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„Cultureglobe (Kultur und Politik)“ v. 12.4.2020

… ein Glanzstück für die historische Revolutionsgeschichtsschreibung

Die Ereignisse im Ruhrgebiet im März 1920 stehen auch im Mittelpunkt der umfangreichen Studie des Historikers Erhard Lucas (1937-1993), der diese 1970ff erstmal in drei Bänden beim Verlag Stroemfeld / Roter Stern publizierte (mittlerweile vergriffen). Dieser hatte auch im Schwarzen Faden (2/1990) einen Beitrag publiziert. Generell bildete seine Forschung eine wichtige Basis für anarchistische Publikationen wie z.B. die von der FAU Duisburg (März 1920 – Die vergessene Revolution im Ruhrgebiet). Seine Trilogie wurde nun – anläßlich des 100. Geburtstages der Ruhrkämpfe – von dem Verlag Die Buchmacherei in der Reihe „Soziale Kämpfe – historisch und heute“ neuaufgelegt. Die Trilogie reiht sich gut in die bisherigen Publikationen zur Geschichte der deutschen Revolution wie z.B. den Texten von Richard Müller.

Die deutsche Revolution wird häufig auf die Ereignisse rund um den November 1918, die zur Abdankung des Kaisers und zur zweifachen Republikausrufung führten, reduziert. Historisch gesehen war dies allerdings nur der Beginn einer Reihe von Ereignissen, die bis in den März 1920 reichten. Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, ein Versuch der konkreten Kontrarevolution, stellt einen Abschluss dieser Periode dar. Die Niederschlagung dessen durch die Zivilbevölkerung ist in vielerlei Hinsicht ein wichtiges Lehrstück revolutionärer Geschichte – sei es in Bezug auf die Entwicklung des Konzepts von sozialer Verteidigung oder in Bezug auf die Konstituierung der (schwarz-)roten Ruhrarmee mit bis zu 100.000 Mitgliedern bzw. auch in Bezug auf die Besetzung von Betrieben durch Arbeiter*innen. Gerade für den Anarchismus ist die Entstehung der Roten Ruhrarmee, deren Mitglieder sich sehr zahlreich aus dem organisierten Anarchosyndikalismus, d.h. konkret aus den Reihen der FAUD (AS) rekrutierten, von Interesse. Die Märzereignisse selbst wurden von Hofmanns Comic Teater, dem Vorläuferprojekt von Ton Steine Scherben, in dem Stück Märzstürme aufgegriffen.


Erhard Lucas war ein kritischer Marxist, der sich als Historiker auf die Geschichte der Arbeiterbewegung zwischen dem I. Weltkrieg und dem Nationalsozialismus fokussierte. Er promovierte 1972, habilitierte vier Jahre später und hatte dann die Professur für Sozialgeschichte an der Universität in Oldenburg inne. Neben jener dreibändigen Studie hat Die Buchmacherei ebenso seine Publikation Vom Scheitern der deutschen Arbeiterbewegung neu aufgelegt.

Seine akribische Studie Märzrevolution 1920, die auch die Grundlage seiner Dissertation war, teilt sich in drei Bände. Im ersten Band werden in vier Abschnitten die Geschichte der Revolution sowie in einem weiteren Abschnitt die Konterrevolution dargestellt. Der zweite Band widmet sich den Fragen: „1. Wie befestigten die Arbeiter ihre Herrschaft, und was geschah unter ihrer Herrschaft?

2. Wie organisierten sich die bewaffneten Arbeiter, die sogenannte „Rote Armee“?“ (327).

Im Abschlussband, der vom Umfang ungefähr dem der beiden Vorläuferbände entspricht, geht es um die Füllung von bis dato existierenden Forschungslücken. Zu den Forschungslektüren zählen u.a. die Rolle von Wilhelm Pieck (USPD / KPD / SED) oder zum „weissen Terror“.

Seinem Text vorangestellt ist u.a. ein Vorwort zur Neuauflage von dem Soziologen Ulrich Peter. In diesem wird die Erinnerungskultur an jene Revolution reflektiert. Des Weiteren gibt es ein Personen- und Ortsregister sowie vereinzelte Fotos und Karten

Die Studie ist zum Verständnis der Ereignisse aus linksradikaler Sicht von großer Bedeutung. Sie ist sehr akribisch recherchiert. Es ist eine grundlegende Studie zur Märzrevolution und gleichzeitig ein Glanzstück für die historische Revolutionsgeschichtsschreibung. Allerdings ist die Lektüre streckenweise etwas langatmig und ermüdend – zumindest, wenn man nicht im Ruhrgebiet sozialisiert wurde.

Maurice Schuhmann


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