Zurück zu allen Rezensionen zu China - ein Lehrstück ...

„Junge Welt“ v. 1.7. 2021

„Eine wohlwollend informierte Analyse ,,,“

Wolfram Elsner

Der Beitrag von Renate Dillmann gehört zwar zu den inzwischen nur noch etwa fünf Prozent des »Lesestoffs« im Westen, der sich eine objektive, rationale und redlich-suchende Haltung zu China bewahrt hat und für China-Kenner und ernsthaft China-Interessierte noch lesbar ist. Der große Mainstream dagegen zeigt sich immer hasstriefender gegenüber dem frechen Aufsteiger – dem einzigen, der unter der neoliberalen US-Dominanz den Aufstieg geschafft hat. Er macht vor lauter Wut und Angst über den eigenen unaufhaltsamen Abstieg den verbalen Kalten Krieg gegen China (und Russland) zur Staatsdoktrin und bereitet erkennbar systematisch auch einen heißen Krieg vor. Hatten das Imperium und die zwei Dutzend Staaten, die ihm folgen, nicht gehofft, mit der Weltdominanz des Hegemons und dem Niederringen der Sowjetunion das »Ende der Geschichte« erreicht zu haben? Da kommt der freche Chinese und behauptet einfach, dass sich die Erde weiterdreht und die Menschheitsgeschichte nicht zu Ende ist. Da will er die alte historische Normalität von 3.000 (minus 200) Jahren in den globalen Strukturen wieder zur neuen Normalität machen. Dabei wollten wir doch den aufmüpfigen Chinesen 1900 so bestrafen, »dass es (für 1.000 Jahre) niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!« (Kaiser Wilhelm II.)

„Eine wohlwollend informierte Analyse …“

Eine wohltuend informierte Analyse von Dillmann also, im notwendigen scharfen Kontrast zur aggressiven geheimdienstlerischen und faktenfreien Sprachakrobatik der westlichen medialen Kartell- und Zensurindustrie mit ihrem Sprachgewusel und ihren Zitationskarussellen, in denen der seriös Nachforschende stets ins Bodenlose unüberprüfbarer (mitunter aber auch leicht widerlegbarer) Verdächtigungen und Verleumdungen stößt.

Die neueste Masche der imperialistischen Gedankenregulierungsindustrie ist, dass jeder, der etwas Positives über China sagt, Instrument der KP Chinas sei, »oft ohne es zu wissen«, wie die Geheimdienste und zum Beispiel der »Nachrichtendienst« China.Table es für alle vorformuliert haben. Wir sind also nicht nur missbraucht, sondern auch noch zu blöd, es zu merken. Danke für das Kompliment an unseren Intelligenzquotienten, für die Infragestellung unserer kritischen Entscheidungsfreiheit und für den zirkulären Generalverdacht, aus dem wir logischerweise nicht mehr entrinnen können!

Analytische Leerstellen

Aber leider übersieht auch Renate Dillmann einige wesentliche Fakten, die das Bild der Entstehung und Verbreitung von SARS-CoV-2 und seiner Bekämpfung in China erst vollständig und damit objektiv und realistisch machen würden. Und ihre informatorischen und analytischen »Leerstellen« lassen sie prompt in einige Fallen der westlichen geheimdienstlich-medial-politischen Sprachregelung zu China treten.

