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Interview mit Gaby Weber in der Zeitung „Junge Welt“ vom 11.10.2008 / Wochenendbeilage / Seite 1 (Beilage)
„Er galt als Amispitzel und mußte aus dem Weg geräumt werden“
Gespräch mit Gaby Weber. Über den Massenmörder Adolf Eichmann. Und darüber, daß er zu viel über das Dreiecksgeschäft mit der israelischen Atombombe wußte
Gaby Weber ist Journalistin und Buchautorin, sie lebt und arbeitet in Buenos Aires und Berlin. Sie hat unter anderem Bücher über die Rolle deutscher Nazis und über Daimler-Benz in Argentinien geschrieben. In Ihrem Buch „chatting with Sokrates“ zitieren Sie den Satz: „Der Mossad hat Adolf Eichmann wegen seiner Verbrechen am jüdischen Volk aus Argentinien entführt.“ Dazu Ihr Kommentar: „Ein Satz, vier Lügen“.
Würden Sie uns das erklären?
Der zitierte Satz gibt die Version wieder, die in den Geschichtsbüchern steht und die vom israelischen Geheimdienst Mossad seit 1975 offiziell verbreitet wird. Nach jahrelangen Recherchen in Archiven und vielen Gesprächen mit Zeitzeugen bin ich zu einem ganz anderen Ergebnis gekommen: Erstens war es nicht der Mossad, der im Mai 1960 in Argentinien das Kommando führte. Es war ein kleiner Geheimdienst Israels, der Atomtechnologie beschaffen sollte. Zweitens war der Auslöser für Eichmanns Abtransport nicht seine Beteiligung am Judenmord, sondern sein Wissen um geheime Dreiecksgeschäfte. Drittens wurde er nicht entführt und viertens nicht aus Buenos Aires.
Fangen wir doch mit Punkt eins an… Es waren damals in der Tat israelische Agenten in Argentinien – und zwar vom LAKAM, einem militärischen Dienst, der zum Zweck der Wirtschaftsspionage gegründet worden war. Die Gruppe hatte den Auftrag, das Know-how für den Bau einer Atombombe zu beschaffen. Nach dem Krieg waren Naziwissenschaftler nach Argentinien geflüchtet und setzten dort, wie es Präsident Juan Perón geplant hat, ihre Forschungen fort. Außerdem sollten sie Uran für den geheimen Reaktor Dimona beschaffen. Diese LAKAM-Agenten waren völlig unprofessionell. Sie traten auf wie die Elefanten im Porzellanladen, so daß schon wenige Tage nach ihrer Ankunft die argentinische Bundespolizei auf sie aufmerksam wurde.
Die einzige Möglichkeit für Israel, das nötige Know-how zu bekommen, waren die deutschen Wissenschaftler. Die USA und Großbritannien wollten damals die atomare Aufrüstung Israels verhindern; Frankreich lieferte zwar einen Forschungsreaktor, wurde dann aber von den USA gestoppt. Und die Sowjetunion kam nicht in Frage, unter anderem weil sie den Ägyptern im Nuklearbereich half.
Und was spricht gegen die Version von der „Entführung“?
Israels Staatspräsident David Ben Gurion gab am 23. Mai 1960 in der Knesset bekannt, daß Eichmann in Haft war. Aus Israel selbst gab es damals keine offizielle Erklärung, wie er dorthin gelangt war – den Begriff „Entführung“ setzten Journalisten in die Welt. Als die argentinische Regierung sich angesichts der Presseberichterstattung über die Verletzung ihrer Souveränität beschwerte, schrieb Ben Gurion seinem Amtskollegen in Buenos Aires einen Brief mit der Entschuldigung, es seien „Freiwillige“ auf eigene Faust am Werk gewesen. Erst ab 1975 verbreitete der Mossad Bücher, die die angebliche Entführung detailliert beschrieben. In den wesentlichen Punkten ist die Mossad-Version nachweislich falsch.
Nach der Lektüre Ihres Buches fragt man sich, ob nach Eichmann jemals ernsthaft gefahndet wurde. Er lebte doch bis 1950 unbehelligt in Westdeutschland, bevor er mit Hilfe des Vatikans nach Argentinien gelangte. Es gab viele, die davon wußten.
