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„Linke Zeitung“ November 2005
“ … eine Pflichtlektüre für jeden, der wissen möchte wie man im Betrieb Gegenwehr organisiert“
Das Buch, „Sechs Tage der Selbstermächtigung“ Der Streik bei Opel in Bochum im Oktober 2004 herausgegeben von Jochen Gester und Willi Hajek macht deutlich, wie wichtig es wäre eine gesamte Geschichte der spontanen Arbeitskämpfe, die im Jahre 1973 in der Bundesrepublik ihren Höhepunkt hatten, neu zu untersuchen und sie darzustellen. Es gab in dieser Zeit sogar Betriebsbesetzungen (Zementfabrik Seibel & Söhne in Erwitte) und dazu Kontakte zu den Arbeiterinnen und Arbeitern der Uhrenfabrik LIP in Frankreich, die in ihrer besetzten Fabrik in Eigenverantwortung produzierten. Ob die Konflikte bei Ford, Hella oder Krone Berlin, es wäre Zeit diese Konflikte samt Ursachen und Vorgehensweisen der Gewerkschaften und Betriebsräte zu untersuchen und zu veröffentlichen. Der erfolgreiche Arbeitskampf der Frauen bei dem Automobilzulieferer Pierburg (siehe dazu eigenen Bericht in www.linkezeitung.de, wurde zum Beispiel ohne begleitende Betriebsgruppe zum Erfolg. Dort waren Vertrauensleute und Betriebsräte in der Lage sich gegen die IG Metall Bürokratie durchzusetzen. Ich kann mich erinnern, wie die IG Metall versuchte den GoG Kollegen „gewerkschaftsschädigendes Verhalten“ anzuhängen. Es gab üble Ausschlussverfahren, es gab „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ bei der die etablierten Betriebsräte zusammen mit dem Management versuchten, die GoG kalt zu stellen. Es gelang nicht. Diese Gruppe existiert noch heute, sie war und ist Auslöser des Kampfes um Arbeitsplätze beim Opel Werk in Bochum. Wer die Belegschaften verschiedener Opel Werke kennt, wird rasch begreifen, dass es da große Unterschiede gibt. Sozialpartnerschaft mit dem Kapital gab es in Bochum für die GoG-Kollegen nicht. Dieses Buch beschreibt nicht nur den Kampf, der im Bochumer Automobilwerk um Arbeitsplätze, Arbeitszeiten, Arbeitseinkommen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen geführt wurde. Es beschreibt auch das Selbstverständnis einer Interessensvertretung, die sich nicht dem Wohl der Profitmaximierung verpflichtet fühlte und fühlt.
Dieses Buch ist Teil einer Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung die das berücksichtig, was von führenden Vertretern des Kapitals und der Gewerkschaft gerne verschwiegen wird. Schon deswegen ist es Pflichtlektüre für jeden, der wissen möchte wie man im Betrieb Gegenwehr organisiert. In der heutigen Zeit in der die Gewerkschaften immer öfter nicht mehr um Arbeitsplatzerhalt sondern Abfindungshöhen kämpfen, ist dieses Buch eine Anleitung zum Widerstand.
Einige Infos zum Hintergrund und der Vorgeschichte des Konflikts
Opel Bochum und die GoG (Gegenwehr ohne Grenzen), das ist eine lange Geschichte. Sie begann so um 1970 herum, als in vielen größeren Industriebetrieben ein Teil der studentischen Linken Bekanntschaft mit der Fabrikarbeit machte. Herr Fischer, ja der, blieb bei Opel in Rüsselsheim nur ganz kurz, ihm lag diese Arbeit nicht. Obwohl er damals ja Mitglied der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ war, die gab auch eine Zeitung heraus. Titel: „WIR WOLLEN ALLES“. Nun , Herr Fischer hat ja fast alles bekommen, einige seiner Wegbegleiterinnen und Begleiter eher nicht. Nich150%t nur bei Opel Bochum gab es um 1970 herum Betriebsratsmehrheiten die damals schon „große Koalition“ spielten. Eine Einheit aus SPD und CDU Betriebsräten regelte was es zu regeln gab. Etwa Placierungen auf den Wahllisten zur Betriebsratswahl. Als 1971 das neue Betriebsverfassungsgesetz in Kraft trat, wurde das Amt Betriebsrat noch attraktiver.
