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„Junge Welt“ vom 21.07.2009

Kampferfahrungen in Nürnberg
Aktivisten des AEG-Streiks 2005/2006 schildern ihre Sicht der Dinge. Heftige Kritik an IG-Metall-Spitze

Der Kampf gegen Entlassungen und Betriebsschließungen wird in den Klassenauseinandersetzungen der kommenden Monate eine zentrale Rolle spielen. Umso wichtiger ist es, aus Konflikten, die in der Vergangenheit um diese Themen geführt wurden, zu lernen und die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen. Ein bedeutender Streik der jüngeren Vergangenheit – der formal für einen »Sozialtarifvertrag«, von vielen Beschäftigten aber für den Erhalt des Betriebs und ihrer Arbeitsplätze geführt wurde – ist der bei AEG in Nürnberg im Winter 2005/2006. In einem Buch ziehen Aktivisten und Unterstützer dieses Arbeitskampfs Bilanz.

Der Band besteht aus einer Sammlung von Eindrücken und Einschätzungen verschiedener Beteiligter, die zumeist in Interviewform festgehalten sind. Auch wenn keine einheitliche Bewertung vorgenommen wird, zieht sich ein Thema durch fast alle Beiträge: die Kritik an der IG-Metall-Spitze. Dies betrifft vor allem das Ergebnis und die Form, wie der wochenlange Arbeitskampf beendet wurde.

Verbittert äußert sich der Vertrauensmann Hüseyin. Über das Vertrauen der Beschäftigten in die IG Metall nach Beendigung des Streiks sagt er: »Das ist sehr gesunken. Wenn ich in unserem Bereich nachfrage, vertrauen die Leute jetzt keinem mehr von denen. (…) Viele haben ihre Mitgliedschaft gekündigt.« Detailliert beschreibt er das Vorgehen der Gewerkschafts- und Betriebsratsspitzen, das so gar nicht mit der von führenden IG-Metall-Funktionären propagierten »Beteiligungsorientierung« zusammenpaßt. Zum Beispiel heißt es zur Zusammensetzung der Tarifkommission: »Von den 35 waren 20 Leute Betriebsräte, sieben Vorarbeiter, fünf Meister, und der Rest waren wir Arbeiter. (…) Wenn man eine Tarifkommission bildet und mehr als 70 Prozent sind vom Betriebsrat ausgesucht, nur 30 Prozent von uns – was soll das sein?« Obwohl viele türkische, griechische und osteuropäische Kollegen Schwierigkeiten hatten, Deutsch zu verstehen, sei das Verhandlungsergebnis nicht übersetzt worden, berichtet Hüseyin. Mitgliedern der Tarifkommission, die bei der Auszählung der Urabstimmung dabeisein wollten, sei dies verwehrt worden. Hunderte Arbeiter, die sich nach dem Streikabbruch krank gemeldet hatten, seien nicht in die Abstimmung einbezogen worden. Zudem habe der örtliche Bevollmächtigte der IG Metall gedroht: »Ihr solltet alle ja sagen, wenn ihr nein sagen werdet, könnt ihr den Streik weiterführen ohne uns, wir stehen nicht hinter euch.« Hüseyins Fazit: »Wir haben den Funktionären vertraut. Die haben uns am Ende aber billig verkauft, Mann, wirklich billig.« Diese Erfahrung sollten andere Belegschaften, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen wollen, bedenken.

Herbert Wulf


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