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„Libertarian Press Agency“ März 2009

„Wir werden euch den Spiegel vorhalten bis ihr euch wiedererkennt, euch und eure Taten.“
Gaby Weber, das ist eine, die den Finger in die Wunde legt. Aber sie legt ihn nicht nur hinein, sondern stochert auch nach dem Geschoß, das sie verursacht hat. Unerschrocken legt sie sich seit Jahrzehnten mit den Mächtigen und den Gefährlichen dieser Welt an, deckt auf, weist nach, stellt an den Pranger, kämpft für Gerechtigkeit und das, das dieser Gerechtigkeit zu Grunde liegt: Wahrheit. Selbst Kind des verlogenen Zeitalters des deutschen Postfaschismus, setzt sie alles daran, die Autoamnesien dieser Gesellschaft ins Gedächtnis zu rufen und unterstreicht in ihren Artikeln, Reportagen, Büchern, Radiofeatures und Filmen: DOCH! Ihr HABT davon GEWUSST ! Ihr habt es nur nicht mehr wissen wollen. Und ihr habt alles getan, daß wir, eure Kinder und Kindeskinder, es nicht zu wissen bekamen. Aber wir wissen – zunehmend- über euch Bescheid! Wir werden euch den Spiegel vorhalten bis ihr euch wiedererkennt, euch und eure Taten. Auf Lüge läßt sich keine freie Zukunft bauen.

Wenn es einen deutschen Pulitzer-Preis für investigativen Journalismus gäbe – Gaby Weber müsste ihn bekommen. Aber diesen Preis gibt es hierzulande für Leute wie Gaby Weber nicht und es gibt auch keinen Freedom of Information Act – hierzulande muß mensch Klage einreichen um den Versuch zu starten, Papiere zu Gesicht zu bekommen, die eigentlich öffentlich zugänglich sein müssten. In diesem Land hat nach wie vor Täterschutz Vorrang. Zumal häufig Staat und Wirtschaft in die Taten verstrickt sind.Gaby Weber erzählt keine Märchen, sie räumt mit ihnen auf. Sie präsentiert hard facts wo Leute die Stirnen kraus ziehen und zweifelnden Blickes zurückschrecken. Sie weiß, daß Tatsachenbehauptungen en detail untermauert werden müssen und daß selbst untermauerte Tatsachenbehauptungen in den Zeiten des generellen Zweifels und Verzweifelns kaum zur Kenntnis genommen werden. Denn hinter einer Wahrheit promenieren frech tausend Lügen über die wohlfeilen Einkaufsstraßen. Ihr neues Buch ist eines das keiner drucken wollte. Ihren Film „Wunder gibt es nicht“, will niemand zeigen – hierzulande nicht. In Argentinien, da wo das Verbrechen geschah, lief er zur Primetime. Aber die Verbrecher saßen in Deutschland, jedenfalls deren Arbeitgeber und Auftraggeber: Daimler-Benz. Und der Konzern mauert.chatting with Sokrates – Dialog über Öl, Atom und Eichmann, Ende 2008 bei „Die Buchmacherei“, Berlin erschienen, ist ein Buch, das die Spur aus Asche und eingetrocknetem Blut aus den Konzentrations- und Zwangsarbeits-Lagern der Nazis entlang der Rattenlinie bis nach Argentinien nachzeichnet, und wieder zurück nach Deutschland, Frankreich, Franco-Spanien, in die USA bis schließlich hin nach Israel.

