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„Sozialismus 5/2016

Frauen gemeinsam sind stark!

Der „Tschik“ ist in der österreichischen Mundart ein Zigarren- oder Zigarettenstummel. Und in Hallein, der Stadt, die nahe Salzburg liegt, da gab es Arbeit nicht nur für Menschen im Salzbergwerk, sondern von 1871 bis 1939 auch in der Zigarrenfabrik.

Im Jahre 1816 wird das Fürstbistum Salzburg Teil der Habsburger Monarchie und Hallein war plötzlich nur einer von vielen Orten, in denen Salz gefördert wurde. Um 1850 lebten in Hallein etwa 4.000 Einwohner, und die Arbeitslosigkeit samt Verelendung war groß. Wenn überhaupt, gab es Arbeit im staatlichen Salinenwesen oder im damit eng verbundenen Handwerk, etwa als Küfer, Holzknecht, Salzachschiffer.

Auch für Frauen gab es Arbeit: Im Bergbau als Essensträgerin. Im Sudhaus arbeiteten pro Schicht immer sechs bis acht Frauen an der Sudpfanne als Holzzieherinnen. Außerdem setzten sie als Radgeherinnen mit ihrer Körperkraft das Schöpfrad in Bewegung, mit dem die Sole aus dem Untergeschoss des Pfannhauses in die Sudpfannen geschöpft wurde. Als Salzhackerinnen zerkleinerten sie große Blöcke zu faustgroßen Brocken. Je drei Kufenheberinnen hoben den Trägern die Salzfässer auf die Schulter. Die Raiffantreiberinnen schließlich machten die Salzkufen versandfertig. Schon damals schlug der technische Fortschritt zu und die meisten Frauen verloren ihre Arbeitsplätze; als dann der Transport nicht mehr auf der Salzach, sondern ab 1871 per Eisenbahn erfolgte, wurde Hallein zur Bettelstadt.

Der Halleiner Gemeindevorstand schafft mit einer Petition („An Arbeitskräften dürfte es also nicht fehlen, zumal die hiesigen Arbeiter durchgehend keinen Grundbesitz haben, daher dieselben resp. ihre Familienmitglieder ihre Zeit und Kräfte ungestört diesem Industriezweige zuwenden können.“) die Betriebsansiedlung, die 1871 mit 215 Arbeiterinnen bezogen wird. Bis 1912 erhöht sich der Personalstand auf 510 Beschäftigte – zu 90 Prozent Frauen. Die alljährliche Produktion erreicht 27 Millionen Zigarren. Hauptsächlich werden die Marken Britannica, Trabucco, Kuba und Portorico gerollt. Pfeifentabak und „Nordtiroler Kautabak“ gehören ebenso zum Repertoire.

In den 1980er-Jahren hat die Historikerin Ingrid Bauer, erstmals unter gleichem Titel, ihre Dissertation veröffentlicht. Das Buch ist die wohl wichtigste Studie, ja eine Pionierleistung der Oral History in Österreich, und Leserinnen und Leser lernen im Dialog mit einer heute historischen, noch vor dem Ersten Weltkrieg geborenen Arbeiterinnen-Generation ein – allein wegen dieser Arbeit der Autorin – heute kaum noch rekonstruierbares eindrückliches Stück Frauengeschichte, Sozial- und Alltags­geschichte, Gewerkschafts- und Industriegeschichte kennen.

Wäre hier Platz, den man als Rezensent nie bekommt, wäre langes und großes Lob angesagt. Hier einige „Frauenstimmen“ aus dem Buch:

„Ja, die Zigarrenfabriklerinnen, die sind aber so gewesen. Damals war ja schon die große Arbeitslosenzeit (pfeift anerkennend). Durch dick und dünn sind die gegangen. Die haben ganz schön zusammengehalten.

Am 1. Mai (klopft anerkennend auf den Tisch) haben die alles organisiert: Die Aufmärsche und diese Sachen halt.
Und wenn irgendeine Teuerung eingetreten ist, dann hat ’s schon Alarm gegeben. Da ist schon aufmarschiert worden mit Kind und Kegel.“ (Chemiefabriksarbeiter, Jahrgang 1910)

„Auch das Brot ist alle Augenblicke teurer geworden: Einmal über Nacht und Nebel gleich um ein paar Gro­schen. Und dann ist abends um fünf – nach Arbeits­schluss – demonstriert worden; ja, Kind und Kegel sind marschiert durch die Stadt und haben demonstriert gegen die Teuerung. Das war ein schöner Haufen Leute!“

„Damals (d. i. in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts) sind ’s um uns recht froh gewesen, was die Geschäftsleute anbetrifft, weil wir ja noch etwas verdient haben. Damals war ja schon die große Arbeitslosenzeit. Da sind wir begehrt gewesen, weil wir noch etwas kaufen haben können.