Er war mit einem falschen Paß auf den Namen Ricardo Klement eingereist. Seine Kinder gingen unter ihrem richtigen Namen in die deutsche Schule, sie waren auch in der deutschen Botschaft registriert – das geht eindeutig aus Akten des Auswärtigen Amtes hervor, die ich einsehen konnte. Eichmann fühlte sich in Argentinien so sicher, daß er – wie viele andere Nazis auch – jahrelang offen unter seinem Namen aufgetreten ist. Der Gründer und langjährige Chef von Mercedes-Benz-Argentinien, Jorge Antonio, hatte ihn eingestellt – er wußte genau, mit wem er es zu tun hatte. Das hat mir Antonio in einem längeren Interview bestätigt. Man muß dabei im Hinterkopf behalten, daß Mord nach deutschen Gesetzen damals nach 20 Jahren verjährte. Eichmann ging also davon aus, daß er spätestens ab Mai 1965 unbehelligt in die Bundesrepublik einreisen konnte. Antonio vermutete, daß Eichmann ab Ende der 50er Jahre für einen US-Geheimdienst arbeitete. Dafür habe ich allerdings noch keine Bestätigung in den USA gefunden – ein Antrag auf Akteneinsicht läuft noch.
Seit 1956 gab es in Deutschland einen Haftbefehl, ausgestellt vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. Der hatte auch die israelische Justiz um Hilfe gebeten. Mittlerweile ist mit Hilfe von Archivquellen erwiesen, daß die israelische Regierung schon 1957 von einem deutschen, in Argentinien lebenden Antifaschisten informiert worden war, wo Eichmann steckte. Der Bundesnachrichtendienst (BND) wußte ebenfalls Bescheid. Er informierte 1958 die CIA, wie aus heute zugänglichen Akten hervorgeht.
Es ist auffällig, daß Israel keine öffentliche Kritik daran übte, daß damals Naziverbrecher hohe Funktionen in der Bonner Regierung bekleideten. Israel hat z. B. offiziell nie etwas dazu gesagt, daß Hans Globke, der Inititiator der Nürnberger Rassegesetze, von Adenauer zu seinem Staatssekretär gemacht worden war. Oder zu dem damaligen Vertriebenenminister Theodor Oberländer, der 1960 in der DDR wegen Ermordung von mehreren tausend Juden und Polen in Lemberg in Abwesenheit zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wurde. Da könnte man doch fragen, ob sich die israelische Regierung ihr Schweigen irgendwie hat bezahlen lassen.
Wäre nicht der BND als Regierungsbehörde verpflichtet gewesen, seine Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben?
Diese Frage müßte das Bundeskanzleramt beantworten, ich war mit meiner Anwältin dort. Es wurde mir in der Tat eine Akte gezeigt – die begann aber erst nach 1960. Ich habe dann beim BND die Freigabe der Akte beantragt, ich meine die Dokumente zum Zeitraum vor Eichmanns Verhaftung in Israel. Zu meiner Überraschung wurde mir mitgeteilt, daß sie diese Akte gefunden haben, sie wollten sie aber bis mindestens 2017 geheimhalten. Ich habe jetzt gegen den BND Klage erhoben, weil es nicht angeht, daß dort Erkenntnisse über einen Massenmörder mit dem Argument unter Verschluß gehalten werden, der Geheimdienst müsse seine Methoden und Quellen schützen.
Eichmann arbeitete in Argentinien für Mercedes-Benz. Zum Unternehmensvorstand in Stuttgart gehörte damals auch ein ehemaliger SS-Offizier, Hans-Martin Schleyer. Wußte der davon?
Ich will erst kurz auf die Geschichte von Mercedes-Benz Argentina eingehen: Die Firma wurde 1951 mit Geldern gegründet, die aus dem im Ausland geparkten Nazivermögen stammen. Sie wurde über Nacht praktisch größter Investor in Argentinien – ihr gehörten Ländereien, Banken, Investmentfirmen. 1955 wurde sie nach dem Militärputsch gegen Perón für einige Jahre beschlagnahmt. Die damals sichergestellten Akten konnte ich einsehen. Schleyer war in jenen Jahren in Argentinien, um die beschlagnahmte Firma zu legalisieren. Und als Eichmann in Buenos Aires vermißt wurde, wandte sich die Familie an Mercedes-Benz, und der Vorgang landete in Stuttgart bei Schleyer. Aus dem Daimler-Archiv weiß ich, daß Schleyer öfter von „alten Kameraden“ um Gefallen und Spenden gebeten wurde. Auch in der Schweiz habe ich Dokumente über Strohmänner gefunden, die da mitgemischt haben. Mercedes-Benz Argentina hat nicht nur Eichmann, sondern auch andere geflüchtete Nazis eingestellt.
