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„Reichenhaller Tagblatt“, 15. November 2017
Jakob Haringer – Lebenskünstler und Lügenbaron
Dieter Braeg hat ein Buch über Leben, Prosa und Lyrik des Schriftstellers herausgegeben
Bad Reichenhall. „Jakob Haringer hat gelogen, dass sich die Balken biegen. Aber das sehr überzeugend“, sagt Dieter Braeg. Der 77-jährige Reichenhaller hat gerade ein Buch über den Dichter herausgebracht.
„Du bist für keinen Stern, kein Glück geborn!“ heißt das Buch. Auf 328 Seiten schafft Braeg einen umfassenden Überblick über Leben, Prosa und Lyrik Haringers. Am Samstag, 25. November, um 16 Uhr stellt Braeg das Werk zudem auf den „Kritischen Literaturtagen“, in der ARGE in Salzburg vor.
Der Schriftsteller und Übersetzer – lebte und dichtete viele Jahre in Bayerisch Gmain, Bad Reichenhall und Salzburg. Mittlerweile ist er aber in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie Braeg findet. „Haringer war ein Schnorrer-König, Vielreisender, Verfälscher seines eigenen Lebenslaufes, genialer Übersetzer von Francois Villons ‚Testament‘ und Polemiker“, so Braeg, der das Leben des umtriebigen Dichters nachzeichnet. Leicht war das nicht, denn „Haringer hat Angaben zu seiner Person je nachdem geändert, in welcher Situation er sich befand.“ Nach Abbruch einer Lehre in einem Salzburger Feinkosthandel führte Haringer ein unstetes Wanderleben. Seine Werke veröffentlichte er meist im Selbstverlag. Um sein Ansehen zu vergrößern, behauptete Haringer gegenüber Publikum und Literaturbetrieben, unter anderem an der Universität Wien sowie der revolutionären Hochschule Moskau promoviert zu haben. „Er hat aber nie studiert“, sagt Braeg. Auch die Literaturauszeichnungen, die Haringer behauptet, erhalten zu haben, ein Gerhard-Hoffmann-, ein Schiller- und ein Kleist-Preis, existieren nicht.
Seinen Lebensunterhalt bestritt der Dichter vorwiegend mit Bettelbriefen, oft an Schriftstellerkollegen wie etwa Hermann Hesse. „Er hat immer geschnorrt und sich als armer Schlucker verkauft“, sagt Braeg. Jedoch hätte der Dichter einige Auftritte im österreichischen Radio gehabt und aus seinen Werken vorgelesen. Zu einer Zeit, in der das Radio das Massenmedium schlechthin war, könne man annehmen, dass die Gagen dementsprechend gewesen seien.
NS-Regime erkannte Staatsangehörigkeit ab
1926 wurde Haringer polizeilich gesucht: Er hatte versucht, zwei Perserteppiche von Salzburg über die Grenze nach Bad Reichenhall zu schmuggeln. „Die Aktenberge, die dabei entstanden sind, geben Aufschluss über Person und Denkart des Dichters“, meint Braeg, der für sein Buch Archive der Schweizer Nationalbibliothek und des Literaturhauses der Dokumentationsstelle für neue österreichische Literatur Wien besucht hat. Später wurde Haringer wegen Urkundenfälschung, Meineids, Beamtenbeleidigung, Hausfriedensbruchs und Gotteslästerung angezeigt und mehrfach in psychiatrische Anstalten eingewiesen. 1936 wurde ihm von den Machthabern des NS-Regimes die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt. Daraufhin immigrierte er in die Schweiz, wo er 1948 starb.
„Sein Lebenslauf ist beeindruckend“, findet Braeg. „Und zum Teil hat er sehr gute Sachen geschrieben.“ Haringers weitaus berühmterer Zeitgenosse, Alfred Döblin, lobte ihn als „Lyriker und Könner“: „Die Gedichte sind echtes Gewächs, keine lyrische Ware“, urteilte Döblin. Mehr als 1000 Gedichte hat Jakob Haringer verfasst, von denen Braeg etliche für sein Buch ausgewählt hat.
Haringers Stil ist oft schwermütig oder aber wütend. Einer eigenen Rechtschreibung folgend richtet sich der Dichter mit wüsten Ausfällen häufig gegen die Welt, Gott und die Heiligen. Braeg bezeichnet ihn als „katholischen Anarchisten“. Die Werke spielen oft in Salzburg, Bayerisch Gmain oder Wien und lassen die Orte lebendig werden. „Seine Begegnungen mit den Menschen und Gegenden, vor allem im bayerisch-österreichischen Grenzgebiet, finden sich in vielen seiner Gedichte wieder“, meint Braeg.
Auch Haringers Prosawerke haben nichts an Aktualität eingebüßt. „Das Räubermärchen passt mit seiner beißenden Kritik an Hierarchie und Bürokratie auch in die heutige Zeit.“
Braeg hat sich seit seiner Jugend mit dem Dichter beschäftigt. „ln der Literaturzeitung Akzente war 1957 ein langer Artikel über Haringer von dem damaligen Feuilleton-Chef der ZEIT, Paul Hühnerfeld.“ Das Porträt von dem eigenwilligen Dichter beeindruckt den damals 17-jährigen Braeg. „Ich habe mich immer mehr mit Haringer beschäftigt. Das ist wie ein Bergwerk geworden.“
Dass aus Braegs Begeisterung nun ein Buch geworden ist, ist kein Zufall. „Ich habe vor etwa zehn Jahren in Berlin einen Verlag mitgegründet – Die BUCHMACHEREI“, erklärt Braeg. Themen sind vor allem die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. „Ich habe gepusht, dass wir den Bereich ‚Die andere Literatur‘ aufnehmen“, sagt Braeg. Eine der ersten Veröffentlichungen der Rubrik ist nun das Werk Haringers. Ein Jahr lang hat Braeg daran gearbeitet. Er ist zufrieden: „Ich finde, das Buch ist sehr gut geworden.“
Magdalena Nporra
Jakob Haringer. Du bist für keinen Stern, kein Glück geborn! Leben, Prosa & Lyrik, eingeleitet und ausgewählt von Dieter Braeg. Die Buchmacherei. 25 Euro.
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