Zurück zu allen Rezensionen zu Eine Geschichte der Novemberrevolution

„SoZ“, „Express“, „Scharf-Links“

was können wir von den revolutionären obleuten lernen?
mit seinem Buch „Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution“ hatte der junge Berliner Historiker Ralf Hoffrogge Richard Müller und die Revolutionären Obleute von Berlin aus dem historischen Vergessen hervorgeholt.

Dem kleinen Berliner Verlag ‚Die Buchmacherei‘ und ihm ist es auch zu verdanken, daß jetzt nach Jahrzehnten die drei Bände von Richard Müller, dem „Mann hinter der Novemberrevolution“ wieder aufgelegt wurden!

Im Mai 2009 luden wir Ralf Hoffrogge zu einem Jour Fixe nach Hamburg ein. An dem überaus informativen Abend erfuhren wir nicht nur, daß Müller weder für einen sozialen Kapitalismus noch für eine Einparteienherrschaft kämpfte sondern für ein Rätesystem, in dem die Arbeitenden selbst über Produktion und Politik bestimmten. Wir diskutierten, was zu lernen ist von den klandestin organisierten revolutionären Berliner Obleuten, die zwar meist in der USPD organisiert waren aber davon unabhängig ihr politisches Gewicht als Betriebsarbeiter bei der Organisierung in die Waagschale der Streiks und Kämpfe in Berlin warfen, weil sie das Vertrauen und die Aufopferungsbereitschaft ihrer KollegInnen hinter sich hatten.

Das Verdienst der revolutionären Obleute war der Zusammenschluß von KollegInnen, bei denen die Sache im Vordergrund stand, nämlich der wirksame gewerkschaftliche Kampf in den Betrieben, dann ab 1916 der Sturz des Systems. Nicht im Vordergrund stand ihre Gewerkschaftszugehörigkeit im Deutschen Metallarbeiterverband und die Mitgliedschaft in USPD oder Spartacus/KPD. Sie nutzten die Organisation für ihre Organisierung als revolutionäre Obleute, aber unterlagen nicht der Ideologie der Gewerkschaftsführer. Das kann und muß uns heute Vorbild sein, wenn wir fragen: Was können wir von den revolutionären Obleuten lernen? Richard Müller und seine Mitkämpfer organisierten sich, den Bedingungen während des 1. Weltkrieges gemäß klandestin als Widerstandsgruppen, um gegen die Politik der Gewerkschaftsführungen zu arbeiten, die nicht nur eine Burgfriedenspolitik sondern eine Unterstützung von Reichsregierung und Heeresleitung war. Unter heutigen Bedingungen müssen auch wir uns vernetzen, um gegen Sozialpartnerschaft, Co-Management und die Unterstützung von Gewerkschaftsapparaten und -führungen von weltweiten Bundeswehreinsätzen Widerstand leisten zu können.

Nach der gescheiterten Novemberrevolution trat Müller der KPD bei und wurde ihr Gewerkschaftsverantwortlicher. Er wandte sich gegen die abenteuerliche Politik der KPD-Zentrale, den gescheiterten Aufstandsversuch in Mitteldeutschland (Märzaktion 1921). Er ging in die Berliner Metallbetriebe und agitierte gegen die Märzaktion. Er hat dadurch das Blutvergießen vieler Berliner ArbeiterInnen verhindert. „… Jedoch stand Levi nicht allein da. Viele seiner Freunde, einige noch in führender Position, teilten seine Ansichten und vermerkten, Richard Müller, ehemaliger Funktionär der Revolutionären Obleute, sei auf dem Höhepunkt des Aufstandes von einem Berliner Betrieb zum anderen gezogen, um den Metallarbeitern davon abzuraten, sich dem Generalstreik anzuschließen“. (Werner T. Angress: Die Kampfzeit der KPD 1921­1923. S. 208. Droste 1973). Er hat dadurch das Blutvergießen vieler Berliner ArbeiterInnen verhindert. Auf dem III. Weltkongreß wurden Levi und er jedoch der Sabotage bezichtigt. Paul Levi (früherer KP-Vorsitzender), wurde aus der Partei ausgeschlossen, das Ausschlußverfahren gegen Klara Zetkin und sieben andere Parteiführer wurde in eine Verwarnung umgewandelt. Richard Müller wurde 1922 aus der KPD ausgeschlossen.

Die Bücher, auf die sich Hoffrogge in seinem 2008 herausgegebenen Band bezieht, ist die Trilogie „Vom Kaiserreich zur Republik“, die Müller 1924 und 1925 herausgab. Sie waren zwar als Raubdrucke gleich zu Beginn der Studentenbewegung neu aufgelegt worden und dann auch 1973-1974 vom Verlag Olle und Wolter und in so manchen Bücherschrank von Linksradikalen und gewerkschaftlich Interessierten gewandert aber in den Jahrzehnten danach so ziemlich in Vergessenheit geraten. Nur wer sich für die Kämpfe während des 1. Weltkrieges interessierte und während der Novemberrevolution, der stieß immer wieder auf die Rolle der Revolutionären Obleute und eben auf Richard Müller. Seine drei packend erzählten Bände sind Standardwerk und Geheimtip zugleich. Wer sie sich in den letzten Jahrzehnten kaufen wollte, mußte (antiquarisch) dafür 100 bis 150 Euro aufbringen. Die drei Bände sind jetzt von dem kleinen Berliner Verlag Die Buchmacherei in einem Band herausgegeben, für 19,90 Euro! Mit einem Vorwort von Ralf Hoffrogge.

Wer heute was über die Zeit damals lernen will, kauft sich mit dem Buch ein authentisches Werk. Wichtige historische Literatur über die Kämpfe der Arbeiterbewegung erscheinen nicht mehr in größeren Verlagen wie nach 1968 sondern durch mühevollen Einsatz in Kleinstverlagen. Unser Dank geht an die Buchmachererei (Berlin)!

Dieter Wegner
(Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg)


Zurück zu allen Rezensionen zu Eine Geschichte der Novemberrevolution