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„Junge Welt“ 17.03.2009
100 Tonnen Uran „verschwunden“
Israel wurde zu Beginn der sechziger Jahre mehrfach mit dem gefährlichen
Stoff beliefert. Eine Recherche
Von Gaby Weber
Der UN-Report sei „alarmierend“ und könne schwere Folgen für die Obama-Administration zeitigen, wertete jüngst die New York Times (19.2.) einen neuen Ermittlungsstand in Sachen des iranischen Atomprogramms. Demnach soll die Regierung in Teheran eine Tonne leicht angereichertes Uran besitzen -statt der 600 Kilogramm, die sie offiziell angegeben hat. Anfang März legte der US-Generalstabschef Mike Mullen diesbezüglich nach: Der neue Fund belege, so behauptete der Admiral CNN gegenüber, daß „Iran genug Uran hat, um eine Atombombe zu bauen“ – eine bemerkenswerte Feststellung angesichts früherer Äußerungen seitens Washingtons.
„Weniger als zehn Tonnen Natururan“ seien „irrelevant“, erklärte einst die US-Regierung, als es um den Besitz von Uran durch Israel ging – eine Geschichte, die einige Zeit zurückliegt und im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme des israelischen Atomkraftwerks Dimona 1964stand. llgemein bekannt ist, daß sich der israelische Geheimdienst Mossad ab Ende der sechziger Jahre in Nacht-und-Nebel-Aktionen Uran „besorgt“ hatte -doch woher der erste Brennstoff für Dimona kam, haben die zuständigen Behörden bis heute nicht bekanntgegeben.
Wer die argentinische Atombehörde (CNEA) dazu fragt, erhält eine klare Antwort: „Wir haben drei Mal Uran an Israel geliefert“, so CNEA-Sprecher Roberto Ornstein Ende vergangenen Jahres. „Die erste Lieferung, fünf Tonnen, ging 1960 über Deutschland. Die zweite, zehn Tonnen, ging direkt nach Israel. Und die dritte Lieferung, 1963, ging ebenfalls direkt nach Israel, hundert Tonnen. Was die Israelis mit diesem Uran gemacht haben? Das wissen nur sie.“
Uran war nicht frei handelbar, sondern stand auf der CoCom-Liste, mit der den realsozialistischen Staaten Europas strategische Rohstoffe und Technologien vorenthalten werden sollten. In allen drei Fällen mußte die Regierung in Buenos Aires ein Dekret erlassen, um die gesetzlichen Einschränkungen zu umgehen. Diese drei Dekrete sind nicht geheim und können im
Nationalarchiv eingesehen und kopiert werden (sie können auch von der Homepage der
Autorin heruntergeladen werden; d.Red.).
Das erste Dekret – aus dem Jahr 1960 – verfügt den Export von sechs Tonnen Yellow Cake (Gemisch von Uranverbindungen) über einen Umweg: Der Stoff wurde zuerst an zwei deutsche Firmen geliefert, an die Metallgesellschaft und die Nukem, die kurz zuvor von der Degussa gegründet worden war. Die Degussa hatte übrigens während des Zweiten Weltkrieges nicht nur ZyklonB für die Vernichtungslager, sondern auch fünf Tonnen Uranmetall für Hitlers „Uran-Projekt“ produziert. 1962 exportierte Argentinien weitere zehn Tonnen Uran nach Israel.
Der US-Regierung waren diese Exporte bekannt. Dieses geht aus einem vertraulichen Memorandum vom 5. März 1962 hervor, das auf meinen Antrag hin Ende vergangenen Jahres vom Energieministerium in Washington freigegeben und mir überreicht wurden. Darin berichtet Mr. A. Wells, Abteilungsleiter für internationale Angelegenheiten, über die bis zu diesem Zeitpunkt von
Argentinien an Israel erfolgten Uranlieferungen. Dies sei dem US-Verbindungsoffizier von der argentinischen Regierung mitgeteilt worden.
Daß der Kaufvertrag keine Kontrollen über die Verwendung des Urans vorgesehen und daß die israelische Regierung ausdrücklich die Geheimhaltung dieses Geschäfts „gefordert“ habe, hatte die US-Regierung nicht zum Anlaß genommen, mißtrauisch zu werden oder gar „Alarm“ auszulösen. „Mengen unter zehn Tonnen“ – so das Memorandum – seien laut der internationalen und der US-amerikanischen Regelungen von solchen Kontrollen ausgenommen. Daß die sechs vorherigen Tonnen, die über deutsche Firmen liefen, am Ende in Israel gelandet waren, will man in Washington nicht gewußt haben.
Im Februar 1963 entschied die argentinische Regierung, ein drittes Mal konzentriertes Uran nach Israel zu schicken – diesmal einhundert Tonnen, ausreichend für den Bau von fast hundert Atombomben. Wenige Monate später, am 5. Juli 1963, schrieb Präsident John F. Kennedy an den israelischen Premierminister und bat um eine Inspektion des Dimona-Komplexes. Eine umfassende
Inspektion des Atomkraftwerkes in der Negev-Wüste hat die Regierung in Tel Aviv bis heute verweigert. Die über hundert Tonnen Uran aus Argentinien wurden nie gefunden. Sie sind bis heute verschwunden, und niemand schlug Alarm.
Und seit dem Attentat auf Kennedy im November 1963 scheint sich kein US-Präsident mehr um das israelische Atomprogramm zu sorgen.
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