Fangen wir an mit dem »Fall« Li Wenliang, dem niedergelassenen Arzt, der Ende Dezember 2019 mit einigen Kollegen über die sozialen Medien kommunizierte, das »alte SARS« von 2002/2003 sei möglicherweise wieder da. Das schlug in den chinesischen sozialen Medien natürlich entsprechend ein. Die Polizei von Wuhan lud Li vor und verwarnte ihn, keine Gerüchte in die Welt zu setzen. Und beide hatten irgendwie recht: Li, denn es war letztendlich ja ein SARS-CoV-Virus, und die Polizei, denn es war eben nicht das alte SARS-1. Tatsächlich lag Li also nur halb richtig und eben auch halb falsch. Am ­Zentralkrankenhaus in Wuhan und am Wuhan-Institut für Virologie (WIV) wusste man es in den letzten Dezembertagen 2019 ja bereits besser. Basierend auf einer Coronaforschung im Anschluss an SARS-1, die das WIV zu einem der international führenden Virusforschungsinstitute gemacht hatte, in dem die Virologen der Welt (u. a. aus den USA, Großbritannien, Schweiz, Deutschland) sich die Klinke in die Hand gaben, deren führende Forscherin, Shi Zhengli, trotz China-Bashing und antiasiatischem Rassismus in den USA in die US-Akademie für Mikrobiologie berufen wurde, haben die Forscher des WIV zusammen mit Biomedizinern, Virologen und Epidemiologen aus verschiedensten Staaten in internationalen Veröffentlichungen wie LancetNatureScience usw. seit Beginn der 2010er klargemacht, dass das Coronavirus eine solche genetische Breite entwickelt hat, dass mit »erfolgreichen« Mutationen und einer Pandemie mit einer Wahrscheinlichkeit nahe 1,0 zu rechnen sei. Wann und wo genau entsprechende Clusterbedingungen entstehen würden, konnte man angesichts der nahezu nicht reproduzierbaren globalen Interaktionen zwischen mehr als sieben Milliarden Menschen natürlich nicht vorhersagen. Dazu noch später.

Li hatte mit dem Zentralkrankenhaus in Wuhan Kooperationsbeziehungen und wurde daher nur wenige Tage nach der polizeilichen Verwarnung (keinesfalls »Inhaftierung«, »Verschwinden«, »Folterung« oder anderen antikommunistischen Räuberpistolen des Westens) und über das chinesische Gesundheitsministerium national öffentlich rehabilitiert. Seine Motive seien ehrenhaft gewesen, er habe nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt, seine Beobachtungen seien nützlich und hilfreich gewesen, auch wenn er die notwendige Analytik als niedergelassener Arzt nicht habe besitzen können. Die Polizei von Wuhan nahm kurze Zeit später die Verwarnung zurück, was wiederum durch die nationalen Medien ging (man wünscht sich einmal ein freiwilliges Fehlereingeständnis der Polizei in den westlichen plutokratischen Herrschaftssystemen, etwa zu ihrem brutalen Einsatz gegen die G20-Demonstranten 2017, gegen Wald- und Wohnraumschützer usw.). Dass Li, der anscheinend in seiner Praxis mit Coronainfizierten in Berührung gekommen war, wenige Wochen später selbst an Covid-19 starb, ist schlicht tragisch. Er wurde in China als Held, der frühzeitig auf die neue Mutation (die er ursprünglich für die alte gehalten hatte) aufmerksam gemacht hatte, gefeiert und mit hohen staatlichen Ehren beerdigt. Ganz »nebenbei« war Li übrigens KP-Mitglied, ein simpler Fakt, der im Westen tabuisiert wurde, weil er nicht ins Bild vom »Widerstandskämpfer« gepasst hätte.

Was dieser Fall mit »einer Mischung aus Ignorieren und Bagatellisieren« oder einem »behördliche(n) Unwille(n), (…) zu erkennen und angemessen zu reagieren« (Dillmann), zu tun haben soll, erschließt sich zumindest demjenigen nicht, der die sodann nahezu in Echtzeit erfolgenden chinesischen Updates der dortigen Erkenntnisfortschritte auf den Websites der WHO und den Seiten der Wissenschaftsinitiative GISAID verfolgt hat. Dieser Mühe hat sich die Autorin offenbar nicht unterzogen. Daher füllt sie ihre Wissenslücke mit der Reproduktion der üblichen westlichen Fake-Nachrichten vom »Ignorieren und Bagatellisieren«. Sogar der ultra-»liberale« Wirtschaftseinflüsterer Gabor Steingart bestätigte: »Nach einer Schrecksekunde hat das dortige Gesundheitssystem generalstabsmäßig reagiert und die im Westen bis heute vertretene Logik – hohe Fallzahlen gleich hohe Todesraten – gebrochen« (aus Steingarts »Morning Briefing«, 13.3.2020). Die »Schrecksekunde« über das ja wirklich Neue und fast Unglaubliche dauerte in China tatsächlich nur wenige Tage. Ab Anfang Januar wurde die Welt fortlaufend in Echtzeit informiert.

