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Junge Welt vom 15.7.2014

Neun Monate Arbeitskampf
Neues Buch gibt einen Einblick in den langwierigen und teilweise chaotischen Streik bei Neupack in Hamburg

Neun Monate oder 281 Tage – so lange dauerte der Arbeitskampf beim Verpackungshersteller Neupack in Hamburg. Und nicht nur wegen der Länge war dieser Streik rekordverdächtig: Die zuständige Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hatte zuerst angekündigt, am tariflosen Familienunternehmen »ein Exempel statuieren« zu wollen – »koste es, was es wolle«. Der Vollstreik begann am 1. November 2012 – nach 85 Tagen wurden die Kollegen wieder an die Arbeit geschickt. Danach war offiziell von einem »Flexi-Streik« die Rede, aber praktisch wurde normal gearbeitet. Am Ende bekam die Belegschaft nicht den geforderten Tarifvertrag, sondern eine Betriebsvereinbarung mit wenigen Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen.

Dadurch war der Neupack-Streik nicht nur einer der längsten, sondern einer der umstrittensten Arbeitskämpfe der letzten Jahre in der Bundesrepublik. Ein Solidaritätskreis unterstützte die Arbeiter bis zum Ende des Streiks. Nun haben Mitglieder dieses Zusammenschlusses einen Überblick in Buchform zusammengestellt.

Der Betriebsratsvorsitzende Murat Günes bekam insgesamt sechs fristlose Kündigungen und eine Anzeige wegen Körperverletzung – alles später vor Gericht verworfen. Die Justiz erklärte die Einstellung von Streikbrechern für legal und schränkte gleichzeitig die Streikposten ein. Trotz alledem appellierte die IG BCE an die Vernunft der Familienunternehmer. Am 24. Januar 2013 wurden die Streikenden zurück in den Betrieb geschickt, denn Vertreter der IG BCE wollten eine »Deeskalation« des Konfliktes, um das Unternehmen »nicht in den Ruin« zu streiken.

So kritisiert das Buch eine »dogmatische Sozialpartnerschaft« der IG BCE, die sich »immer unterwürfiger« verhielt. Auch Versuche der Kollegen, öfter in der Innenstadt zu demonstrieren oder Kundgebungen vor den Großabnehmern abzuhalten, seien von der Gewerkschaft blockiert worden.

Das Buch ist eher eine Arbeit proletarischer Autodidakten. Man bekommt eine ziemlich chaotische Mischung aus Interviews, Flugblattexten, Artikeln und Analysen – aber der Streik selbst war mindestens genauso chaotisch. Hier gibt es viele Quellen, eine gute Grundlage für die anhaltende Diskussion über die Lehren des Streiks. So sei ein Erfolg, daß sich Kollegen aus der Türkei, Polen, dem ehemaligen Jugoslawien, Deutschland und weiteren Ländern zu einer Gewerkschaft zusammenschließen konnten, um der Willkür des Unternehmens einen Riegel vorzuschieben. »Murat hat alle miteinander bekannt gemacht«, so ein Kollege über die zehnjährige Vorbereitungsarbeit für den Streik.

Außerdem gab es eine beeindruckende Solidarität für die Streikenden: junge Antifaschisten beteiligten sich im Morgengrauen an Sitzblockaden. Fußballfans hielten Transparente im Stadion hoch. Aus vielen Betrieben kamen Solidaritätsbotschaften – sogar aus Argentinien.

Das Fazit der Verfasser fällt negativ aus: »Der Klassenkampf der Krügers hat die Sozialpartnerschaft der IG-BCE-Führung klar geschlagen.« Dabei sagte Günes noch, als die Streikenden wieder zur Arbeit mußten: »Wir haben die letzten 85 Tage gezeigt, daß die wahre Macht nicht bei den Kapitalisten, sondern bei den Arbeitern liegt.«

Doch ohne den Druck des Streiks war es eine Frage der Zeit, bis sie einen Kompromiß akzeptieren mußten. Das geschah schließlich im August 2013 mit der Betriebsvereinbarung. Im April dieses Jahres wurde Günes erneut zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt, seine Liste bekam eine absolute Mehrheit. Der Kampf geht also weiter – und das Buch dazu ging bereits nach einem Monat in die zweite Auflage.

Wladek Flakin


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