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„Junge Welt“ vom 13. Mai 2016

Frauen mit eigenem Geld

Oral History: Ingrid Bauers Buch über die Arbeiterinnen der Zigarrenfabrik in Hallein bei Salzburg in neuer, erweiterter Ausgabe erschienen

Gisela Notz

Was Ingrid Bauer 1988 im Wiener Europa-Verlag veröffentlichte, war bis zu diesem Zeitpunkt einzigartig. Für ihr Buch »Tschikweiber haums uns g’nennt …« hatte die Historikerin zahlreiche ehemalige Arbeiterinnen der Zigarrenfabrik im österreichischen Hallein ausführlich zu ihren Lebensgeschichten interviewt. Der kleinen Berliner Buchmacherei ist zu danken, dass es jetzt wieder erhältlich ist – mit einer neuen Einleitung versehen. Zudem ist eine DVD beigelegt. Sie enthält einerseits das Textbuch und Szenenfotos zum Theaterstück »Tschikweiber« und zwei Dokumentarfilme über Agnes Primocic (1905–2007), Betriebsrätin in der Zigarrenfabrik, Kommunistin und Widerstandskämpferin.

Hallein ist eine kleine Stadt südlich von Salzburg. Die 1870 in Betrieb genommene Zigarrenfabrik war ein bürokratischer Staatsbetrieb. Bauers Arbeit entstand in einer Zeit, in der sich die Frauenforschung etablierte und in der die Historikerzunft die »Oral History« als Methode entdeckte. Ihr gelang damit ein Werk, in dem sowohl Frauengeschichte als auch Sozial-, Familien und Alltagsgeschichte umfassend rekonstruiert wird. »Arbeiterinnengeschichte, ist das Dein Ernst?« wurde sie ungläubig gefragt, als sie die Arbeit an dem Projekt aufnahm. Damals erschien der westlichen Geschichtsschreibung – von einigen Ausnahmen in der Frauenforschung der BRD abgesehen – der Alltag von Arbeiterinnen als zu banal, um sich damit wissenschaftlich zu befassen.

Doch Ingrid Bauer ließ sich nicht beirren, und es entstand ein Buch, das mit vielen Vorurteilen aufräumte, mit denen Fabrikarbeiterinnen teilweise noch heute konfrontiert sind. Sie schilderte auf der Basis der Gespräche mit den Frauen, wie diese selbst ihre betriebliche und außerbetriebliche Realität wahrnahmen und reflektierten. Dabei arbeitete sie die wohl wichtigste Erfahrung der gewerkschaftlich sehr gut organisierten und protestbereiten »Tschikweiber« – Tschik ist ein österreichischer Ausdruck für Zigarette – heraus: Solidarität.

Dennoch hat Bauer nichts glorifiziert: Die Halleiner Zigarrenfabrik war zwar ein »Frauenbetrieb«, doch alle wesentlichen Kontrollpositionen waren fest in Männerhand – vom Direktor bis hin zum Portier, der das Tor verschloss, wenn eine Arbeiterin zu spät kam. Die Autorin machte auch deutlich, dass Frauen billige und willige Arbeitskräfte waren. Sie kosteten wenig, auch wenn sie gegenüber den Hausfrauen privilegiert waren, weil sie regelmäßig eigenes, selbstverdientes Geld hatten – bei erträglichen Arbeitsbedingungen. Die 600 Frauen hätten in dem damals noch ländlichen Ort oft sogar mehr verdient als ihre Männer, sagte Bauer im Interview mit den Salzburger Nachrichten (21.11.2015) anlässlich der Neuauflage des Buches.

Aber nicht nur, weil sie für ein eigenes Haus sparen wollten, sind die Frauen »allesamt gerne in die Fabrik gegangen«. Sie tauschten sich über ihre Rechte, über Verhütung, Sexualität, Ehe- und Familienprobleme, Gewerkschaftsarbeit und sonntägliche (Fahrrad-)Ausflüge mit dem Arbeitersportverein aus.

Die Tschikweiber haben zwei Weltkriege, Weltwirtschaftskrise, Erwerbslosigkeit und Armut, die Herrschaft der Austrofaschisten und der Nazis erlebt. Sie erinnerten sich in den Gesprächen an ihren Streik gegen den sich in Österreich etablierenden Klerikalfaschismus am 12. Februar 1934, der eigentlich ein landesweiter Generalstreik werden sollte. Dass die anderen Halleiner Betriebe nicht wie sie streikten, verziehen sie den dort arbeitenden Männern nicht. Die Arbeiterinnen erlebten Repressionen und Entlassungen.

Viele versuchten gleichwohl, die »große Politik« aus ihrem Berufsalltag herauszuhalten. Etliche wurden aber außerhalb der Arbeitszeit illegal politisch aktiv – bis die Zigarrenfabrik 1939 an einen Rüstungsbetrieb verkauft wurde. Über ihr darauf folgendes Hausfrauendasein wollten die Arbeiterinnen Ingrid Bauer nicht viel erzählen. Sie hatten es sich ja nicht ausgesucht.


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