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Rheinische Zeitung, Flyer Nr. 294 vom 23.03.2011

Eine wunde, die sich nicht schliessen will
Zur Niederschlagung linksradikaler Matrosen und Bürger durch die Rote Armee – „Die Kommune von Kronstadt“

Vor ziemlich genau 90 Jahren, im März 1921, besiegte die sowjetische Armee die Matrosen und die widerständige Bevölkerung der Festung Kronstadt, etwa 20 Kilometer westlich vor dem damaligen Petrograd (heute wieder St. Petersburg) auf der vorgelagerten Insel Kotlin. Klaus Gietinger, Regisseur und Autor zahlreicher Filme und Bücher, beschreibt in seinem aktuellen Buch „Die Kommune von Kronstadt“ die Niederschlagung der linksradikalen Kommune mit ihren etwa 50.000 EinwohnerInnen durch die Rote Armee.

Wurden die selbstbewussten Matrosen, die Trotzki einst als „Schönheit und Stolz der Oktoberrevolution“ bezeichnete, wegen ihrer linksradikalen Haltung als Verräter der Oktoberrevolution betrachtet, so bewertete Alexandra Kollontai das Problem der BolschewistInnen damit, ob sie den Kommunismus mit Hilfe der ArbeiterInnen verwirklichen würden oder ob sie über deren Köpfe hinweg mit Hilfe der Sowjetbeamten regierten. Ihr damaliger Lebensgefährte Alexander Schljapnikow führte die innerparteiliche Arbeiteropposition an. Wie die viele andere führende GenossInnen der KP wurde er 1937 erschossen. Zur gleichen Zeit, als die militärische Schlacht um die Macht in Kronstadt entbrannte, fand der 10. Parteitag der Russischen Kommunistischen Partei statt, der ihren Monopolanspruch einschließlich des Fraktionsverbotes in den eigenen Reihen besiegelte und damit zum endgültigen Wegbereiter dessen wurde, was als Stalinismus und „Realsozialismus“ am Ende kläglich scheitern musste.

Dem Autor liegt daran aufzuzeigen, wie sehr sich die Bolschewiken allesamt in eine für die Revolution verhängnisvolle Politik verstrickten. Intervention und Bürgerkrieg, aber auch die Bewunderung für den preußischen Beamtenkapitalismus, veranlassten Lenin und seine Führungsriege, soeben errungene, demokratische und selbstverwaltete Strukturen in der Armee und in den Fabriken wieder abzuschaffen. An ihre Stelle pfropften sie den RevolutionärInnen zentralistische Befehlsstrukturen auf, die auch nach dem schrecklichen Bürgerkrieg gegen den Willen vieler ArbeiterInnen und Soldaten beibehalten wurden. Ebenso brachte die Politik gegenüber den BäuerInnen und der Landbevölkerung den Bolschewiken keine Sympathien ein, weil die unerträglich hohen Abgaben mit brutaler Gewalt durchgesetzt wurden und sich Hunger und Not auf dem Land und in den Städten verbreiteten. Die Folge war, dass es starke Opponenten in den Sowjets gegen die Bolschewiken gab und dass die Losung die Runde machte, den Sowjets die Macht zu geben und nicht der bolschewistischen Partei. Auch Lenins Neue Ökonomische Politik ist am Ende das Eingeständnis des Scheiterns seiner blanken Zwangspolitik, mit der er die Mehrheit der Bevölkerung nicht für die eigene Sache gewinnen konnte.

Der Hauptteil des Buches besteht aus gut 70 Seiten spannender Schilderung der Ereignisse vor und während der verhängnisvollen Ereignisse in Kronstadt, die den Wendepunkt der russischen Revolution zur Verfestigung einer Diktatur markierten, die nichts mit der Diktatur des Proletariats im Sinne der Pariser Commune zu tun hatte, auf die sich die Bolschewiken zynisch beriefen, als sie die Kriegsschiffe der aufständischen Matrosen nach der Niederschlagung in „Marat“ und „Pariser Kommune“ umbenannten. 2.500 Kronstädter Matrosen wanderten in die Gefängnisse und später in Straflager, wo die meisten zu Grunde gingen.

Einhundertdreiundreißig Textstellen sind mit Fußnoten gekennzeichnet, die wiederum von einer Literaturliste ergänzt werden. Der Text stammt aus einer Artikelserie, die der Autor 1997 für die junge Welt unter dem damaligen Chefredakteur Holger Becker verfasste. Von den damals veröffentlichten LeserInnenbriefen, die der Autor wieder abdrucken ließ, war die Mehrzahl ablehnend und einige enthielten inkriminierende Vorwürfe wie Hetze, Geschichtsfälschung, Antikommunismus und Anarchismus (was damals als Stigma verstanden wurde und nicht als Bezeichnung einer legitimen Einstellung). Der Schlussteil des Büchleins enthält eine Art stichwortartige Auseinandersetzung mit dem negativen Vergleich von Kommunismus und Faschismus, der in diesem Kontext anscheinend eher darauf zielt, dem Vorwurf zu entgehen, mit dem hier herrschenden Totalitarismusverständnis und dem daran angepassten Geschichtsrevisionismus unter einer Decke zu stecken, als das tatsächliche Ausmaß und das Erschrecken über die Unmenschlichkeit im Namen der Revolution und des Sozialismus wirklich gut zu reflektieren.

Klaus Gietinger dürfte etlichen Leuten durch seine zahlreichen Bücher und Filme bekannt sein. Sein 2009 erschienenes Buch über den Konterrevolutionär Waldemar Pabst, das auch die Verstrickung der damaligen SPD-Führung um Ebert und den sozialdemokratischen Reichswehrminister Noske in die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aufzeigt, kommentierte der Berliner Tagesspiegel: „Eine Wunde, die sich nicht schließen will. Besonders schwer tut sich die SPD damit.“ Ähnlich könnte mensch wohl auch zu den KommunistInnen der leninistischen Hauptströmung und ihrer späteren trotzkistischen Abspaltung in Bezug auf die Ereignisse in Kronstadt kommentieren. (PK)

Der Kölner Autor Werner Ruhoff hat das Buch „Eine sozialistische Fantasie ist geblieben“ im gleichen Verlag veröffentlicht. Er hat dafür u.a. die anarchistische Kommune Longo Mai in der Provence, die Kommune Niederkaufungen bei Kassel und die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM) in Köln besucht. Und er hat 2004 den ersten Kölner Umsonstladen in der MüTZe in der Berliner Straße mit initiiert.

Werner Ruhoff


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