Zurück zu allen Rezensionen zu 9 Monate Streik bei Neupack
Zeitung Express, Heft 07-08 / 2014
„Gut in Form“?
Die „Neupack Verpackungen GmbH & Co KG“ wirbt mit dem Slogan „NEUPACK Verpackungen immer gut in Form!“, sie ist im Jahre 1959 gegründet worden. Der Betrieb bietet an und liefert heute Verpackungslösungen für die Feinkost-Industrie, die Molkerei-Industrie und den professionellen Servicebereich. Es sind tiefgezogene Kunststoffverpackungen, die erzeugt werden und der eigene Werkzeugbau der Firma kann entsprechende Formen für fast alles, was so aus Kunststoff hergestellt werden kann, entwickeln. An zwei Standorten (Hamburg-Stellingen und Rotenburg) waren 2012 im Oktober 191 Männer und Frauen beschäftigt, 30 davon Angestellte. Seit Gründung ist der Betrieb im Besitz der Familie Krüger. Die Geschäftsführer sind zurzeit Jens Krüger, Lars Krüger, Arne Höck. Seit der Firmengründung gab es in diesem Betrieb keinen Tarifvertrag. Die von vielen Unternehmern so geliebte „Nasenprämie“ samt dem „Herr-im-Hause-Standpunkt“ feierte fröhliche Urständ. Urlaub legten die Chefs fest, und in den letzten zehn Jahren gab es keine Lohnerhöhungen. Das Prinzip „gleiche Arbeit – gleicher Lohn“ kam nicht zur Anwendung. Neupack war und ist ein Musterbeispiel jener Unternehmerpolitik, die geltende Gesetze – ob nun Betriebsverfassung, Arbeitszeitregelung und andere Bestimmungen zum Schutze der abhängig Beschäftigten anzuwenden wären – umgehen. Die Leistungen der abhängig Beschäftigten lohnten sich also höchstens für die Betriebsbesitzer. Dass in Deutschland in 43 % der Betriebe kein Tarifvertrag bestimmt, wie abhängig Beschäftigte zu bezahlen sind, macht deutlich, wie gering diese Gesellschaft den Verkauf der Arbeitskraft bewertet. Das wird sich durch einen Mindestlohn nicht ändern, dessen jetzige verabschiedete Version viel zu viele Ausnahmen und Ungerechtigkeiten bei der Bezahlung von Arbeit zulässt.
In der Reihe „Soziale Kämpfe“ der Berliner BUCHMACHEREI(www.diebuchmacherei.de) ist der neun Monate lange Arbeitskampf (1.11.2012 bis 9.8. 2013) von Mitgliedern des den Arbeitskampf begleitenden Solidaritäts-Arbeitskreises soeben als Buch unter dem Titel „9 Monate Streik bei Neupack“ erschienen.
In insgesamt 19 Kapiteln (Einleitung / Der lange und schwierige Weg zum Streik bei Neupack / Interview vom 2. Streiktag aus Rotenburg / Über Gutsherren und schöne neue Arbeitswelt / Zwischen Selbstermächtigung und Sozialpartnerschaft / „Flexi-Verarschung“ und „vergiftete Geschenke“ statt Flexi-Streik / Exkurs Sozialpartnerschaft / Die Bedeutung des Soli-Kreises im Neupack-Streik / Zum Streikrecht in Deutschland / Konkrete Erfahrungen bei Neupack / „Die Krügers“ / Interview am 30.7.2013 mit zwei aktiven Streikenden / Ergebnisse des Streiks / Interview mit Murat Günes im April 2014 / Chronologie und Dokumente / Zeittafel: Vorbereitung bis zum 31.10. 2012 / Zeittafel: Vom 1.11. 2012 bis zum 24.1.2013 / Zeittafel: Vom 25.1.2013 bis zum Abschluss / Anhang ) ist dieser lange Arbeitskampf von einem Unterstützerkreis veröffentlicht worden.
Berichte über diese Auseinandersetzung gab es allerdings keine in den bürgerlichen Medien, sondern nur einige Artikel im „Neuen Deutschland“ und in der „Jungen Welt“. Bei „Labournet“ allerdings wurde dieser Konflikt sehr ausführlich dargestellt und bei „You Tube“ gibt es einige, leider viel zu wenig besuchte Filmberichte zum Neupack-Kampf.
Neupack wurde zu einem Versuchslabor des Kapitals. Tarifvertragsablehnung, gezielte Provokationen, um dann per Arbeitsgericht ein Streikverbot zu erreichen. Das, was da bei Neupack ablief und abläuft, ist keine Ausnahme. Kleinere und mittelständische Unternehmen müssen „wettbewerbsfähiger“ werden. Löhne werden gedrückt, Gleichbehandlung verweigert und jeder Versuch des Protests oder Widerstands wird mit allen Mitteln, auch unfairen (Einsatz von „Leiharbeits“-Streikbrechern), erbittert bekämpft. Man muss sich wundern, dass die IG BCE, die zunächst vollmundig ankündigte, die Krügers (Besitzer des Betriebs) in die Knie zu zwingen, irgendwann verharmlosend feststellte, es herrsche „unternehmerische Unvernunft“.