Fakt ist: Wenn es ein »Ignorieren und Bagatellisieren« gegeben hat, dann in der westlichen Gesundheitspolitik und den hiesigen Gesundheitssystemen, die auf die vollständigen und vollständig kommunizierten Erkenntnisse des WIV, die Ende Januar komplett vorlagen, erst einmal sechs bis acht Wochen lang gar nicht reagierten, weil die westliche »Geopolitik« alle Hände voll mit China-Häme zu tun hatte.

Dass selbst die WHO noch etwa drei Wochen zögerte, um offiziell einen internationalen Gesundheitsnotstand auszurufen, obwohl ihre Inspektionsteams in China an allem Erkenntnisfortschritt unmittelbar beteiligt waren, zeigt übrigens, wie unsicher selbst die Epidemiologie an der Gesundheitsfront angesichts des Neuartigen noch war.

Menschen statt Profite

Tatsächlich hatte das WIV die Genomsequenz der neuen Virusmutation in Rekordzeit (knapp zwei Wochen) analysiert (was in früheren Fällen, bei MERS, Ebola usw., in den Instituten des Centers for Disease Control and Prevention der USA noch vier Monate gedauert hatte) und sodann die Tier-Mensch-Übertragbarkeit und schließlich die Mensch-Mensch-Übertragbarkeit in Rekordzeit nachgewiesen. Das alles war gegen Ende Januar 2020 geschafft und auf den internationalen Websites tagesgenau nach jeweiligem Erkenntnisfortschritt nachzulesen. Die Stadt Wuhan, die Provinz Hebei und die Nationalregierung reagierten jedenfalls sofort mit flächendeckender Quarantäne der Provinz und Mobilisierung von Ärzten, Pflegekräften und freiwilligen Helfern aus ganz China.

Ein tiefer Einbruch der Wirtschaft für zwei Monate, bei zunächst unüberschaubarem vollem wirtschaftlichen Risiko, bei verordneter Unkündbarkeit jeglicher Arbeits-, Miet-, Kredit- oder Versicherungsverträge für die Haushalte, bei deutlich gesunkenen Profitraten für staatliche und private Konzerne sowie Banken in China (was sogar McKinsey beklagt), wurde in Kauf genommen – was ökonomisch Sinn ergab, da China aufbauend auf Konsumnachfrage und Vertrauen der Menschen dann sofort auf hohem Niveau neu starten konnte. Doch soll angeblich »auch in der Volksrepublik China das Wachstum der Wirtschaft Staatsräson« sein, »wie in fast allen Staaten dieser Welt« (Dillmann). Da fühle ich mich nicht nur als kritisch Beobachtender verschaukelt, sondern auch als Ökonom in meiner Urteilsfähigkeit angegriffen. Wenn McKinsey beklagt, dass die Banken und Konzerne in China mit ihren Profitraten dauerhaft unter dem Weltdurchschnitt liegen und dass 2020 die chinesischen Banken Millionen von Jungunternehmern, Startups und Haushalten zu Lasten ihrer betrieblichen Rationalität aufgrund staatlicher Anweisung die Liquidität sichern mussten, finde ich diese bequeme, modernistische und bildungsbürgerliche »Äquidistanz«-Attitüde nicht nur denkfaul und uninformiert, sondern geradezu lächerlich. Da die Autorin aber einige dieser Fakten sogar selber benennt, widerspricht sie sich nicht zuletzt selbst.

Und »natürlich« erwies sich China als das einzige große Land, das die alten WHO-Beschlüsse aus den 2000er Jahren, entsprechende Bestände an Schutzkleidungen aufzubauen sowie lokale, regionale und nationale Notfallpläne zu entwickeln, umgesetzt hatte, wie die WHO-Inspektionsteams in China sofort erfreut feststellten. Während im Westen weder das eine noch das andere umgesetzt worden war, der neoliberale Kahlschlag wütete, Krankenhaus-, Ärzte- und Pflegekapazitäten abgebaut wurden und man in Berlin Ende 2019 die Anweisungen der Bertelsmann-Stiftung umzusetzen begann, jedes zweite Krankenhaus zu schließen. Aber in China: »Behördlicher Unwille«? »Ignorieren«? »Bagatellisieren«? Dieses Narrativ würde ich gerne mal verstehen.

