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Wir Frauen – das feministische Blatt / 4.2013

Einen wichtiger Streik aus der Vergessenheit geholt

Im August 1973 befanden sich 70.000 Metall­arbeiterinnen im Streik. Im Zentrum standen dabei die Arbeiterinnen der Autoindustrie, die in Bochum, Köln und Mannheim streikten. Einer der schlagkräftigsten Kämpfe in dieser Situation war der einwöchige Streik der 2.000 Arbeiterinnen der Neusser Vergaserfabrik „Auto- und Luftfahrt-Gerätebau KG A. Pierburg“. Nachdem sie sich drei Jahre zuvor aus der untersten Lohngruppe 1 herauskämpften, gelang ihnen unter der Parole „Eine Mark mehr!“ die Abschaffung der Lohngruppe 2, das waren damals 4,70 DM pro Stunde, und damit Stundenlohnerhöhungen von 53 bis 65 Pfennig.

Die Filmemacherinnen Edith Schmidt (geboren 1937) und David Wittenberg (geboren 1940) begleiteten die Demonstrationen gegen Lohndis­kriminierung in Neuss. Die Firma Alfred Pier-burg AG stellte Mitte der 1970er Jahre Vergaser und Kraftstoffpumpen für die westdeutsche Automobilindustrie her. Von insgesamt 3.800 Beschäftigten waren ungefähr siebzig Prozent Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter aus sechs Nationen, wobei Frauen weit in der Mehrzahl waren. Sie setzten sich gegen die unterschiedliche Bezahlung für Männer und Frauen zur Wehr und forderten „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ und „Eine Mark mehr“ pro Stunde für alle. Auch traten sie insgesamt für bessere Arbeitsbedingungen ein. In dem Film berichten sie auch von miserablen Wohnbedingungen in den werkseigenen Zimmern. Nach und nach wurden die Arbeiterinnen auch von ihren deutschen (und) männlichen Kollegen voll unterstützt.

Der Streik von Pierburg gilt auch deshalb als legendär, da er in erster Linie von Migrantinnen initiiert wurde und erfolgreich war, die erstmals abgeschaffte Leichtlohngruppe II wurde nicht wieder eingeführt. Außerdem wurde trotz Arbeitsprozessen niemand entlassen und darüber hinaus auch noch die Tarifpolitik der Gewerkschaften in Frage gestellt. Die Filmemacherin Edith Schmidt und der Filmemacher David Wittenberg haben „Pierburg: Ihr Kampf ist unser Kampf“ ohne Sendeanstalt und ohne Verbindung zu politischen Gruppen gedreht. Er ist in enger Absprache mit den Streikenden entstanden und wurde als Öffentlichkeitsarbeit für und mit der Belegschaft und dem Betriebsrat produziert. Er war in erster Linie für Diskussionen, Veranstaltungen und überregionale Betriebsarbeit gedacht. Im Fernsehen wurde er nie gezeigt, er lief allerdings auf zahlreichen Solidaritätsveranstaltungen.

Dieter Braeg, beim Streik aktiver Betriebsrat und seit über 50 Jahren Mitglied der IG Metall, dokumentiert in dem 2012 veröffentlichten Buch „Wilder Streik — Das ist Revolution“ Beiträge aus der unmittelbaren Zeit nach dem Streik und hat somit einen wichtigen Streik aus der Vergessenheit geholt. Auch der Film von Schmidt und Wittenberg ist in überarbeiteter Fassung als DVD beigefügt. Braeg beschreibt — unabsichtlich? —, wie die Arbeiterinnen über die offensichtlichen Grenzen der institutionellen Strukturen der Arbeiterinnenvertretung hinaustreten. So schreibt Wildtat 94 im Frühjahr 2013: „Es war weniger der kämpferische Betriebsrat in Neuss, der sich zweifellos besonders schlau auf dem feindlichen Terrain des Rechts bewegt hat, sondern die kollektive Macht der weiblichen Massenarbeiter, die ihre deutschen Facharbeiterkollegen mitreißen konnten, was den Streik so effektiv machte. Genau darauf müssen wir hinweisen, wenn wir »gesellschaftsverändernd in die Betriebe zurückkehren« wollen.“

Heute heißt die (Frauen-)Lohngruppe 2 „Niedriglohnsektor“ — Gewerkschaften und viele Betriebsrätinnen haben dabei kaum Widerstand geleistet.

Gabriele Bischoff


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