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„Sozialistische Zeitung“ 01-2015 und „Express“ 12-2014

Drei Betriebsräte gegen den Weltkonzern
Es gibt mehrere außergewöhnliche Betriebskämpfe, auch in den letzten Jahren, die wir als radikale Linke kennen sollten, um Hintergrundwissen und Maßstäbe zu haben für heutige und zukünftige Kämpfe. Je besser wir die früheren Kämpfe kennen und verstehen – seien es Kämpfe von Belegschaften, kleinen Gruppen oder Einzelpersonen –, desto besser sind wir für die Zukunft gerüstet, in der die Konflikte gewiß noch härter ausgetragen werden als in der Vergangenheit. Es seien nur einige der Kämpfe des letzten Jahrzehnts genannt:

– der Opel-Streik in Bochum 2004;

– der Streik bei Gate Gourmet 2005/2006;

– der Streik bei BSH (Bosch-Siemens-Hausgerätewerk) in Berlin;

– der Kampf der Kassiererin «Emmely» bei Tengelmann in Berlin;

– der Neupack-Streik 2012/2013;

– der laufende Streik bei Amazon in bisher sechs der acht Niederlassungen.

Und noch ein fast vergessener Kampf gehört dazu, der mehrere Jahre währte, ein Buch im kleinen Berliner Verlag «Die Buchmacherei» holt ihn jetzt aus der Vergessenheit: Der «Fall BMW-Berlin». Dokumentation eines außergewöhnlichen Kampfes. Gewerkschaftliche Betriebsarbeit zwischen «gekaufter Vernunft» und unbestechlichem Widerstand.

Der Kampf von drei Betriebsräten gegen den Weltkonzern BMW war in der Tat außergewöhnlich! Für den Rezensenten, der den Kampf (von 1984 bis 1987) noch blass in Erinnerung hatte und jetzt die Dokumentation in die Hand nahm, wurde die Lektüre nach ein paar Seiten spannend wie ein Krimi. Die heutigen Kämpfe, z.B. bei Neupack (Hamburg) und Amazon, haben einen anderen Charakter, weil sich die Zusammensetzung der Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert hat. Heute sind die Kolleginnen und Kollegen aus prekären Bereichen, mit wenigen Organisierten, ein Zusammenschluss – die Gewerkschaft als Voraussetzung für den Kampf – muss sich erst bilden. Sie stehen mit dem Rücken an der Wand, das gibt ihnen die Antriebskraft für Organisation und Kampf. Es geht um einen Tarifvertrag, der mehr Sicherheit und höheren Lohn verspricht.

Damals hatte die Härte der BMW-Geschäftsleitung gegenüber den drei Betriebsräten ihren Grund darin, dass diese eine kleine Gruppe bildeten mit festen politischen Vorstellungen, die aufgrund ihrer hervorragenden Kenntnisse des Betriebsverfassungsgesetzes und ihrer Rechte Optimales für ihre Kollegen herausholten und bedrohten Kollegen den Rücken stärkten. Sie waren nicht nur politische Störenfriede, sie kosteten die Betriebsleitung auch viel Geld.

Das war der Grund, warum der BMW-Vorstand gesagt hat: Diese Betriebsräte müssen weg. Darum hat er die Betriebsratswahl 1984 mit einer gekauften «Mannschaft der Vernunft» manipulieren lassen. Die Anfechtung der Wahl durch die drei Aktivisten hatte Kettenkündigungen zur Folge. Die Träger des Kampfes, die auch zu dieser Dokumentation beigetragen haben, waren Rainer Knirsch, Peter Vollmer, Hans Köbrich und der später hinzugestoßene Vertrauensmann Sucsuz. Die beiden ersten gehören zu der Generation, die 1970 nach ihrem Studium in die Betriebe gegangen ist, um nicht nur den Betrieb, sondern auch die Gesellschaft zu verändern. Eine gute Darstellung der Vertreter dieser Generation gibt Jan Ole Arps in seinem Buch Frühschicht (Assoziation-A, siehe SoZ 9/2011).