Wie groß war denn die Nazigemeinde in Argentinien?
Es sind etwa 50000 Nazis ins Land gekommen, zum großen Teil mit Hilfe der katholischen Kirche. Die haben sich dann über ganz Lateinamerika verteilt – es dürften maximal 10000 gewesen sein, die längere Zeit in Argentinien blieben. Das waren natürlich nicht alle gesuchte Kriegsverbrecher. Eichmann war jedenfalls der zweithöchste SS-Mann dort, er fühlte sich nach meinen Recherchen offenbar wie der Anführer des Exils. Er hat seine Rolle aber sehr überschätzt, zu sagen hatte er eigentlich nichts mehr. Er wußte jedoch eine Menge über viele Leute, mit denen er zu tun hatte – und hätte mit seinem Wissen den einen oder anderen fertigmachen können. Man hatte Angst vor ihm.
Eichmann hatte in Argentinien wohl auch Kontakt zu deutschen Atomwissenschaftlern, die dort ihre Forschungen fortsetzten.
Kernforschung wurde in Argentinien an zwei Orten betrieben: zum einen in Tucumán, wo Eichmann anfangs wohnte. Dort arbeiteten viele Atomwissenschaftler aus dem Umfeld von Otto Hahn. Nach dem Putsch gegen Perón konzentrierte sich die Forschung auf Bariloche, dort wurde an der Herstellung von Plutonium gearbeitet. Die argentinische Atomkommission wurde von deutschen Wissenschaftlern mit aufgebaut, die schon an Hitlers-Uranprojekt gearbeitet hatten.
Welches Interesse hatte Argentinien an der Atomforschung?
General Perón sah Argentinien auf dem Weg zu einer Großmacht, was man sich heute kaum noch vorstellen kann. Er wollte eine eigene Industrie aufbauen, auch auf dem Rüstungssektor – dafür wollte er die deutschen Wissenschaftler haben. Daß es sich um Nazis handelte, war ihm egal. Für dieses Know-how interessierte sich dann auch die israelische Regierung.
Warum sollten ausgerechnet Nazis dem jüdischen Staat zur Atombombe verhelfen?
Ich vermute, die Israelis haben die Deutschen erpreßt. Wahrscheinlich auch die Frankfurter Firma Degussa, die in den 50ern die Wiedergeburt der deutschen Atomindustrie eingeleitet hat. Eine Degussa-Tochter hatte bekanntlich das Giftgas Zyklon B produziert, mit dem Millionen Juden in den Konzentrationslagern ermordet wurden. Die 1960 gegründete Tochterfirma NUKEM hat jedenfalls für Israel einen Teil des nötigen Urans aus Argentinien beschafft. Ich habe versucht, bei Degussa zu recherchieren – aber leider läßt man mich nicht ins Archiv.
Es gab damals noch ein anderes Land, das die Kernwaffe wollte: der junge Bonner Staat. Der Beschluß des Bundestages, daß die Bundeswehr atomar aufgerüstet werden soll, wurde bis heute nicht zurückgenommen.
1955 hat Degussa ihre Nukleargruppe gegründet – es waren auch Leute aus dem Atomministerium dabei, dem damals der CSU-Politiker Franz Josef Strauß vorstand. Das Bundeskabinett stellte im März 1960 drei Millionen DM für nukleare Zusammenarbeit zwischen dem Otto-Hahn-Institut der Universität Göttingen und dem Weizmann-Institut in Israel zur Verfügung.
Warum hat Israel nicht interveniert, um zu verhindern, daß der deutschen Bundesregierung das Know-how für die Atombombe in die Hände fällt?
