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Wildcat 94, Frühjahr 2013
„Lassen wir uns von den Pierburg-ArbeiterInnen inspirieren! „
In der BRD gab es im Gefolge der 68er Revolte zwei historische Streikwellen: Die Septemberstreiks 1969 und die Flut an militanten Kämpfen der migrantischen und größtenteils weiblichen Massenarbeiter im Jahr 1973. Im August 1973 befanden sich 70 000 MetallarbeiterInnen im Streik. Im Zentrum standen dabei die ArbeiterInnen der Autoindustrie, die in Bochum, Köln und Mannheim ( John Deere) streikten. Einer der schlagkräftigsten Kämpfe in dieser Situation war der einwöchige Streik der 2000 ArbeiterInnen der Neusser Vergaserfabrik »Auto- und Luftfahrt-Gerätebau KG A. Pierburg«, »allen voran [die] 900 Griechinnen, 500 Türkinnen, 200 Italienerinnen, Spanierinnen und Jugoslawinnen«.(S. 15) Nachdem sie sich drei Jahre zuvor aus der untersten Lohngruppe 1 heraus kämpften, gelang ihnen unter der Parole »Eine Mark mehr!« die Abschaffung der Lohngruppe 2 und damit Stundenlohnerhöhungen von 53 bis 65 Pfennig. Das Buch von Dieter Braeg, beim Streik aktiver Betriebsrat und seit jeher Gewerkschaftsaktivist in der IG Metall, dokumentiert Beiträge aus der unmittelbaren Zeit nach dem Streik, die schon in anderen Schriften veröffentlicht wurden. Neu sind nur die Einleitung von Peter Birke und ein Beitrag der damaligen Jugendvertreterin in der Fabrik. Braeg will mit dieser (Wieder-)Veröffentlichung vorschlagen, »eine Diskussion über jene Demokratie zu führen, die endlich nicht an den Betriebstoren enden, sondern gesellschaftsverändernd in die Betriebe zurückkehren muss.« (S. 9) Das gelingt nur ansatzweise. Erstens ist es mehr als schade, dass keine einzige streikende Arbeiterin selbst zu Wort kommt (außer in vereinzelten Zitaten; der auf dvd beiliegende Film ist in der Hinsicht viel besser und zu empfehlen). Zweitens, weil Braeg nur schwer aus der Rolle eines mit Funktionärsarbeit überschütteten Organisators heraustreten kann (siehe sein Tagebuch, S. 79ff ) – obwohl er selber sehr klar über die »Abschaffung der Arbeit« nachdenkt.(S. 118f ) Dieses Organisieren der Organisation verhindert, über die offensichtlichen Grenzen der institutionellen Strukturen der Arbeitervertretung hinauszutreten. Aber genau das haben die Arbeiterinnen getan! So ist seine Beschreibung der gewerkschaftlichen Strategie zwar sympathisch. »Es gehört mit zur Planung und Strategie [der Gewerkschaft/des br], …dass sich der Arbeitgeber rechtsbrecherisch verhält. Man muss ihm nachsagen können, dass er tarifvertragliche oder gesetzliche Bestimmungen missachtet«.(S. 45) Sie bleibt aber oberflächlich. Die tägliche Ausbeutung in der Produktion, der ungleiche Tausch zwischen Kapitalist und Arbeiter, der länger arbeitet, als für ihn notwendig, verstößt bekanntlich gegen kein Gesetz. Es war weniger der kämpferische Betriebsrat in Neuss, der sich zweifellos besonders schlau auf dem feindlichen Terrain des Rechts bewegt hat, sondern die kollektive Macht der weiblichen Massenarbeiter, die ihre deutschen Facharbeiterkollegen mitreißen konnten, was den Streik so effektiv machte. Genau darauf müssen wir hinweisen, wenn wir »gesellschaftsverändernd in die Betriebe zurückkehren« wollen, aber Braeg und auch Birke binden von heute aus den Kampf wieder in die gewerkschaftliche Logik ein. Unglaublich ärgerlich! Heute gibt es zwar keine (Frauen-)Lohngruppe 2 mehr, aber nach wie vor sind uns »viele der Punkte, die 1973 auf der Tagesordnung standen, leider allzu bekannt … die Niedriglohngruppen haben sich mittlerweile in einen veritablen Niedriglohnsektor verwandelt.« (Birke, S. 14) Und gerade dabei haben die Gewerkschaften und Betriebsräte dem Kapital assistiert. Höchste Zeit also, den Pierburg-Frauen, »die [1973] noch immer nach den Prinzipien von Ford und Taylor ausgebeutet wurden« (S. 7), in ihrem Kampf zu folgen, die Spaltungen im Betrieb in den Blick zu nehmen und Mut zu fassen. Wir ArbeiterInnen [werden 2013] »noch immer nach den Prinzipien von Ford und Taylor ausgebeutet« – lassen wir uns von den Pierburg-ArbeiterInnen inspirieren!
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