Bei der Lektüre der Dokumentation erleben wir die Härte des Arbeit«gebers» mit, wie er massenweise Abmahnungen und fristlose Kündigungen verteilt und mit dem Arbeitsrecht so spielt (Kettenkündigungen), dass dieses zu offensichtlichem Arbeitsunrecht wird; wir erleben mit, wie Arbeitsrichter, die nicht zu Handlangern der BMW-Geschäftsleitung werden wollen, ausgehebelt werden und ohnmächtig dastehen.

Wir erleben auch, wie es die Geschäftsleitung anstellt, die Mehrheit der Kollegen auf ihre Seite zu ziehen und gegen die drei Betriebsräte aufzuwiegeln. Für die drei Aktivisten, die jahrelang aus dem Betrieb verbannt werden, ist diese Zeit mit den vielen Verfahren vor den Arbeitsgerichten zermürbender als die normale Lohnarbeit.

Der Kampf der drei war nicht nur ein Kampf gegen die Geschäftsführung des Berliner BMW-Werks, die von der Zentrale in München gesteuert wurde, sondern wurde auch ein Kampf gegen die nicht mehr sozialpartnerschaftliche, sondern «gelbe» Mehrheit des Betriebsrats, und anfangs auch gegen die Berliner IG Metall, die auf Seiten der Betriebsratsmehrheit stand. Dem Konflikt mit der Berliner IGM ist ein besonderes Kapitel gewidmet.

Union Busting

Es gibt Unterschiede zu den Kämpfen heute, weil die Arbeiterklasse durch die kapitalistische Entwicklung neu zusammengesetzt wurde, aber eines ist geblieben: Die Lohnabhängigen können ihre materielle Lage nur verbessern und ihre Würde nur bewahren durch organisierten Widerstand. Die drei Aktivisten von BMW-Berlin machten Erfahrungen, die 20–25 Jahre später massenhaft auf Kollegen zukommen: Heute nennt man es «Union-Busting».

In der Tat: Unbestechlichkeit, Zuversicht und Ausdauer waren die Voraussetzungen, diesen jahrelangen Kampf durchzuhalten. Nach Lektüre des Buches frage ich mich: Wie wirkt das auf junge Kollegen, auf die Auseinandersetzungen mit ihren Geschäftsführungen zukommen? Schrecken sie zurück, weil sie meinen: Diese Kraft und Ausdauer haben wir nicht? Oder sagen sie: Ich habe was gelernt aus der Lektüre, um besser gerüstet zu sein als die Kollegen Vollmer, Köbrich und Knirsch es waren, als sie in den Konflikt gezogen wurden?

Auch wenn die BMW-Geschäftsleitung sich damals Spitzenanwälte leistete und es schon damals Union Busting war, das betrieben wurde, gibt es heute in der Arbeitswelt ein neues Phänomen: Es hat sich ein Wirtschaftszweig entwickelt, nämlich Anwaltskanzleien, die ihre Dienste anbieten, um Firmen betriebsrats- und gewerkschaftsfrei zu halten oder zu machen. Widerstand, der sich in den Betrieben organisiert, soll damit von Anfang an der Kopf abgeschlagen werden. (Näheres dazu siehe auf der Seite http://aktion.arbeitsunrecht.de.)

Zur Lektüre des Buches: Da es eine Dokumentation ist, auch mit Artikeln von etlichen Autoren, gibt es Wiederholungen. Die kann man überschlagen, um zu weiteren spannenden Stellen vorzustoßen. Ich habe mit besonderem Interesse die Kapitel von Bodo Zeuner («Vierte Geschichte über Bürgerrechte im Betrieb»), Wolf-Dieter Narr («Der Betrieb der Grundrechte oder wie ein Unternehmen seine Beschäftigten bändigt – Am Beispiel BMW Berlin-West») und Peter Vollmer («Ich hätte es nicht für möglich gehalten») gelesen. Ein Stöbern in den vielen Dokumenten veranschaulicht den Konflikt im Detail. Ein kleiner Mangel: Die Seitenzahlen sind nicht durchgehend und erschweren das Auffinden der einzelnen Kapitel.

Dieter Wegner

Der Autor ist aktiv im Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg.


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