Die internationale Biomedizin, Virologie, Epidemiologie und Gesundheitsforschung also wussten Ende Januar 2020 Bescheid – aber die westlichen Gesundheitspolitiker ließen wertvolle Wochen verstreichen, wie zum Beispiel der Schweizer Arzt und Klinikchef Paul Robert Vogt in seinen auf Youtube millionenfach geklickten Interviews zugab und was US- und WHO-Ärzte umfassend bestätigt haben.

Vielen, von Ärzten über Manager bis Sinologen, die China aus ihren Arbeitszusammenhängen konkret kennen, platzte angesichts des statt dessen hochgefahrenen China-Bashings und der neuen westlichen Sprach- und Denkregulierung zur Volksrepublik der Kragen. Ärzte zum Beispiel sprachen aus eigener Erfahrung am WIV von einem der professionellsten und sichersten Virenforschungsinstitute der Welt, in dem nie Biowaffenforschung betrieben wurde. Nur tröpfchenweise konnte all das den Weg in »unsere« Medien finden, denn es handelt sich bei diesen Zeitzeugen ja definitionsgemäß um instrumentalisierte Idioten, die ihren eigenen Missbrauch durch das Politbüro des ZK der KPCh nicht wahrnehmen.

Die Fakten bleiben

Belüge dich weiter, Westen! Die Welt wird trotzdem nicht wieder zur Scheibe werden, sondern eine Kugel bleiben und sich weiterdrehen, egal wie sehr sich der Westen intellektuell, mental und kulturell von der Menschheitsentwicklung abkoppelt.

Während jeder normale Bürger die Webseiten von WHO und GISAID aufrufen kann und in China und Südostasien die GISAID-Seiten allein in den Monaten Februar und März 2020 mehr als achtmilliardenmal (!) aufgerufen wurden, gibt sich das westliche Publikum mit Ammenmärchen zufrieden, mit Verdrehungen, Unterstellungen und Lügen – von der Qualität der »Forschungen« des extrem evangelikalen, laut eigener Aussage »von Gott geleiteten« Hasspredigers, des Anthropologen Adrian Zenz, der China selbst nie besucht hat.

Wobei die meisten Fakten eben durchaus für jedermann überprüfbar sind; wenn wir nur im Westen eine Kultur des Wissenwollens und des Kennenlernenwollens der anderen hätten (so wie etwa die Chinesinnen und Chinesen, die sehr viel mehr über uns wissen als wir über sie) und nicht von unserer Medienindustrie täglich sinophob bearbeitet würden. Ein gutes Dutzend Blogs, Websites und investigativer Forscher- und Journalistengruppen, einige davon sogar in den USA und Kanada, machen sich täglich darum verdient, die Behauptungen, die täglich von den westlichen Medien verbreitet werden, nachzurecherchieren, auseinanderzunehmen, aufzuklären, die west­liche Medien- und Bewusstseinskäseglocke etwas anzuheben und den frischen Wind aus der realen Welt hereinzulassen.

Nochmal: China mag also eine Schrecksekunde in den letzten Tagen des Dezember 2019 gehabt haben, als man das neue Genom eben noch nicht kannte. Doch von einer »Gemeinsamkeit des staatlichen Vorgehens in China und dem Rest der Welt« selbst »in der Anfangszeit der Pandemie«, wie Renate Dillmann schreibt, kann keine Rede sein. Es ist die zweite Falle, in die die Autorin tappt. Man muss es sich schon reichlich einfach machen, diese westliche Denk- und Analysefaulheit einfach so zu übernehmen. Ich sehe keinerlei Parallelität. Eine Verharmlosung von Covid-19 in der Form »eine Art Grippe« (Dillmann), bekannt von Trump und verschiedenen faschistischen Gruppen wie den »Proud Boys«, von den Bolsonaros über die Modis dieser Welt bis zur schwedischen Regierung, die allesamt, neoliberal ruiniert, ihre staatliche Handlungsunfähigkeit und -unwilligkeit rechtfertigen müssen, wird die Autorin in China definitiv nicht belegen können.