Als dann die Aktiven aus der 68er Bewegung gemeinsam mit politisch aktiven Migrantengruppen, vor allem aus Francospanien samt kampferfahrenen Stahl- und Bergarbeitern beim Opel in Bochum zu arbeiten begannen, entwickelte sich die GoG. In dieser Zeit entstanden auch in anderen Teilen der Bundesrepublik ähnliche Gruppen. Zum Beispiel die Plakatgruppe bei Daimler in Stuttgart. Sie hinterließ in der Region bleibende Spuren. Die gleichnamige Betriebszeitung „Plakat“ war für viele andere Betriebsgruppen in der Bundesrepublik ein gutes Vorbild wie man betriebliche Konflikte öffentlich macht und für Widerstand sorgt.
Aus den spontanen Arbeitskämpfen die nie Unterstützung durch die IG Metall erfuhren, entwickelte sich bei Opel Bochum eine Betriebsgruppe die an Betriebsratswahlen teilnahm, sich 150%kritisch mit den oft korrupten und verkrusteten Strukturen der betrieblichen Interessensvertretung auseinandersetzte. Oft als „Chaoten“, „linke Spinner“ diskreditiert, waren es die vielen Kollegen der GoG die über Jahrzehnte für Widerstand beim Opel sorgten, in Bochum.
Aus einer mir vorliegenden Broschüre des Redaktionskollektivs in der Projektgruppe Ruhrgebietsanalyse möchte ich einen längeren Ausschnitt aus dem Kapitel SPD-IGM am Beispiel Bochum zitieren, er macht die damalige politische Situation sehr deutlich:
“ (…)Die Mitgliederstruktur der Bochumer SPD zeichnet sich durch eine relativ hohe, gleichzeitige Organisierung in den Gewerkschaften, hier besonders in der IGM aus. Es gibt z. B. SPD – Ortsvereine, in denen bis zu 80% IGM-Mitglieder organisiert sind (z.B. Weitmar -Mitte). Diese Ortsvereinsversammlungen werden jedoch längst nicht mehr von der Mehrheit der Kollegen an der Basis besucht. Stattdessen trifft man dort kleine und mittlere Funktionäre sowie mehr und mehr Beamte und städtische Angestellte an. Dieses Strukturverhältnis schlägt sich natürlich in den Funktionsträgerstrukturen nieder: Hier üben die IGM Funktionäre entscheidenden direkten Einfluß bis zu den Funktionsträgerentscheidungen aus.
Nicht umsonst spricht man hinter vorgehaltener Hand in Bochumer SPD-Kreisen von der „Blech-Mafia“ (IGM-Bochum), die noch immer unter dem autoritär – reaktionären Regiment des 1. Bevollmächtigten der IGM Wirtz (MdL und Mitglied des Kreisvorstandes der SPD) steht. Dieses Strukturgefüge vor Augen, macht manche im folgenden zu schildernde Erscheinung leichter verständlich.
Bochumer SPD- und Gewerkschaftspolitik ist als eine politische Einheit zu begreifen, was im Zusammenhang mit den noch zu schildernden Parteiordnungsverfahren gegen fortschrittliche Jungsozialisten i.E. darzulegen sein wird.
Die Reichweite dieser Strukturausprägung und der damit verbundenen politisch-ideologischen Ausrichtung findet seinen fruchtbaren Bestand bis in die obersten Parteiämter. Ein wichtiges personelles Bindeglied in diesem Sinne ist Karl Liedtke (MdB), der den reaktionären Kurs der IGM-Führung gegenüber Jusos und linken Gewerkschaftskollegen zwischen Bonn und Bochum konsequent vertritt. Auch auf der Landesebene trägt diese Bochumer Politik reaktionäre Früchte. So war es SPD – NRW -Vorsitzender Figgen, der nach dem letzten Münsteraner Landesparteitag der SPD höchst persönlich mit Hilfe des bürgerlichen Medienapparates bestimmten Jusos in Bochum den Austritt aus der Partei nahegelegt hat, einen Tag später aber durch seinen Pressesprecher dezent150% verlauten ließ, daß er damit keinesfalls in ein „schwebendes“ Verfahren hätte eingreifen wollen.
Der Zusammenhang der Wirkung Bochumer SPD- und Gewerkschaftspolitik läßt sich am Fall OPEL klar darstellen. Jahrelange Hinhalte- und Mauschelpolitik der Bochumer Gewerkschaftsführung im Sinne des Kapitals und in Absprache mit der Bochumer SPD führten zu einer Betriebsratsleitung bei OPEL, die das Interesse der Kollegen vorwiegend unterordnete unter das Interesse der Geschäftsleitung. Um diese Politik an einem Beispiel zu illustrieren, sei davon berichtet, dass der Betriebsratsvorsitzende Günther Perschke, der anscheinend von sich meint, dass er diesen Posten dort auf Lebenszeit gepachtet hätte, vor den Kollegen einer Betriebsversammlung, die „Kostenrechnung“ der Adam-Opel AG „analysiert“ und erklärt hat:“ 1 Pfennig Lohnerhöhung kostet Opel doch 1,2 Millionen Mark!“ (Belegschaftsversammlung 29.8. 72). Eine derartige kapitalfreundliche Grundhaltung kann dann auch von der BILD am SONNTAG vom 8.4. 1973 löblich erwähnt werden, indem Perschke als ein „vorbildlicher Genosse“ bezeichnet wird.