Begehrt sind wir gewesen – bei der Männerwelt über­haupt. Alles waren ´s froh, wenn ´s eine erwischt haben, die noch ein paar Groschen heimgebracht hat. Weil ´s alle arbeitslos waren und weil die Männer – in der Zellulosefabrik und als Maurer – oft nur einen Schmarrn verdient haben. Die Zellulosler (Arbeiter in der Papierfabrik) waren ja damals ganz schundig (schlecht) bezahlt.

Ich bin froh, dass ich in die Fabrik gangen bin. Ich möcht heute nicht abhängig sein. Wenn man halt selber – auch wenn ´s wenig ist – ein paar Schilling hat, ist man unab­hängiger. Man tut sich halt doch leichter. Man kann sich besser rühren, wenn man selbst einen Verdienst hat. Man steht ganz anders auf den Füßen, wenn man nicht immer auf das Geld vom Mann angewiesen ist …“
(Zigarrenfabriksarbeiterin, Jahrgang 1902)

„Ja, alle wären gerne in die Zigarren­fabrik gegangen. Dort hat man wenigstens gut verdient für seine Arbeit. Und die Zigarrenfabriklerinnen haben etwas gegolten. ´Ja, die geht in die Zigarrenfabrik, das ist was anderes …´, hat es geheißen, wenn jemand vielleicht nicht so viel eingekauft hat. Ja, die Zigarrenfabriklerinnen haben sich ´s leisten können. Wir – bei uns hat ´s das nicht gegeben.“
(Zellulosefabriksarbeitersfrau, Jahrgang 1898)

Noch heute, fast achtzig Jahren nach Schließung der Fabrik, redet man über sie. „Die Zigarrenfabrik­lerinnen sind berühmt gewesen …“, heißt es immer noch. Die Bezeichnung „Tschikweiber“ hat ihnen der intensive Tabakgeruch eingetragen, der sich in ihrer Arbeitskleidung festsetzte und schon von weitem wahrzunehmen war, wenn sie zu Hunderten die Fabrik verließen.

In diesem Buch, neu aufgelegt von dem Berliner Verlag Die Buchmacherei, lernt man die selbstbewussten, gewerkschaftlich gut organisierten, protestbereiten und solidarisch agierenden Zigarren­arbeiterinnen kennen. Wer heute den Mund aufmacht und die Parole „Gleiche Arbeit – Gleicher Lohn!“ verkündet, gleichzeitig den Erfolg bejubelt, dass es nun „Quotenfrauen“ in Vorständen großer Firmen geben muss, der sollte dieses Buch lesen und sich schämen, dass wir noch immer in dieser Gesellschaft die Frauen – egal bei welcher Arbeit – schlechter bezahlen.

„Tschikweiber haums uns g’nennt …“ ist ein Buch über Frauen für Frauen und Männer. Über Erfahrungen in der Kindheit, die alltägliche Routine der Kargheit und wie Arbeiten von klein auf gelernt wurde. Über ihre Recht­losigkeit „im Dienst“, Leben und Überleben in der Provinz und erste Ausbruchsversuche. Über die begehrten, weil gut bezahlten Frauen-Arbeitsplätze in der staatlichen Zigarrenfabrik und die damit verbundene Hoffnung, endlich einmal zu jenen zu gehören, denen es besser geht. Über Arbeitsstolz, Solidarität und andere subversive Versuche, die Belastungen des Akkords zu unterlaufen.

Dies ist nicht nur ein regionales Fallbeispiel. Hier wird Grundsätzliches zu Frauenleben und Frauenarbeit dokumentiert: Zu Festlegungen und Spielräumen, Zwängen und Hoffnungen, Anpassung und Widerstand von Frauen/Arbeiterinnen, deren Lebensgeschichten verwoben sind mit den beiden Weltkriegen und der Zeit – des Hungers und der Trümmer – danach, mit Inflation, Weltwirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit der Zwischenkriegszeit, mit der Herrschaft der Austro-Faschisten und Nationalsozialisten.

Ein notwendiges Buch in diesen Zeiten, da Solidarität zum Fremdwort wurde und der Kampf, ein gutes Leben führen zu können, be- und verhindert wird. Die Gegenwart braucht dieses Buch!

Claus Armann

 

 


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