umsetzen. Cubela, selbst erfahrener und immens talentierter Organizer, verweist an diesem Punkt auf eine »wiederkehrende Leerstelle«, die er beobachtet. Zu dieser »Leerstelle« zwischen Anger und Action findet er in der gesamten, mittlerweile selbst im deutschsprachigen Raum recht vielfältigen Publikationswelt keine passende Antwort.

Lesenswert ist auch seine kritische Analyse von Jane McAleveys Organizing-Werk »Keine halben Sachen«. Seine sehr kritische Auseinandersetzung mit ihrem Verständnis vom Finden und Aufbauen von »Schlüsselpersonen«, ihrer fast schon apodiktischen Strategiegläubigkeit und ihrem Machtbegriff verweisen auf seine eigenen Organizing-Erkenntnisse, die deutlich weniger euphorisch ausfallen. Zudem kommentiert er wiederholt die bisweilen bleierne Kultur der Gewerkschaften hierzulande, die nur wenig Hoffnung mache. Cubelas Ausweg aus einer scheinbar verkürzten Organizing-Logik und zu viel importiertem missionarischen Eifer: eine grundlegende und vertiefte Debatte über die Erfolge und Misserfolge der gesamten Organizing-Erfahrungen der letzten Jahre. Eine solche Analyse, idealerweise nicht zu nah ausgerichtet an Gewerkschaftsstrukturen, könnte helfen, eher über politische Kontextua­lisierungen hierzulande nachzudenken und die Ergebnisse auch stärker mit linker Politik zu verknüpfen.

Während sich der erste Teil in die verschiedenen Diskurse rund um‘s Organizing vertieft, widmet sich der zweite Teil des Buches dem im Untertitel prägnant beschrie­benen »Zeitalter des Zorns« und dessen Rahmenbedingungen, die aktuell unsere Gesellschaften prägen. Diskursiv verweist der Titel auf das gleichnamige Buch des indischen Autors und Essayisten Pankaj Mishra. Die folgenden Analysen Cubelas schlagen einen weiten Bogen von Parallelen im Aufstieg rechter Gruppierungen im ehemaligen Jugoslawien und jenen in Thüringen bis hin zur Analyse einer sich immer stärker in Rassismus, Klassenhass und Verbreitung von Ressentiments gerierenden, neuen »rohen Bürgerlichkeit«. Angelehnt an den Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer formuliert Cubela im Artikel »Reich und asozial« die ausgrenzende Brutalität und den Angriff auf die bürgerliche Demokratie, der in vielen Ländern bewiesenermaßen von den einkommensstärksten Schichten ausgeht. Trump ist hier nur ein Beispiel unter vielen. Der zurecht dringlichen Analyse von Cubela lässt sich folgen, auch wenn sie hier und da etwas brachial ausfällt und die auf wenige Länder reduzierten Gegenbewegungen überraschend überschaubar zu sein scheinen. Hier irrt der Autor, auch wenn seine Zuspitzung dazu dient, sein Publikum aufzurütteln. Die von ihm als probates Gegenmittel gegen die »bürgerliche Herrschaft der Asozialität« für Deutschland ausgerufene Notwendigkeit einer neuen, klassenkämpferischen Linken wiederum ist, zumindest im größe­ren Maßstab, trotz entsprechender Debatten, leider noch nicht aufgetaucht.

Die Artikel wurden in Summe größtenteils in den vergangenen Jahren publiziert und sind daher zumeist vor dem Hintergrund einer teils dramatisch veränderten und in vielen Fällen zugespitzten politischen Kulisse »neu« zu lesen. Besser ist es tatsächlich selten geworden. Die Krankenversorgung kollabiert in vielen Ländern vor den pandemischen Herausforderungen und der Un­fähigkeit politischer Eliten. Verschwenderischer Konsum, katastrophale Klimaver­hältnisse, weiterhin an politischem Raum zugewinnende Rechte und eine schwächelnde Gewerkschaftsbewegung. Ja, wenig ist besser geworden. Der sich durch viele Passagen dieser lesenswerten Artikel schleichende Pessimismus, der wohltuend ohne linken Zynismus aus­kommt, ist in der Tat angebracht.

Gleichwohl ist Slave Cubela nicht ohne jede Hoffnung. Deutlich wird dies, wenn er für eine »klassenbasierte linke Gegen-Öffentlichkeit« wirbt, um einen adäquaten Umgang mit dem international grassierenden Populismus zu finden. Diesen sieht er in einer Medien- und somit auch Gesellschaftsanalyse und -kritik, die sich nicht permanent um die eigene, oftmals bürgerliche Selbstpositionierung dreht und damit Minderheiten ausgrenzt, sondern deren Perspektiven aufnimmt. Eine andere Welt ist also möglich.

* Jonas Berhe ist Aktivist und Organizer bei der IG Metall und hat u.a. als Leiter des Funktions­bereichs Gewerkschaftliche Bildung die Podcastreihe »Bildung in Bewegung« gestaltet.


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