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barrikade # 6 – November 2011
Streitschrift für Anarchosyndikalismus, Unionismus und revolutionären Syndikalismus, Hamburg
„mit Herzblut, voll Wut, ätzend sarkastisch“
I.
So alle fünf bis zehn Jahre muß die Geschichte neu erzählt werden, weil eine neue Generation auf die Bühne tritt, die sich das Wissen erstmal aneignen muß. Der Aufstand der Matrosen von Kronstadt, der sich am 28. Februar dieses Jahres zum 90. Mal jährte, gehört zu den grundlegenden Erfahrungen der undogmatischen, anti-autoritären Linken mit Lenin und den Seinen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeigte sich klar und deutlich, daß der Bolschewismus unter der Firma »Sowjetmacht« und »Diktatur des Proletariats« einen gigantischen Etikettenschwindel betrieb, der die Diktatur der Partei bemäntelte. Der Aufstand ist ein ewiger Stachel im Fleisch der lenistischen Linken. Aus den»Sturmvögeln der Revolution« von 1917 wurden, gemäß der bolschewistischen Legende, in knapp vier Jahren Agenten des internationalen Kapitals, geführt durch weißgardistische Generäle. Darin waren sich die beiden Erzfeinde Trotzki und Stalin einig, und ihre Apologeten sind es bis heute noch. Das vorliegende Buch zeigt, daß es nicht so war.
II.
Gietingers Schrift über die »Kommune von Kronstadt« ist die überarbeitete und aktualisierte
Fassung einer Artikelserie, die 1997 in der jungen Welt (jW) erschien. In sieben Kapiteln analysiert er den »Krieg der Bolschewiki gegen die Russischen Revolution«, stellt die »Matrosen von Kronstadt, Avantgarde der Revolution« vor, beschreibt die politische und ökonomische Situation am Vorabend der Revolte, den Aufstand, die Maßnahmen der Bolschewistischen Machthaber gegen das rebellierende Kronstadt, das Verhalten der (russischen und europäischen) Linken und die Rache der Sieger an den Kronstadter Rebellen.
Gietinger schreibt mit Herzblut, voll Wut, ätzend sarkastisch – kein abwägendes ‚sowohl als auch‘, sondern klar Partei ergreifend für die »Dritte Revolution«, die sich die Kronstadter auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Und er schreibt gut. Wer will, kann dies selbst anhand seiner Belege nachvollziehen. Daß es offenbar Leute gibt, die dies nicht wollen, offenbaren einige Leserbriefe, die 1997 während des Abdrucks der ersten Fassung dieser Schrift an die jW gingen, und die auch im Buch wiedergegeben werden.
III.
Im Anhang sind zwei Artikel, die auch 1997 erstmals erschienen sind: ein Verriß des »Schwarzbuch des Kommunismus« (der in diesem Zusammenhang etwas deplaciert wirkt) sowie ein längerer Text mit dem Titel »Das Mißverständnis. Über den Volkstümler Marx, die Liebe der Bolschewiki zum Land und die ursprüngliche sozialistische Akkumulation«. Letzterer ist eine Vertiefung des Abschnittes über den »Krieg der Bolschewiki gegen die russische Revolution«, in dem Gietinger en passant noch den ‚orthodoxen Marxisten‘ Lenin mit Marx theoretisch erledigt. Er nimmt damitübrigens eine Diskussion wieder auf, die 1974 Rudi
Dutschke mit seinem »Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen« (1), angestoßen hatte, die seinerzeit zu einem wütenden Aufheulen in der – damals in der BRD noch recht einflußreichen – DKP führte.
IV.
Viele der abgebildeten Fotos sind etwas arg klein geraten (S. 65; 78-80), und daß die Karte von Kronstadt und der Petrograder Bucht nur mit einer Lupe zu betrachten ist (S. 23), wäre nun wirklich nicht nötig gewesen. Sehr angenehm ist dagegen, daß das Buch ein Namensregister enthält.
• J.S.
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