Dreh und Ausgangspunkt der herrschenden Betriebsrats- und Gewerkschaftspolitik bei Opel in Bochum ist die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Opel-Arbeiter (ArSO), die zahlenmäßig stärkste Betriebsgruppe in NRW ist. Diese ArSO-Betriebsgruppe ist die Abstimmungsmaschine für die Politik der IGM/SPD-Führung, vertreten durch die Perschke -Gruppe.
Diese Gruppe beschränkt ihre Politik in überwiegendem Maße nur auf die so genannte „tarifliche Wirklichkeit“ und hin und wieder mal auf die Erörterung von so genannten „Mitbestimmungsproblemen“. Aufbau und Arbeitsweise dieser Gruppe lassen es nicht zu, dass die Kollegen wirklich erfahren, was genau läuft. Deshalb können sie die Arbeit nicht kontrollieren. Perschke kann sich also vor die SPD – Betriebsgruppe stellen , sie mit zahlreichen „Informationen“ füttern, es war in der Vergangenheit dann immer so, und wird wohl auch so bleiben, dass die einzelnen Betriebsgruppenmitglieder nichts anderes tun konnten, als die Personen und die Politik der Betriebsratsführung zu bestätigen. Wenn sich mal einzelne Kollegen rührten, um in der Betriebsgruppe die Politik Perschkes anzugreifen, so wurde versucht, diese Kollegen schnell kalt zu stellen, wie im Falle des Juso – Kreisvorstandsmitglieds Reppel (Vertrauensmann und Ersatzbetriebsrat bei Opel).
Erst als sich eine oppositionelle Bewegung in der Belegschaft formierte, konnten die einzelnen Widersprüchlichkeiten und die grundsätzliche Arbeiterfeindlichkeit der Politik der Perschke – Clique im einzelnen aufgedeckt und zeitweise auch an dem anscheinend „heiligen Stuhl“ dieser Berufsfunktionäre gewackelt werden. Nun bediente sich die Betriebsrats- und Gewerkschaftsführung aller möglichen Abwehinstrumente und Abwehrmaßnahmen, die bis hin zur Denunzierung „Schlitzaugen und Nazis“ reichten. Es muß hervorgehoben werden, daß die einzelnen Abwehrmaßnahmen oftmals in Absprache mit der Bochumer SPD-Führung getroffen wurden. Dieser uns sehr wichtige Aspekt soll am Beispiel der Reaktion auf die Politik der Mehrheit der aktiven Jungsozialisten in Bochum geschildert werden.
Die Jusos hatten festgestellt, daß sich ein tiefer Widerspruch zwischen der tatsächlichen Politik der gewerkschaftliche Führung und den wirklichen Bedürfnissen der Arbeiter bei der Adam OPEL AG ergeben hatte. Und zwar wurde dies nicht nur im Rahmen der gesamtgesellschaftlichen Klassenauseinandersetzungen sehr deutlich gesehen, sondern in seinen besonderen reaktionären Ausprägungen im Fall OPEL beispielhaft nachvollzogen. Deswegen haben sich die Jusos seinerzeit für die Politik und das Programm der oppositionellen Bewegung in der IGM (Liste 2) mit Hilfe von Flugblättern und anderen Unterstützungsmaf3nabmen eingesetzt. Sie haben zu einzelnen das Problem der 11 Listen aufgezeigt (die sich zu den Betriebsratswahlen 72 präsentierten).und diskutiert. Sie haben sich an der Kundgebung gegen die Abschiebung des fortschrittlichen spanischen Kollegen José Cumplido beteiligt, sich gegen die Entlassung des Ersatzbetriebsratsmitgliedes Andres Lara ausgesprochen und die im März dieses Jahres erfolgte fristlose Entlassung des langjährigen Betriebsrates Rudi Wischnewski scharf verurteilt. Sie haben ebenfalls zum Ausdruck gebracht, daß nicht, wie die Gewerkschafts- und Betriebsratsführung behauptete, die Gruppe oppositioneller Gewerkschafter in der IGM (Liste 2) die Gewerkschaften gespalten habe, sondern daß der Spalter vielmehr die arbeiterfeindliche Gewerkschaftsführung selbst war.