Das Buch ist Welt-Theater. Im Rahmen eines Theaterstücks erzählt es die Geschichte von der Lüge vom Wirtschafts-„Wunder“ der BRD, geplant und eingefädelt schon 1943 vom Wehrwirtschaftsspezialisten Ludwig Erhard, der als personifizierter und entnazifizierter Wohlstandsbauch in Kanzlerwürden, die Geldwäsche der Nazischore deckt, die über Argentinien ins ehemalige Reichsgebiet zurückgeschleust wird – nach heutigen Werten Zigmilliarden. Das Nazigeld und -gold aus Auschwitz, den ausgeplünderten überfallenen Ländern und der über Leichen gehenden Arbeitskrafterpressung von Millionen ZwangsarbeiterInnen verhilft der jungen BRD mit dem Rückenwind des Marshall-Plans zum „Wunder“, zum „Wirtschaftswunder“. Ein Land, das nach der vernichtenden Niederlage mindestens ein halbes Jahrhundert hätte am Boden liegen müssen, steigt aus den Trümmern wie ein Phönix. Und dies alles nur wegen deutschem Willen, deutschem Fleiß und deutschem Erfindungsgeist? WUNDER GIBT ES NICHT ! Und dieses sogenannte „Wirtschaftswunder“ gab es auch nur, weil die USA den deutschen Prellbock gegen die SU brauchten und bei der großen Reinhole der klug und vorsorglich im Ausland gebunkerten Nazimilliarden wegschauten. Sie brauchten ein starkes Deutschland als Vasallen und militärische Speerspitze und als potentiellen Kampfplatz weit weg vom Amerikanischen Kontinent.Analog dazu schafften 50.000 rattenwandernde Nazis in Argentinien mit Hilfe Perons und dessen hochfliegenden Plänen von einer südamerikanischen Supermacht mit Raketen, Düsenjägern und Atombombe ein „Wirtschafts-Wunder“ auf der anderen Seite vom Teich. Hier wähnten sich die Nazikader in sicherer Wartestellung, bis Gras über „die Sache“ gewachsen war und sie wieder gebraucht wurden. Sie setzten auf die antibolschewistische Karte und das Vergessen der Menschheit. Sie setzen auf damals gültige 20 Jahre Verjährung für Mord – also freie Rückkehr „ins Reich“ nach 1965. Nazigeld pushte über Mercedes Benz Argentina die Wirtschaft des südamerikanischen Schwellenstaates und in den Laboren und Versuchswerkstätten Perons waren Naziwissenschaftler am Werk, bruchlos dort weiterzumachen, wo sie 1945 aufhören mussten. Einer der bei Mercedes Untergebrachten war Adolf Eichmann, der Stratege der „Endlösung der Judenfrage“, übrigens bis 1933 bei Standard Oil beschäftigt. Der Eichmann, der dann verdientermaßen in Jerusalem endete. Bis dahin war es aber ein langer Weg.In dem auf trockenen Tatsachenrecherchen beruhenden Theaterstück „chatting with Sokrates“ geraten wir mit Eichmann als Leitfigur in die Szenerie eines Ganzen, das plötzlich plastisch wird. Eine Journalistin, offenbar das alter ego Gaby Webers, chattet mit einer unbekannten Frau, einer Geschichtslehrerin in New York, über Fakten, Wahrheit,

