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„Strahlentelex“ 2009
„Ein abenteuerliches und bisher unbeachtetes Kapitel zur Geschichte der Kernenergienutzung und der Atomwaffen.“
Es ist unglaublich, wie lange Staatsgeheimnisse und insbesondere die Geheimnisse der Geheimdienste, der Militärs und – der Atommaffia – geheim bleiben können. Stückchen für Stückchen lässt sich erst seit wenigen Jahren eine ganz andere Geschichte der deutschen Atombombe rekonstruieren, als wir sie in den Geschichtsbüchern nachlesen können. Gabriele Weber gehört zu der nahezu ausgerotteten Spezies der investigativen Journalisten. Sie hat sich intensiv mit den schlimmsten Geheimdiensten der Welt befasst: mit der Stasi, dem CIA, dem russischen FSB, dem BND, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Mossad. Sie ist mehrfach vor Gericht gezogen, um Akteneinsicht zu bekommen – beim BND, beim BKA, beim Bundesamt für Verfassungsschutz und bei der Berliner Polizei.
Sie hat eine zweite Heimat in Argentinien und nervt auch dort – sie greift die korrupten und gewalttätigen argentinischen Gewerkschaften ebenso an wie die dortigen Untaten von Mercedes Benz. Ihr jüngstes Werk hat eine besondere Qualität. Gabi Weber legt erstmals ein Theaterstück vor, sie folgt in der Form großen Vorbildern: Dialoge waren im alten Griechenland sehr geschätzt, um philosophische Probleme kurzweilig und nachvollziehbar zu erläutern. Auch Galilei griff zu diesem überzeugenden pädagogischen Mittel. Es könnte sein, dass es Gabi Weber nicht nur um eine effektive Vermittlung komplizierter Zusammenhänge geht, sondern dass sie im Unterschied zu ihren bisherigen harten Recherchen in der Form des theatralischen Dialogs eine Möglichkeit sieht, sehr brisante Fakten als Kunstprodukt und damit schwerer formal angreifbar zu präsentieren. Worum geht es inhaltlich? Es ist bekannt, dass Israel spätestens seit 1967 Atommacht ist, also über eigene Atomwaffen verfügt. Israel hat wesentlich mehr Atomwaffen als Pakistan oder Indien. Seltsam ist, dass Israel (anders als etwa der Iran) bis heute nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet und sich nahezu vollständig der internationalen Kontrolle seiner kerntechnischen Anlagen verweigert hat, ohne dass ihm das ernsthafte Kritik der internationalen Staatengemeinschaft eingetragen hätte. Im Dämmerlicht liegt immer noch, wie Israel Atommacht werden konnte. Zeitweise gab es eine Zusammenarbeit mit Frankreich, Kennedy stand den israelischen Plänen eher ablehnend gegenüber. Unter der Decke half auch Großbritannien.
Gabi Weber hat in argentinischen Archiven Hinweise dafür gefunden, dass es auch gewichtige Unterstützung für die israelischen Atombomben aus Deutschland und Argentinien gab. Argentinien war schon vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein Zufluchtsort für viele Nazis, auch für viele deutsche Fachleute aus dem Bereich der Rüstungsforschung und -entwicklung und der Kernforschung bzw. Atomwaffenentwicklung. General Perón hat das sehr begrüßt und den Exodus deutscher Fachleute sogar aktiv befördert. Von der deutschen Regierung und gewichtigen Vertretern der Industrie wurde diese Entwicklung durchaus wohlwollend gesehen, konnte man doch in Argentinien an Themen weiterarbeiten, die in Deutschland nach dem Kriege tabu waren. Argentinien unterstützte Israel durch mehrere Lieferungen von Natururan, die deutschen Wissenschaftler im argentinischen Exil lieferten mehr know how. Eine besondere Pikanterie erhält diese Geschichte dadurch, dass Adolf Eichmann sich in den Nachkriegsjahren auch in Argentinien aufhielt. Er hatte einerseits Schwierigkeiten, dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen, verfügte andererseits aber über zahlreiche Kontakte zu den anderen Deutschen und auch zu den deutschen Wissenschaftlern. Er wusste von den geheimen Beziehungen zu Israel und ist im Ergebnis der Recherchen von Gabi Weber nicht vom Mossad wegen seiner Verbrechen in der Nazizeit entführt worden, sondern von einem kleinen auf Rüstungsprobleme spezialisierten israelischen Geheimdienst nach Israel gebracht worden, weil er – schwatzhaft war und die Gefahr bestand, dass er über die atomaren Beziehungen zwischen Argentinien, Deutschland und Israel an unpassender Stelle plaudern würde. Es überrascht nicht wirklich, dass das Bundeskanzleramt zwar eine Eichmann-Akte über die Zeit vor seiner Verhaftung in Israel hat, sie aber bis mindestens 2017 geheim halten will. Gabi Weber verklagte den BND wegen der Geheimhaltung von Erkenntnissen über einen Massenmörder und der lapidaren Begründung, der BND müsse seine Methoden und Quellen schützen. Gabi Webers Büchlein ergänzt ein abenteuerliches und bisher unbeachtetes Kapitel zur Geschichte der Kernenergienutzung und der Atomwaffen.
Sebastian Pflugbeil
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