Für Juden müßte das eigentlich ein Alptraum sein – Judentum und israelische Regierung sind aber nicht identisch. Verantwortlicher Verteidigungsminister in Tel Aviv war damals Schimon Peres, der als der „Vater des israelischen Atomprogramms“ gilt. Dabei ließ er sich offensichtlich kaum von moralischen Kriterien leiten. Israels Verhandlungspartner auf westdeutscher Seite hatten fast alle im faschistischen Deutschland wichtige Positionen gehabt. Trotzdem lieferte Israel schon ab 1957 Waffen an die Bundeswehr. Und wie kann man erklären, daß der Mossad den Erfinder der fahrbaren Gaskammern, Walter Rauff, auf seiner Agentenliste führte?
Über diese Verflechtungen wußte Eichmann Bescheid?
Über viele vermutlich. Er hatte zahlreiche Kontakte. Sein Fehler war, daß er anfing zu plaudern. Es begann mit einem langen Interview, das er dem niederländischen Kriegsverbrecher Willem Sassen gegeben hatte, Eichmann wollte sich rechtfertigen. Und er wurde immer mehr zu einer Gefahr, weil er von dem Atomdeal und der Zusammenarbeit mit Israel wußte. Er wurde als Amispitzel verdächtigt, deswegen mußte er aus dem Weg geräumt werden.
Okay – aber warum hat man ihn dann nicht einfach umgelegt?
Darüber kann man nur spekulieren. Das wäre möglicherweise zu einem Riesenskandal geworden, der Argentinien schwer verärgert hätte. Denkbar ist auch, daß die Argentinier dem einfach zuvorgekommen sind, indem sie ihn auswiesen. Jorge Antonio hat, auch öffentlich, bestätigt, daß Eichmann, der Ausländer mit falschen Papieren, von den Argentiniern nach Brasilien ausgeflogen und an die Israelis übergeben worden ist.
Der damalige Generaldirektor von Mercedes-Benz Argentina, William Mossetti, muß ebenfalls davon gewußt haben. Er meldete bereits am 12. Mai 1960 Eichmann von der argentinischen Sozialversicherung ab. Er wußte also elf Tage vor der Bekanntgabe in der Knesset, daß Eichmann nicht mehr in seinem Unternehmen auftauchen würde. Mossetti übrigens war laut der OSS-Dokumente, die ich im US-Bundesarchiv einsehen konnte, während des Zweiten Weltkrieges „G2-officer“, also Geheimagent, vermutlich für die Army.
Auf jeden Fall kann die Version des Mossad, Eichmann sei entführt und mit einer El-Al-Maschine von Buenos Aires mit einer Zwischenlandung in Dakar nach Israel geflogen worden, schon rein technisch nicht stimmen. Das Flugzeug war eine Bristol Britannia, die nach Herstellerangaben eine Reichweite von 6869 Kilometern hat. Die Entfernung zwischen Buenos Aires und Dakar beträgt aber 6992 Kilometer – die Maschine muß also eine andere Route geflogen sein. Laut Jorge Antonio wartete das Flugzeug in Natal im Nordosten Brasiliens, was mir im übrigen auch die brasilianischen Behörden bestätigt haben. Dort wurde die El-Al-Maschine aufgetankt und Eichmann an Bord gebracht. Und von Natal ging es weiter bis Dakar und dann nach Israel. Sowohl die Argentinier als auch die Brasilianer haben sich nach meinem Eindruck völlig legal verhalten. Eichmann hatte einen falschen Paß, konnte also ohne Probleme aus Argentinien in das Land, wo er hergekommen war, ausgewiesen werden. Und Brasilien braucht keinen Ausländer mit falschen Papieren ins Land zu lassen – sie haben ihn also ins nächste Flugzeug gesetzt. Das war nun diese El-Al-Maschine.
Hat Brasilien bewußt mitgespielt?
Davon gehe ich aus. Die brasilianische Regierung hat ja damals ebenfalls mit Degussa über den Kauf einer Atomzentrifuge verhandelt. Hinzu kommt, daß der gesamte Flugverkehr Brasiliens bis heute vom Militär überwacht wird – die wußten genau, welche Flugzeuge im Luftraum unterwegs waren.
Die Ergebnisse Ihrer Recherche widersprechen all dem, was man aus der Geschichtsschreibung weiß. Gibt es Historiker, die sich ernsthaft mit Ihren Argumenten auseinandersetzen?
