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Literaturbeilage der Zeitung „Junge Welt“ vom 10.10.2007
„Was die Linke interessieren wird“
„Der sogenannte Neoliberalismus hat auch die Arbeit verändert, und zwar häufig insofern, dass den Beschäftigten Verantwortung für bestimmte Bereiche übertragen werden: das Kommando des Vorgesetzten wird tendenziell ersetzt durch das Kommando des Marktes. Die Herausgeber fragen nun, welche Auswirkungen diese „Selbstorganisation“ der Lohnarbeit auf die Identität der Beschäftigten hat, und was dass für die Möglichkeit von sozialen Bewegungen bedeutet.
Leider hinterfragen manche der Autoren nicht, wie weit die Unabhängigkeit im „Postfordismus“ tatsächlich geht. Besonders im ersten Teil des Buches gehen sie sozialphilosophisch statt empirisch an das Problem heran und unterscheiden kaum nach den verschiedenen Sektoren. Der Unterschied, den es macht, ob eine Altenpflegerin oder ein gut bezahlter Softwareentwickler ein bestimmtes Arbeitskontingent „selbstbestimmt abarbeitet“, wird dadurch verwischt. Lars Meyers „Überlegungen“ über die „Organisierte Selbstorganisation“ ragen heraus: ein Überblick über die verschiedenen betrieblichen Strategien samt ihrer soziologischen Beschreibungen, denen Meyer einen marxistischen Erklärungsversuch gegenüber stellt. Im zweiten Teil werden dann beispielhaft Arbeitskämpfe und soziale Bewegungen dargestellt, im dritten der Begriff der Prekarisierung kritisiert. Allerdings bleibt der Zusammenhang zwischen der Selbstorganisation im Betrieb und Selbstorganisation des Widerstands vage. Dennoch sind viele der Analysen lesenswert. Denn es wird erstens deutlich, wie missverständlich es mittlerweile ist, Formen wie Scheinselbständigkeit oder Projektarbeit als „atypisch“ zu nennen, weil die sogenannten „Normalarbeitsverhältnisse“ längst die Ausnahme sind, auch unter den männlichen Facharbeitern. Und zweitens, dass kein Weg zurück in die Zeit vor der „bürgerlichen Revolution“ des Postfordismus (Meyer) führt.“
Matthias Becker
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