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Junge Welt vom 15. November 2005

Sechs Tage im „Geist der Rebellion“
Gut ein Jahr ist es her, seit die Bänder im Bochumer Opel-Werk fast eine Woche lang stillstanden. Daß es in der Ruhrgebietsstadt eine ganz andere Reaktion auf die drohende Arbeitsplatzvernichtung gab als in anderen betroffenen Unternehmen, ist unter anderem auf die jahrzehntelangen Aktivitäten oppositioneller Gruppen im Betrieb zurückzuführen. Ein soeben erschienenes Buch der Berliner Gewerkschafter Willi Hajek und Jochen Gester beleuchtet Geschichte und aktuelle Rolle der wichtigsten von ihnen, der seit über 30 Jahren bestehenden Gruppe „Gegenwehr ohne Grenzen (GoG)“, sowie die sich aus dem Arbeitskampf ergebenden Schlußfolgerungen und Perspektiven.

„Für wenige Tage konnte man den Eindruck gewinnen, als sei der Korken aus der Flasche geflogen. Der deprimierende Mehltau erzwungener Anpassung war für einen Moment wie weggeblasen und Menschen wurden sichtbar, die Widerstand leisten, anstatt sich anzupassen.“ So beschreiben die Autoren die Situation im Oktober 2004, als die Bochumer Opel-Belegschaft – eigenständig und gegen den erklärten Willen der Spitzen von IG Metall und Gesamtbetriebsrat – sechs Tage lang die Arbeit niederlegte. Wie ist es zu dieser außergewöhnlichen Aktion gekommen? Um dieser Frage nachzugehen, zeigt Hajek, der seit Jahren mit kritischen Gewerkschaftern in Bochum zusammenarbeitet, den „Geist der Rebellion“ und zeichnet die Historie der Auseinandersetzungen im Werk und die damit eng verknüpfte Entwicklung der GoG, nach. Diese ist geprägt von „wilden Streiks“, von Repression gegen kritische Aktivisten – und immer wieder von Konflikten mit dem IG-Metall-Apparat.

Interviews mit GoG-Aktivisten bilden den Kern des vorliegenden Buches. Sie vermitteln einen Eindruck davon, was in jenen Oktobertagen geschah, wie sich die Belegschaft in Bewegung setzte und wie es der Betriebsratsspitze letztlich gelang, den Kampf zu isolieren und abzuwürgen.

Auch die Probleme der GoG, vor allem deren Nachwuchssorgen, werden nicht verschwiegen. Aber die Aktivisten ergehen sich nicht in einer Nabelschau. Es geht um aktuelle Auseinandersetzungen und um weitergehende, strategische Fragen, insbesondere um den Umgang mit den „alten Strukturen“, der IG Metall. Das Buch empfiehlt sich für jeden kritisch denkenden Gewerkschafter.

Daniel Behruzi


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