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„Streifzüge“ 56 Herbst 2012

Lesenswert und inspirierend

Die Central Cooperativa de Servicios Sociales del Estado Lara (Cecosesola) ist ein Genossenschaftsverband in der Region der Millionenstadt Barquesimeto in Venezuela. 1967 gegründet umfasst er heute über 50 Kooperativen mit 20.000 Mitgliedern. Diese sind, ursprünglich ausgehend von einem Beerdigungsinstitut, nunmehr auch in der Produktion von Nahrung, im Transportwesen und in der Gesundheitsversorgung tätig sind und versorgen ein Viertel der Stadtbevölkerung in drei eigenen Wochenmärkten mit Lebensmitteln.
Die Organisation ist debürokratisiert worden, sie ist heute schlicht jenseitig: Es gibt keine Hierarchie, man klärt und entscheidet alles in Versammlungen ohne Leitung und Tagesordnung. Am Ende wissen die Teilnehmer, wie sie im Einverständnis aller die anstehenden Aufgaben angehen – „kollektives Gehirn“ heißt das.
Die drei längsten Beiträge haben keine Autorennamen, sie „sind Ergebnis einer kollektiven Diskussion, mit der hunderte ArbeiterInnen ihren Arbeitsalltag analysieren und verändern“. Man sieht sich nicht als Modell; wie konkrete Menschen zu freundlichen und solidarischen Beziehungen finden, ist weder planbar noch kopierbar.
Der Focus liegt nicht auf dem Kampf mit der dominanten kapitalistisch-staatlichen Umwelt – dem sucht man wo geht auszuweichen. Er liegt auf der Entwicklung und Ausdehnung der autonomen Räume, die man sich schafft: physisch-materielle und geistig-psychische. So wie die Menschen drauf sind, haben sie die herrschende Gesellschaft in sich. Selbst-Änderung und die der äußeren Strukturen sind untrennbar. Mit Staat und Politik muss man rechnen, nicht sich mit ihnen einlassen. Auch wenn Chavez bessere Möglichkeiten bietet. Man ist auf einem langen Weg. Den Ort, wo sich der mit Occupy und Revolten kreuzt, sucht John Holloway im Nachwort jedoch m.E. an der falschen Stelle.
Bei Amazon ist das Buch nicht zu haben. Umso lesenswerter. Und inspirierend.

Lorenz Glatz


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