Es wurde zum Ausdruck gebracht, daß das Programm der Liste 2 im Ansatz auf eine Stärkung der Politik im ausschließlichen Interesse der Arbeiter bei Opel hinzielte. Diese Politik einiger aktiver Bochumer Jungsozialisten ist von der Gewerkschaftsführung in Bochum und der Betriebsratsführung in Zusammenarbeit mit der Bochumer SPD immer wieder angegriffen worden. So hat jedesmal die Opel-Betriebsratsführung in Zusammenhang mit den zuständigen Gewerkschaftsfunktionären für Opel und dem Parteivorstand der SPD (das sind teilweisen dieselben Personen!) eingegriffen und verlangt, daß die Jusos gemaßregelt würden. Im Falle Wischnewski schließlich faßte der Kreisvorstand der SPD einen Beschluß, der es Jusos in Zukunft verbot, Flugblätter vor Bochumer Betrieben zu verteilen, die nicht vorher mit Vertretern des Bochumer Parteivorstandes inhaltlich abgesprochen waren.
Der Konflikt brach offen aus während des spontanen Streiks bei Opel im August 73. Die Jusos formulierten auf Kreisverbandsebene einen Flugblatttext, der inhaltlich einen Kompromiss verschiedener politischer Strömungen darstellte. Diesen legten sie dem Kreisvorstand der SPD „zur Begutachtung“ vor.
Es ist interessant, nunmehr die zeitliche Abfolge des Verfahrens zu schildern, damit die Machenschaften und die Zusammenhänge zwischen der Politik der SPD-Führung und der Gewerkschaftsführung in Bochum genau nachvollzogen werden können.
Am Dienstag, den 11.9.73 gegen 11 Uhr legten 3 Juso-Vorstandsmitglieder im Beisein von einigen anderen Jusos dem Parteisekretär Lohmann das Flugblatt vor. Dieser war der Meinung, dass das Flugblatt wohl genehmigt würde. Allerdings müsse er 2 Vorstandsmitglieder zunächst informieren, um eine endgültige Zusage geben zu können. Etwa eine Stunde später hatte das erste Vorstandsmitglied, der Kreisvorstandsvorsitzende F. Wenderoth (Sparkassendirektor) das Flugblatt bereits abgelehnt. Es stand aber noch die Stellungnahme des zweiten Vorstandsmitgliedes Karl Liedtke (MdB) aus. Liedtke hat neben zahlreichen anderen Funktionen auch den Parteiratsvorsitz der SPD inne. Er befand sich am 11.9. in Bonn (Bei einer dieser Sitzungen, die Liedtke in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des SPD – Parteirates leitet, wurde der so genannte „Unvereinbarkeitsbeschluss“ – d.h. keine Zusammenarbeit mit Kommunisten erarbeitet.)
Gegen 13 Uhr 30 stand dessen Stellungnahme noch immer aus. Gegen 16 Uhr erfuhr der Kreisvorstand der Jusos nach zweimaliger telefonischer Anfrage beim Parteibüro, dass das Flugblatt inzwischen abgelehnt war.
Merkwürdigerweise wußte der Vorstand der ArS0 bei OPEL schon um 15.00 Uhr bescheid. ArSO – Vorstandsmitglied Schmidt erzählte nämlich am frühen Nachmittag dem Kollegen Reppel (Juso), gegen den gesamten Juso – Kreisvorstand würde ein Parteiordnungsverfahren anlaufen und alle würden aus der Partei fliegen, wenn das Flugblatt verteilt würde. Am 13.9. wurde das Flugblatt bei Opel verteilt. Es kam bei den Kollegen gut an und löste breite Diskussionen aus.
Schmidts Ausspruch machte im Betrieb schnell die Runde. Bald hieß es, die Jusos seinen verkappte Kommunisten, Chaoten, Maoisten und würden „achtkantig“ aus der Partei fliegen.