Warum gibt es diese Parallele nicht, warum ist dieses verlockend bequeme Mainstreamnarrativ, wonach alle Staaten und Systeme letztendlich irgendwie gleich seien, nicht nur dumm, denk- und analyseunfähig, sondern auch faktenwidrig? Was durch die zahlreichen internationalen Nachforschungen, die Aufbereitung von Krankenhaus- und Totenakten, nachträgliche Analysen von Abwasserproben sowie durch die sogenannten dynamischen phylogenetischen Netzwerkanalysen (das sind virenpopulationsbasierte Zeit-Ort-Rekonstruktionen der Virusdiffusion), allesamt möglich geworden aufgrund der schnellen chinesischen Analyse der Covid-19-Genomsequenz Anfang 2020, inzwischen Stand der Erkenntnis ist, ist folgendes: Das »Wuhan-Virus« ist, sowohl in der Trumpschen wie in der neuerlichen Bidenschen Variante als »Wuhan-Laborvirus«, ein weiteres faktenfreies Gespinst aus dem aufgeheizten Washingtoner Politzirkus und seinem tiefen Staat der US-Geheimdienste, die bis heute nicht in der Lage sind, auch nur einen einzigen Fakt für ihre medialen Kettenbriefe auf den Tisch zu legen. Da protestieren die China-Kenner unter den Wissenschaftlern und Ärzten weltweit, es nützt nichts. Da wird jeder verdächtigt, desavouiert und fertiggemacht, der noch zu denken wagt, namentlich nun gern die WHO-Ärzte.

Die Virus-Ausbreitung

Herausgefunden wurde in dem oben genannten guten Dutzend eingehender Studien (ich nehme den WHO-Abschlussbericht aus, der bereits lange vor Fertigstellung in den westlichen Medien als »politisch nicht konsensfähig« delegitimiert und gesprachregelt worden war), dass »Corona« zuerst in der Region Hongkong/Shenzhen und/oder Singapur entscheidend mutiert war und SARS-CoV-2 dort seinen Ausgangspunkt hatte. In einer früheren Mutationsvariante hatte es von der Fledermaus die erste Hürde über Schuppentiere als Zwischenwirte und schließlich den Sprung zum Menschen genommen.

Bereits im Spätsommer und Frühherbst 2019 (August, September) war das Virus um die Welt gegangen, nachgewiesen aufgrund von Kranken- und Totenakten, die allesamt von »Influenza mit atypischer Symptomatik« sprachen, u. a. in Norditalien, Bayern, Frankreich, Spanien, den USA und Japan. In den USA kam die Sache Anfang 2020 hoch, nachdem ein japanisches Ehepaar, das im Januar 2020 auf Hawaii Urlaub gemacht hatte, ohne je mit Chinesen Kontakt gehabt zu haben, mit Covid-19 nach Japan zurückkehrte. Auf einer Anhörung im US-Kongress dazu im Sommer 2020 bestätigte der Immunologe Anthony Fauci (auf Youtube ist sein »Testimony« vor dem Kongressausschuss zu sehen) zahlreiche Todesfälle von »Influenza mit atypischer Symptomatik« seit August und September 2019 in den USA.

Und wir reden erst gar nicht über »Failed States« wie Brasilien oder Indien, wo Coronaleugner die Regierungen beherrschen und jegliche Informationsverbreitung (Tests, Sequenzierungen) verhindern, von Minimaltherapierungen ganz zu schweigen. Staaten, in denen wir, ebenso wie in den USA, Großbritannien oder Schweden, sehen, dass im neoliberal ruinierten Westen ein Menschenleben nur noch einen Fliegenschiss wert ist. Dabei schreien die Herrschenden von dort her: »Menschenrechte!«, »Regelbasierte Weltordnung!«, »Freiheit and Democracy!« (Brecht). Hätte China die Sterberate der USA aufzuweisen, wären es dort 2,5 Millionen statt knapp 5.000 Tote.

Alle Staaten und Systeme sind gleich? Eine denkfaule und feige »Äquidistanz«, die der vorangegangenen Analyseunfähigkeit und/oder -unwilligkeit im Westen in den Jahren 2019 und 2020 in nichts nachsteht. Die einzige Entschuldigung, die die westlichen Gesundheitspolitiken sich für diese Zeit noch zugute halten könnten, ist die Tatsache, dass es sich bei den frühen Virusvarianten noch nicht um eine so infektiöse und letale Mutation handelte wie die, die dann in Wuhan zum Vorschein kam.

