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„Ossietzky“ Nr. 18 – 2012

Fundgrube für Historiker
Die deutsche Novemberrevolution von 1918 gilt als gut erforscht; ihre Hauptakteure sind bekannt: Rosa Luxemburg als theoretische Wegbegleiterin der Aufständischen, Karl Liebknecht als derjenige, der am 9. November die „Freie Sozialistische Republik Deutschland“ ausrief, Gustav Noske als „Bluthund“ und militärischer Totengräber der Revolution und Friedrich Ebert als Reichskanzler und späterer Reichspräsident, der dann die revolutionären Wirren in geordnete, bürgerliche Bahnen lenkte …
Der Metallarbeiter Richard Müller ist weniger bekannt, obwohl er als Sprecher der „Revolutionären Obleute“ und Vorsitzender des „Berliner Arbeiter- und Soldatenrates“ zu den wichtigsten Akteuren des Umbruchs gehörte. Müller gilt als einer der Begründer des Rätekommunismus. Sein zwischen 1924 und 1925 erschienenes dreibändiges Werk zur Geschichte der deutschen Novemberrevolution fand allerdings wenig Beachtung. Die Rechte verübelte Müller die ungeschminkte Darstellung des konterrevolutionären Terrors und der schändlichen Rolle der SPD. Der Linken war er wegen seiner gelegentlichen Kritik an Karl Liebknecht suspekt.
Die drei längst vergriffenen Bände „Vom Kaiserreich zur Republik“, „Die Novemberrevolution“ und „Der Bürgerkrieg in Deutschland“ wurden jetzt in einer kommentierten Ausgabe neu herausgegeben, dabei zu einem Sammelband zusammengefaßt. Das Buch ist immer noch eine Fundgrube für Historiker, nicht nur, weil Müller am revolutionären Geschehen unmittelbar beteiligt war und über Informationen verfügte, die an anderer Stelle nie schriftlich niedergelegt wurden. Müllers Ausführungen sind auch zahlreiche Nachdrucke von Dokumenten und Zeitungsartikeln beigefügt, die sonst nirgendwo mehr vorhanden sind.
Müller untersucht detailliert die sozialen Ursachen der Revolution: der entsetzliche Hunger der Kriegsjahre, Anstieg der Lebenshaltungskosten, rücksichtslose Ausbeutung in den Betrieben, während eine Handvoll Kriegsgewinnler märchenhafte Gewinne einfuhren. Der Autor schildert, wie nach dem Verrat der SPD linke Gewerkschaftsaktivisten nach und nach die Burgfriedenspolitik durchbrachen und sich schließlich an die Spitze einer allgemeinen Unmutsbewegung setzten. Das alte Regime fiel daraufhin wie ein Kartenhaus zusammen.
Entgegen der von bürgerlichen Historikern verklärend dargestellten damaligen Rolle der SPD als Garant der Demokratie gegen Putschversuche  von rechts und links schildert Müller die Kumpanei der sozialdemokratischen Parteiführung mit kaisertreuen Generälen, rechtsradikalen Freikorps und antisemitischen Geheimbünden. Die wenigen Versuche einer gewaltsamen Machtergreifung von links waren entweder auf die Tätigkeit bezahlter Provokateure zurückzuführen oder aber Reaktionen auf konterrevolutionäre Aktivitäten. Ausführlich schildert Müller den „Spartakusaufstand“ der KPD von Januar 1919 in Berlin. Liebknecht ging gezielten Fehlinformationen auf den Leim, als er eine Protestwelle gegen die Regierung zur Machtergreifung nutzen wollte. Die Erhebung war durch regierungstreue Einheiten bereits niedergeschlagen, als rechtsradikale Freikorps das Blutbad anrichteten, dem auch Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zum Opfer fielen.

Gerd Bedszent


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