Weitere Maßnahmen der Bochumer SPD wurden schnell ergriffen:
a) Nachdem eine 100 DM-Spende für das Wischnewski-Solidaritätskonto vom Juso-Vorstand geleistet worden war, sperrte der SPD-.Kreisvorstand alle Gelder für das Jugendzentrum West an der Alleestraße. Denn sperrte er noch alle anderen Gelder. Genau wie die Opel-Geschäftsleitung nach dem Streik wollte auch der SPD-Kreisvorstand Namen von sogenannten „Rädelsführern“ herausfinden.
b) Ein Grußtelegramm an das Opel-Solidaritätskomitee mit der Kontaktadresse des Juso-Zentrums an der Alleestraße landete zuerst bei der Partei und Gewerkschaftsfunktionären und wurde dem Juso – Vorstand erst geöffnet zugeschickt.
c) Die Vorstandsmitglieder der ArSO Böhm (Unterbezirksvorstand und Betriebsratsmitglied bei Opel) und Schmidt „rühmten“ sich, daß sie es waren, die die Politik der Jusos in der Frage der „Opel – Solidarität“ blockieren.
d) In einer gezielten Aktion werden alle Ortsvereins – Vorsitzenden angeschrieben, über das „schändliche Tun“ der Jusos informiert und aufgefordert, den Jusos in ihren Ortsvereinsbereichen schärfer auf die Finger zu sehen.
Die Kreisdelegiertenkonferenz der Jusos vom 24.9.73 hatte noch einmal ausdrücklich die Politik des Juso – Kreisvorstandes gebilligt. Dennoch wurden die Vorstandsmitglieder herausgegriffen, d.h. es wurde ein Parteiordnungsverfahren gegen sie eingeleitet.
Die betreffenden Jusos erfuhren selbst erst durch Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen von der Absicht der SPD, gegen sie ein Parteiordnungsverfahren einzuleiten. Erst einen Monat später, als die Stimmung bereits im Sinne der SPD- und Gewerkschaftsabsichten „angeheizt“ war (Schreiben an die Unterbezirke über die Gründe des Parteiordnungsverfahren), hielt man es für nötig, auch den betroffenen Mitteilung über die genauen „Anklagepunkte“ zu machen.
Trotz konzentrierter Hetze gegen verschiedene Vorstandsmitglieder und andere Jusos, die die eigentlichen „Scharfmacher“ im Hintergrund seien (damit war die Redaktionsgemeinschaft der Juso – Zeitung SOZI-Info gemeint), hatten SPD und Gewerkschaftsführung im eigentlichen Verfahren das Nachsehen. Bei der Anklage (Chefankläger war Zöpel, MdL) wurde nämlich davon ausgegangen, dass die Jusos sich immer noch in dem Solidaritätskomitee der DKP-Gruppen befänden. Statt dessen arbeiteten sie im „Solidaritätskomitee für die entlassenen Opelarbeiter“, in dem die meisten fortschrittlichen Kräfte, die GoG und die Mehrheit der Entlassenen organisiert waren.
Gleichzeitig wurde versucht, jede Diskussion in den Ortsvereinen über die vergangenen Streik-Aktionen abzuwürgen. Führende Funktionäre hielten sich in dieser Zeit entgegen sonstigen Gepflogenheiten bis in die späten Abendstunden in den entsprechenden Ortsvereinsversammlungen der SPD auf. Anregungen, wie z.B. führende Kollegen der Liste 2 (s wurde der Name Wolfgang Schaumberg, GoG Betriebsrat bei Opel, genannt) einmal zu entsprechenden Versammlungen einzuladen, um deren Meinung einmal zu hören, wurden im Ansatz erstickt. Man pflegte in diesen Fällen die oppositionellen Kollegen in Perschke – Manier als „Chaoten, Demagogen, intellektuelle Hilfsarbeiter usw.“ zu bezeichnen. Diese denunzierenden Äußerungen wurden von den ahnungslosen Delegierten und auch einfachen Parteimitgliedern geschluckt. Schmidt, Perschke, Böhm, Wirtz brauchten nicht einmal im Ansatz ihre Äußerungen zu begründen. Wenn sie es sagten, dann musste das schon stimmen!
Die spontanen Streikaktionen wurden oftmals als illegal bezeichnet. Zur Begründung wurde die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ strapaziert.
Wer es bis zu dem Zeitpunkt noch nicht gemerkt hatte, dem wurde hier deutlich gezeigt, wie die SPD die Interessen der Arbeiter verrät.
Und wenn Perschke anlässlich der 6. Automobilarbeiterkonferenz der IGM in Böblingen „unter Beifall der Delegierten“ sagt, man müsse „jetzt zur Politisierung der Arbeiter beitragen, weil die Regierung die Macht der Konzerne noch stärke“ , dann weiß man vor dem Hintergrund seiner praktischen Politik, welch leeres, demagogisches Geschwätz sich hinter solchen wortradikalen Ausbrüchen verbirgt!!“
All das was hier im Jahre 1973 stattfand, ist heute ähnlich nicht nur möglich sondern Wirklichkeit.
Dieter Braeg
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