Auf fast zweihundert Seiten werden, sehr lesbar und nie langweilig, Mut, Kampfkraft aber auch demütigende Momente geschildert und dokumentiert. Wer heute in einem kleineren oder mittleren Betrieb Widerstand gegen die immer größer werdende Willkür der Produktionsmittelbesitzer entwickeln will, dem wird hier Informationsmaterial zur Verfügung gestellt, mit dem man lernt, beim Streik Fehler zu vermeiden. Dabei hilft nicht nur der Text „Zum Streikrecht in Deutschland“ von Erik Alfredsson. Es geht um die „Friedenspflicht“ und eine Rechtsprechung, die betriebliche Arbeitsniederlegungen ohne Teilnahme einer Gewerkschaft gefährlich werden lässt, weil die Unternehmer die Streikenden schadenersatzpflichtig machen können.
Die IG BCE, mit einer langen sozialpartnerschaftlichen Tradition, die Jahrzehnte ohne Streik die Interessen der organisierten abhängig Beschäftigten vertrat und vertritt, hat bei Neupack ihre Forderung nach einem Tarifvertrag nicht durchgesetzt. Es klingt wie Hohn, wenn der IG BCE-Funktionär Becker dann im Streik in einem Info der IG BCE vom 26.6. schreibt: „Damit bricht für die Arbeitnehmer eine neue Zeit bei Neupack an. Nach nun sieben Monaten des wohl längsten und härtesten Arbeitskampfes der jüngeren deutschen Geschichte kann ich sagen: Der Kampf hat sich gelohnt“.
Mehr als eine Betriebsvereinbarung wurde es zum Schluss nicht, und die da erzielten Ergebnisse geben kaum Anlass, vor allem nicht bei der IG BCE, zu jubeln. Das dokumentiert auch der in diesem Buch abgedruckte Brief eines empörten türkischen Kollegen an Ralf Becker (Hauptvorstand der IG BCE), der in 21 Punkten beißende Kritik übt und mit folgenden Sätzen endet:
„Wir haben mit dem Flexi-Streik des Kollegen Becker nur Spott und Hohn der Krügers und der Streikbrecher geerntet, und die Krügers haben volle Lager bekommen. Ein toller Streik, Kollege Becker! Du verdienst die Hochachtung der Krügers und Co. und unsere Verachtung für deine Sozialpartnerschaft! Mehr möchte ich dir nicht sagen, du bist eine große Schande für die Gewerkschaftsbewegung!“
Eine ganz ekelhafte Entgleisung muss erwähnt werden; auch sie ist in diesem Buch dokumentiert. Nach sechs Monaten Arbeitskampf bei Neupack stellte der Vorsitzende der IG BCE, Michael Vassiliadis, in seinem Bericht vor dem Beirat am 24.4.2014 unter anderem fest: „Ein anderes Phänomen, das uns rund um Neupack begegnet, kennen wir allerdings auch schon aus der Geschichte der Arbeiterbewegung. Das sind die sektiererischen und ideologischen Gruppen, die ihr eigenes übles Süppchen in solchen Konflikten kochen. Da wird versucht, Belegschaft und Gewerkschaft zu spalten. Da wird versucht, aus dem Arbeitskampf einen Klassenkampf zu machen, der nur mit dem vollständigen Sieg oder der heroischen Niederlage enden kann – ohne Rücksicht auf die Leute, die man genauso verantwortungslos für die eigenen Zwecke missbraucht, wie das auch die Neupack-Bosse nicht anders tun. Weil unsere Kollegen aus der Streikleitung auf wirklich boshafte Weise lügnerisch und persönlich angegriffen und verunglimpft werden, weil die genannte Szene schon dabei ist, eine Verratslegende zu verbreiten, weil versucht wird, Neupack zu nutzen, um unsere Politik insgesamt zu diskreditieren, ist es erforderlich, dazu in aller Klarheit Position zu beziehen. Deshalb sage ich: Weder lassen wir uns von diesen Sektierern treiben, noch haben wir vergessen, was sie in der Geschichte der Arbeiterbewegung und auch in den Diktaturen des sogenannten real existierenden Sozialismus angerichtet haben.“
Dieses „Kommunisten-schüren-den-Streik“, es taucht immer wieder auf, um berechtigte Forderungen von ausgebeuteten Belegschaften zu diskreditieren. Normal kommt dies aus Unternehmer-Mündern , dass auch Gewerkschaftsvorsitzende eine ähnliche Denke und Ideologie entwickeln, erschüttert.
Murat Günes, der im Jahre 1995 als Leiharbeiter bei Neupack anfing, später dort Betriebsratsvorsitzender wurde, spielte und spielt eine entscheidende Rolle in dieser Auseinandersetzung. Dass er dabei immer wieder den Drohungen fristloser Entlassung ausgesetzt war und wahrscheinlich auch weiter sein wird, gehört heute anscheinend zu jenen Strategien, mit denen man in vielen Betrieben eine konsequente Interessenvertretung ver- und behindern will. Es ist gut, dass bei der Betriebsratswahl 2014 seine Liste wieder eine Mehrheit von 4 zu 3 Sitzen erreicht hat.
Diesem Buch wünscht man viele Leserinnen und Leser. Es ist ein Lehrbuch nicht nur für die Verlierer des Kampfes, die Belegschaft, sondern auch für die engagierte und interessierte Gewerkschafts-Öffentlichkeit, die begreifen muss, dass der Streik ein Grundrecht all jener ist, die ihre Arbeitskraft verkaufen, und dieses Grundrechts nicht beraubt werden dürfen, das auch nicht ausgehebelt werden darf durch „rechtliche“ oder gewerkschaftliche Strategien.
Dieter Braeg
Zurück zu allen Rezensionen zu 9 Monate Streik bei Neupack