Das ist je nach Land verschieden. In den USA arbeite ich mit Leuten der Interagency Working Group on Nazi Crimes zusammen, Historikern, die im Bundesarchiv in Washington sitzen. In Deutschland hingegen sieht das anders aus – dort ist ein kritischer Umgang mit israelischer Zeitgeschichte sehr schwierig. Bisher wurde ich nicht direkt angefeindet, übrigens auch nicht von der israelischen Regierung. Der vor kurzem abgelöste Ministerpräsident Ehud Olmert hat mir geschrieben, man habe mein Bitten um Informationen zur Kenntnis genommen. Das war’s dann aber auch.
Israel ist in einer schwierigen Situation. Nachdem das Märchen von der Eichmann-Entführung jahrelang aufrechterhalten wurde, ist es schwierig, davon wieder wegzukommen. Und dem stehen immer noch militärische Interessen entgegen. Israel spielt ja ein doppeltes Spiel: Offiziell heißt es, der Staat habe keine Atombomben. Andererseits sind eben diese Bomben Teil des Abschreckungspotentials.
Seit einem Jahr versuche ich, von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEA) in Wien Informationen zu bekommen. Dort ist Israel Mitglied. Ich habe denen Dokumente über die erwähnten Uranlieferungen geschickt und warte auf eine Stellungnahme.
Sie haben sich aber auch an den Mossad selbst gewandt …
Der Geheimdienst hatte auf seiner Homepage als eine seiner großen Heldentaten die Geschichte von der Eichmann-Entführung dokumentiert. Ich habe dann per Mail nachgefragt, warum sie eine solche Lügengeschichte ins Netz stellen. Sie sollten mir bitte Kopien der einschlägigen Akten schicken. Eine Antwort habe ich zwar nie bekommen – aber ein paar Tage später war das Heldenepos von der Internetseite verschwunden.
Sie haben die Eichmann-Story in Form eines Theaterstücks dargestellt. Warum nicht klassisch, als Sachbuch mit ordentlichen Fußnoten?
Ich wollte anfänglich einen Dokumentarfilm drehen, also erst einmal ein Drehbuch schreiben. Das wäre aber zu teuer geworden – für solche Projekte gibt es kein Geld. Da ich mich schon gedanklich auf dieses Drehbuch fixiert hatte, habe ich dieses Theaterstück verfaßt, das von Basisgruppen, Schultheatern und anderen kleinen Bühnen ohne großen technischen Aufwand gespielt werden kann. Man braucht nur Stühle, Tisch, eine weiße Wand sowie einen Beamer, mit dem Archivdokumente eingespielt werden.
Ein Theaterstück gibt mir die Möglichkeit, Eichmann in seiner Subjektivität zu beschreiben. Also etwa so: Was ist in seinem Kopf vorgegangen? Es ist fast unerträglich, das zu Papier zu bringen, was dieser Verbrecher von sich gegeben hat. Ich habe den Dialog zwischen einer Journalistin und einer Historikerin dazwischengeschaltet – die Leser oder Zuschauer haben damit etwas mehr Distanz dazu, können es also auch eher rational verarbeiten.
Sicher, ein Sachbuch wäre auch eine Möglichkeit gewesen. So eins habe ich z. B. über die Geldwäsche der Nazis geschrieben, jede zweite Zeile war mit einer Fußnote mit Hinweis auf Archivdokumente versehen. Das Buch ist in Deutschland totgeschwiegen worden. Vielleicht ist das Theater der einzige Ort, an dem man noch frei reden und Argumente austauschen kann.
Das Buch heißt „chatting with Sokrates“ – wie kamen Sie zu diesem Titel?
Der altgriechische Philosoph hatte schon vor zweieinhalbtausend Jahren eine sehr kluge Fragetechnik entwickelt. Direkte, fast naiv wirkende Fragen, die geeignet sind, Herrschaftsversionen zu entlarven. Daran sollte sich der Journalismus erinnern. Unser Beruf ist heute ziemlich verkommen, man wiederholt, was man wiederholen soll, statt Vorgegebenes in Frage zu stellen. Man kann gar nicht dumm genug fragen – die naivsten Fragen sind meistens die besten.
Das Interview führte Peter Wolter
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