Aber warum Wuhan?

Aber warum nun ausgerechnet Wuhan? Wir wissen virologisch und epidemiologisch um die Dichtebedingungen in den Interaktionsnetzwerken der Viren und ihrer Wirte, um die Cluster in den Netzwerkstrukturen, die die Mutationshäufigkeiten positiv beeinflussen. Und hier kommt ein weiteres gutgehütetes Tabu der westlichen medialen Käseglocke zum Tragen – und zugleich eine weitere Leerstelle bei der Autorin Dillmann, die es ihr leichter macht, zu schwadronieren statt weiterzuanalysieren. Nur noch ein letztes Beispiel von ihr: Chinas Totenzahlen könnten geschönt sein! O ja: »Sagt man«, »könnten«, »dürften angeblich«, »wird behauptet«, »Die Five ­Eyes haben es ermittelt!« Muss also stimmen.

Ausgerechnet das Land mit einem der besten Gesundheitssysteme, mit seinen flächendeckenden Tests und Sequenzierungen, das zugleich am besten von der WHO begleitet und untersucht wurde, soll invalide und nicht-reliable Statistiken vorgelegt haben? Ein schlechter Scherz angesichts der Tatsache, dass in den »führenden« westlichen Ländern auch nach eineinhalb Jahren nicht die elementarsten flächendeckenden Statistiken zu Virusverbreitung und -sequenzierung aufgebaut werden konnten und man über das Virus mehr nicht weiß als weiß.

Das im Westen gut gehütete »Geheimnis«: Ende Oktober 2019 fand in Wuhan die Militärolympiade statt – mit Tausenden von Militärsportlern, darunter ein Kontingent von 300 Militärs der USA, die wie die Spanier, Franzosen, Italiener, Deutschen und Südostasiaten die noch relativ harmlosen Mutationen des Virus mitbrachten. Mehrere Wochen intensivster körperlicher Interaktion von Tausenden von Sportlern – ein Dorado für das Virus, in dem es milliardenfache Mutationen ausprobieren konnte. Und mindestens eine davon »saß« – im Sinne höherer Infektiosität und Letalität.

Seitdem ist selbst in der grottenschlecht informierten westlichen Öffentlichkeit ein allgemeines Bewusstsein dafür entstanden, dass Viren nichts anderes als Experimentieren und Mutation, »Trial and Error« für die Erhöhung der relativen »Fitness« (zu bestimmten Zeitpunkten und in einer bestimmten, sich ständig wandelnden Umwelt), bedeuten. Dass »Wuhan« nur ein kleiner Schritt in einer ganzen Kette, ein kleiner qualitativer Sprung auf dem Lebensweg eines genetisch sehr fähigen Virustyps war, diese gedanklich logische Konsequenz darf beim westlichen Publikum bloß nicht aufploppen. Dass der »Rüstungswettlauf« zwischen Viren und Menschheit noch ganz andere Dimensionen annehmen wird, je mehr wir die Natur zerstören, sickert allmählich auch ins Bewusstsein des westlichen Publikums. Die hiesigen Medien und Politiker in ihrem Niedergangskampf, ihrem Inquisitions-, Aggressions- und Kriegsmodus, tun alles, um solche Erkenntnisse noch mit China-Bashing vereinbar zu halten.

Absurde Billionen-Dollar-Schadensersatzklagen »wegen der chinesischen Coronaschuld« sind vor US-Gerichten anhängig – mit dem Ziel, Milliardenvermögenswerte chinesischer Unternehmen in den USA zu konfiszieren. Wenn man sich schon den fettesten Brocken der Welt nicht mehr ganz einverleiben kann, dann klauen wir in guter alter kolonialistischer und imperialistischer Tradition, was wir kriegen können.

Leider sind auch relativ unabhängige und kritisch denkende Zeitgenossinnen und Zeitgenossen nicht gegen die tägliche mentale Jauchewelle gefeit. Die hier angeführte Kritik sollte dennoch als solidarische verstanden werden können. Denn wir sind nicht viele, die sich noch um einen mentalen aufrechten Gang bemühen. Aber an einem realen Gesamtbild führt trotzdem kein Weg vorbei.


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