Schlußfolgerungen
und Sinnhaftigkeit von Recherche. Der Chatt, das Gespräch wird philosophisch, Sokrates und dessen immer noch gültiger Ansatz nach Wahrheitssuche kommt ins Spiel. Jener Sokrates, dem die alten Griechen den Schierlingsbecher reichten, der ihn vergiften soll – weil er sich weigerte ihnen die Wahrheit NICHT zu sagen, weil er sich weigerte zu schweigen.Durch die Recherche über 15 verschwundene Gewerkschafter bei Mercedes Benz Argentina stolpert die Journalistin in eine Geschichte von Verbrechen, Verrat und Staatskriminalität hinein, in einen sudeligen Sumpf von Ranküne, Schiebung und Verdrängung, in ein Gomorrha von Komplizenschaft und Verstrickung in Staatsterrorismus, zynischer Opferleugnung und geostrategischer Machtspiele. Big Oil und Big Money sind von Anfang an ebenso mit von der Partie wie die internationale Waffenschieber- Mafia. Am Ende steht die israelische Atombombe, ausgerechnet maßgeblich von Naziwissenschaftlern und von in Nazikriegsverbrechen verwickelten Firmen wie Degussa und Mercedes Benz ermöglicht. Und das sicher nicht ganz freiwillig.In diese haarsträubende Geschichte ist der berüchtigte Eichmann verstrickt, dessen Lebensgeschichte in relevanten Teilen im ersten Teil des Theaterstücks im Dialog aufgerollt wird. Da Eichmann einer der Hauptorganisatoren zunächst der Vertreibung, dann der Vernichtung der europäischen Juden war, war er auch eine Schlüsselperson für die Zionisten, also die Organisation, die ein Interesse an der massenhaften Einwanderung von Jüdinnen und Juden nach Palästina hatte. Eine perverse Win-Win-Situation führte zur engen Zusammenarbeit der Jewish Agency und den Henkern ihrer Klientel. Daß der Zynismus nicht nur auf Seiten der Nazis beheimatet war, belegen eindringlich dokumentierte Szenen des permanenten Kuhhandels zwischen Nazi-Politik und Zionisten zum Schaden der Betroffenen. Aus der Gemengelage der Interessen wird klar, daß pures Schwarzweißdenken völlig verfehlt ist und sich auch unerfreuliche Perspektiven zur Seite der Kollektivopfer hin auftun. Wenn, wie geschehen, dem primären Ziel zionistischer Einwanderung und zionistischer Staatsgründung wissentlich und willentlich Menschenleben geopfert werden, wird Vieles fragwürdig. Hinzu kommt ein selbst reklamierter nationalsozialistischer Impetus in Teilen der Führung des Zionismus (Taktik?), der von vorne herein nicht geleugnet werden kann und unter anderem klar zum Ziel hatte, die arabische Bevölkerung Palästinas zahlenmäßig zu überrennen und möglichst aus dem Land zu drängen.

Daß heute auch rechtsradikale, ja faschistisch zu nennende Parteien in Israel mit das Sagen haben, kann unter diesen Umständen nicht verwundern. Zionismuskritische Denke ist nicht nur auf Grund heutiger militaristischer Exzesse des Staates Israel PalästinenserInnen gegenüber vonnöten, sondern auch gegenüber den Praktiken damaliger Zionismusförderer, ein höchst kontroverses und undankbares Thema. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß die zionistische Bewegung eine äußerst vielschichtige war, die eine Bandbreite von Anarchismus/Sozialismus bis zu nationaltheologischem Chauvinismus abdeckte. Eine vielleicht ähnliche Bandbreite darf mensch innerhalb der Jewish Agency unterstellen. Viele haben sich ehrlich bemüht Menschen und Leben zu retten – andere hatten nur ihre politischen Ziele im Auge.Gaby Weber läßt es, wie immer, nicht an Belegen, Dokumenten und Beweisen fehlen – unter anderem auf ihrer website www.gabyweber.com zu finden. Aber mit dem Anlangen dieses heißen Eisens entstehen nicht nur Brandblasen, sondern werden auch die Political-Correctness- Fanatiker auf den Plan gerufen, die mit aller Gewalt das Schwarzweißbild auf ihrer veralteten Mattscheibe erhalten wollen. Nichts ist so absurd wie das wirkliche Leben. Vor uns entsteht das unwirkliche, geradezu surrealistische Bild einer lackierten Oberfläche hinter der Stippenzieher verschiedener Nationalitäten, Religionen und Staaten in einer Paralellwelt aus Moder, Fäulnis und Leichenbergen ganze Völker als blinde Marionetten tanzen lassen. Hanau im beschaulichen Hessen entpuppt sich als Drehscheibe für einen Nukleardeal zwischen mindestens drei Regierungen, der deutschen, der argentinischen und der israelischen. Alle drei wollen die Bombe. Alle drei müssen aufpassen, daß die Amis ihnen nicht die Tour vermasseln. Aber auch die Franzosen spielen mit und bauen in der Negev-Wüste den „Versuchsmeiler“ Dimona, ein Dankeschön für Israels Intervention in der Suez-Krise. Der Suez-Kanal ist das Nadelöhr der europäischen Wirtschaft nach Fernost.Eichmann, inzwischen ungeduldig auf sein als sicher angenommenes Comeback in Deutschland wartend, kommt mit großspurigem Gequatsche und sehr wahrscheinlichen Kontakten zum CIA, der hochpikanten Sache in die Quere.Und wird nach Israel entsorgt – nur nicht ganz so wie die Mossad-Märchenonkels uns das weismachen wollten. Die akribische Journalistin entdeckt Unstimmigkeiten und geht ihnen nach. Die facts scheinen nur einen Schluß zuzulassen: Eichmann wurde nicht entführt, sondern ausgeliefert – nachdem die Israelis schon jahrelang über seinen Verbleib Bescheid wußten. Aber warum? Die Spur führt zur israelischen Atombombe – und zur Begehrlichkeit der Argentinier und Deutschen nach der selben Technologie. Auf Ansprache durch die Journalistin nimmt der Mossad stillschweigend seine offenbar unwahre Geschichte des Eichmann-Kidnappings von der Internetseite …
Wir sehen in einen Abgrund an Geschichtsklitterung, an Geschichtsfälschung, Mythenbildung und gezielter Irreführung der Öffentlichkeit. Sokrates hatte im alten Griechenland noch vor der Lüge die Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber ihr und dem Unrecht angeklagt. Als er nicht schwieg, brachten sie ihn zum Schweigen.Die Chattpartnerin Sofia im Stück hält der Journalistin Alicia vor:

„Hat die Freiheit nicht den Nachteil, daß man sich ständig entscheiden muß? Das ist anstrengend! Die Leute müssen und wollen gar nicht wissen, was sich hinter den Kulissen abspielt.“ „… nicht das Nachfragen, sondern das Nachbeten …“ werde fürstlich honoriert. Aber Alicia kontert: „Wenn du Falsches als die Wahrheit festschreibst verhinderst du den Fortschritt (…). Das Ergebnis ist Stillstand. (…) Zum Ändern brauchst du Wahrnehmung, überprüfbare Fakten, Erkenntnis.“Das Stück bleibt am Ende genauso offen, wie die Verfolgung der Klage um die offenbar ermordeten Gewerkschafter bei Mercedes Benz Argentina und die Suche nach der wahren Rolle des Massenmörders Eichmann in Argentinien.

Es bleiben Fragen. Fragen nach der ganzen Wahrheit hinter den Fragmenten eines Mosaiks, die das ganze Bild nur ahnen lassen. So lange es aber keine Wahrheit gibt, wird es Fragen geben. Und so lange es Fragen gibt wird gefragt werden. Der Mensch will ergründen. Der Mensch will wissen. „chatting with Sokrates“ ist am besten im Tandem zu lesen mit dem 2004 bei „Assoziation A“ erschienenen „Daimler-Benz und die Argentinien- Connection – Von Rattenlinen und Nazigeldern“ herausgegeben vom Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Dieses Buch liefert den präzisen Hintergrund auf dem das Theaterstück beruht. Die in ihm recherchierten Fakten werden in der Freiheit des Theaterstücks weitergedacht, ethisch bewertet und mit Annahmen unterlegt, die die Rechercheergebnisse nahelegen, die seriöserweise aber nicht in einer Recherche in dieser Weise zur Sprache kommen dürfen. Ebenfalls von Gabi Weber ist ein weiteres Buch zum Thema, „Die Verschwundenen von Mercedes Benz“, 2001 auch bei „Assoziation A“ erschienen, für das Theaterstück und besonders für den erwähnten Film „Wunder gibt es nicht“ relevant. Die Bücher von „Assoziation A“ sind lieferbar und kosten jeweils 10 EURO.

Ralf G. Landmesser / www.schwarzrotbuch.de/lpa


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