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“Woz” Nr. 51 18.12. 2025

“Doykeit” statt Nationalismus

Von Raul Zelik

Trotz aller Kritik wegen des Krieges gegen Gaza: Im deutschsprachigen Raum gilt Israel nach wie vor als historisch alternativloses Projekt zum Schutz jüdischer Menschen. Was wiederum dazu führt, dass sich, wer den jüdischen Staat aufgrund seines religiösen Selbstverständnisses und seiner Siedlungsgeschichte grundsätzlich kritisiert, einen Antisemitismusvorwurf einhandelt.

Dieser Verknüpfung zu widersprechen, ist das erklärte Anliegen von «Die radikale jüdische Tradition». Donny Gluckstein und Janey Stone rekonstruieren in ihrem Buch die Geschichte jener jüdischen Linken, die die Bemühungen zur Gründung eines jüdischen Nationalstaats von Anfang an ablehnten.

Dafür arbeiten sie vor allem die Widerstandstraditionen im osteuropäischen Judentum heraus. Jüd:innen, so die zentrale These von Gluckstein und Stone, hätten aufgrund ihrer Unterdrückungserfahrungen konsequenter als andere Bevölkerungsgruppen über nationalstaatliche Grenzen hinausgedacht. Der Zionismus, der auf die Gründung eines von der kolonialrassistischen Perspektive Europas geprägten Staates abzielte, sei hingegen als bürgerliche Gegenbewegung zu dieser internationalistischen Tradition entstanden.

Tatsächlich könnten Positionen des jüdischen «Arbeiterbunds», der Anfang des 20. Jahrhunderts in Osteuropa aktiv war, einiges zu den Debatten der Gegenwart beitragen. Gegen die Idee ethnisch-nationaler «Befreiung» etwa verteidigte der Bundismus die Idee der «Doykeit», also einer Politik des «Hierseins». Jüdische Identität und der Kampf gegen Antisemitismus wurden vom Bund zwar bekräftigt, aber nicht national gewendet. In dieser Hinsicht loteten jüdische Antizionist:innen schon vor über hundert Jahren das Verhältnis zwischen partikularen Unterdrückungserfahrungen und universalistischer Politik aus.

Der Einwand, dass die Gründung Israels vielen Shoah-Überlebenden als Zuflucht dienen musste, ist gewiss richtig. Das Buch von Gluckstein und Stone erinnert jedoch daran, dass es immer auch eine fundierte jüdische Kritik am Zionismus gab. Dass diese Traditionslinie unsichtbar gemacht wurde, ist kein Zufall. Umso wichtiger ist es, sich mit ihr auseinanderzusetzen.